Chemiekasten mit Sprengstoff

Glosse Papa, es ist doch für die Kaufhäuser gut, wenn die Weihnachten so viel verkaufen: Der Schriftsteller David Wagner über das heilige Fest und die Neunjährigen

Laber mich doch bitte nicht schon wieder mit dem Christkind voll, sagt das Kind und schaut kaum von seinem Computerspiel auf. Das Kind ist neun Jahre alt, sein zehntes Weihnachtsfest steht bevor. Und es hat bereits aus der unübersichtlich-komplizierten Weihnachtsgeschichten-Gemengelage einige Erzählungen gestrichen. Das Christkind, so hört es sich an, ist erst mal nicht mehr dabei:

Weißt du Papa, ich weiß schon lange, dass nicht das Christkind die Geschenke bringt, sondern dass du sie einpackst. Ich weiß ja, wo das Geschenkpapier liegt. Und nein, auch an den Weihnachtsmann glaube ich schon lange nicht mehr. Weißt du, ich habe immer an den Schuhen erkannt, wer der Weihnachtsmann wirklich war. Obwohl ich die Weihnachtsmanngeschichte vom alten Mann mit Bart und Schlitten eigentlich besser finde als die von Jesus. Wie soll so ein Christkind überhaupt Geschenke bringen? So ein Baby kann doch gar nicht laufen. Trotzdem, Papa, Weihnachten ist etwas sehr Schönes, beruhigt mich das Kind. Es gibt Plätzchen. Und Weihnachtsstimmung. Und man kann sich was wünschen.

Schon vor Wochen hat das Kind einen Wunschzettel geschrieben. Auf dem bunten und mit anscheinend noch geduldeten Weihnachtsengeln bemalten Papier kleben kleine, aus Katalogen und Zeitschriften ausgeschnittene Bildchen, teils von Zeichnungen umgeben. Muss ich mir vielleicht Sorgen machen, weil da zwischen „Ein Paar Schlittschuhe“ und „Ein Modellflugzeug mit Ladegerät“ (gemeint ist wohl eine Fernbedienung) auch „Ein Chemiekasten mit Sprengstoff“ steht?

Das Kind, das sich wieder seinem friedlichen Luftballon-Schießspiel widmet, weiß natürlich, dass es für die Wunsch­erfüllung etwas tun muss. Es muss Weihnachtslieder singen, Verslein auswendig lernen und eventuell sogar aufsagen. Es muss im großen Weihnachtstheater mitspielen und Weihnachts­traditionen einüben, um diese später einmal weitergeben zu können.

Das Kind weiß aber auch, dass verschenken muss, wer etwas geschenkt bekommen will. So geht die Abmachung. Und weil es längst weiß, dass Mama und Papa sich immer über Selbstgebasteltes freuen, investiert es viel Zeit und wenig Kapital (seine Eltern machen es genau umgekehrt), um etwas Gehäkeltes, Geklebtes, Gemaltes, Getöpfertes oder Laubgesägtes herzustellen. Eigentlich, sagt das Kind, finde ich das auch schöner, als wenn ich etwas kaufen würde. Selbst will es allerdings lieber nicht mit Selbstgemachtem beschenkt werden. Ich fände jetzt nicht so gut, wenn du mir etwas basteln würdest, sagt es. Kauf mir lieber was, Papa. Kauf mir das, was auf meinem Wunschzettel steht.

Aber nein, das Kind, findet es nicht schlimm, dass für Weihnachten viel eingekauft wird: Weihnachten ist ja nur einmal im Jahr, Papa. Und etwas ganz Besonderes. Und Kinder wünschen sich halt was, die große Pyramide von Playmobil zum Beispiel, eine Playstation oder einen Nintendo DSi. Und weißt du, Papa, es ist doch gut für die Kaufhäuser, wenn die Weihnachten so viel verkaufen, wegen der Krise.

Die Erzählung von der Krise ist nun also in der Weihnachtserzählung eines neunjährigen Kindes angekommen. Im Gegenzug können Christkind und Weihnachtsmann einfach gestrichen werden, Kinder können so herrlich unsentimental sein. Und mir hat der Satz, für den Bill Clinton noch in hundert Jahren bekannt sein wird, noch nie so weihnachtlich hell eingeleuchtet: It’s the economy, stupid!




Der Schriftsteller David Wagner (geb. 1971) lebt in Berlin. 2009 veröffentlichte er die von der Kritik hochgelobten Romane Spricht das Kind und Vier Äpfel

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