Die dritte Intifada?

Israel/Palästina Die Gewalt in Nahost nimmt seit Wochen zu, eine dritte Intifada bahnt sich an. Falls sie jemals da war, schließt sich momentan die Tür für eine Zwei-Staaten-Lösung

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"Meine Ablehnung gegenüber einem palästinensischem Staat beruht hauptsächlich auf der Tatsache, dass unser Recht auf das Land ewig und unwiderruflich ist. Das Land Israel ist Eigentum des jüdischen Volkes und kein Volk in der Welt würde sein Mutterland aufgeben."Ofir Akunis, Minister der aktuellen Likud-Regierung

"Vom Fluss bis zum Meer, von Norden bis Süden, dies ist unser Land, unser Heimatland. Kein Zentimeter davon wird aufgegeben. Israel ist rechtswidrig und wird für immer rechtswidrig bleiben. Es gehört uns und nicht den Zionisten." ­Chalid Maschal, politischer Führer der Hamas

"Wir werden unser Land nicht aufgeben. Jeder Tropfen Blut, der in Jerusalem vergossen wird, ist pur, jeder Märtyrer kommt ins Paradies und jede verletzte Person wird von Gott belohnt."Mahmoud Abbas, Präsident von Palästina

"Ich denke, dass jeder, der einen palästinensischen Staat etablieren und Territorien evakuieren will, den radikalen Islamisten Gebiete gibt um Israel zu attackieren. Die Linken vergraben ihren Kopf im Sand und ignorieren es, aber wir sind realistisch."Benjamin Netanyahu, Ministerpräsident von Israel

Im Heiligen Land entsteht eine neue Spirale der Gewalt. Seit Anfang Oktober zählen die Israeli Defense Forces über 70 terroristische Angriffe, die meisten davon Messerattacken, ausgeführt von jungen Männern. 21 Israelis wurden getötet. Das israelische Militär reagierte mit verstärkter Präsenz und zahlreichen Präventivschlägen, denen über 100 Palästinenser zum Opfer fielen. Die israelische Presse spricht von einer "neuen Welle des Terrorismus", ausländische Medien von einer "Knife-Intifada". Zeitgleich schieben sich Abbas und Netanyahu wie immer gegenseitig die Schuld in die Schuhe, die Friedensgespräche sind schon länger auf Eis gelegt.

Das Schlimme ist: Ein Ende ist nicht abzusehen. Die Gewalt wird von der palästinensischen Bevölkerung unterstützt. Einer vor zwei Wochen veröffentlichten Umfrage des PSR (Palestinian Center for Policy and Survey Research) zufolge "denken 66 Prozent der Befragten (71 Prozent im Gazastreifen und 63 Prozent im Westjordanland), dass es der palästinensischen Sache mehr nutzt, wenn die aktuellen Unruhen in eine bewaffnete Intifada münden, während Verhandlungen nichts mehr bringen." Laut PSR unterstützen 60 Prozent der Palästinenser eine bewaffnete Intifada, über die Hälfte (54 Prozent) sprach sich gegen eine Zwei-Staaten-Lösung aus.

Wut über die prekäre Lage

Die Umfrage ist ein Spiegelbild der aktuellen politischen Lage im Nahost-Konflikt. Mit Abbas und Netanyahu sind zwei Sturköpfe an der Macht. Öffentlich pochen sie auf friedliche Absichten, beide unternehmen jedoch herzlich wenig um die Gewalt einzudämmen. Als Anfang Oktober vier Israelis Opfer von Terrorattacken wurden, sprach Netanyahu direkt von einer "harschen Offensive gegen den palästinensischen islamischen Terror" - statt bei der Ursache anzusetzen, widmet sich der Likud-Hardliner den Symptomen. Denn Fakt ist: Die Lage der Palästinenser ist weiterhin prekär und bessert sich kaum. Mangelnde Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit sind im Westjordanland und im Gazastreifen die Regel. Der Ausbau der Infrastruktur ist im Vergleich zum reichen Nachbarn katastrophal: Es gibt keine Eisen- oder Autobahnen, die Flughäfen sind für Zivilisten gesperrt. Die Arbeitslosenquote hat in den vergangenen Jahren wieder zugenommen und liegt mittlerweile bei über 27 Prozent. Israel rangiert im HDI auf Rang 19, Palästina auf Rang 107. "Die palästinensische Jugend ist der gebrochenen Versprechen müde", erklärte Ban Ki-Moon kürzlich. "Sie sehen kein Ende am Licht des Tunnels." Unterdrückung und Armut produzieren Wut und Gewalt - Gegengewalt vom IDF ist die Folge. Die Spirale dreht sich.

Die Proteste der Palästinenser sind verständlich. Die Terrorattacken und ihre Billigung durch die Fatah-Regierung sind es jedoch nicht. "Jeder Märtyrer kommt ins Paradies und jede verletzte Person wird von Gott belohnt", legitimierte Abbas vor einigen Wochen die Anschläge seiner Landsleute.

Unterdessen breiten sich jüdische Siedler immer weiter aus. Sie benutzen ein osmanisches Gesetz aus dem Jahr 1858, mit dem unbebautes Land vom Staat enteignet werden kann. Durch die stete Aushöhlung des Westjordanlands wird eine Zwei-Staaten-Lösung weiter erschwert.

Angst in den Köpfen

"Der einzige Weg, der Israel dauerhafte Sicherheit verspricht und den Palästinensern ihre Hoffnung erfüllt, ist wenn diese beiden Staaten friedlich nebeneinander existieren", ließ Barack Obama als Reaktion auf die Anschläge verlauten. Blöd nur, dass die israelische Bevölkerung ihm nicht glaubt. Im israelischen Wahlkampf Anfang des Jahres lag bis kurz vor Schluss der linke, mit Abbas kooperierende Labor-Kandidat "Bougie" Herzog in den Umfragen vorne. Am Tag vor der Wahl erklärte Netanyahu: "Ich denke, dass jeder, der einen palästinensischen Staat etablieren und Territorien evakuieren will, den radikalen Islamisten Gebiete gibt, um Israel zu attackieren. Die Linken vergraben ihren Kopf im Sand und ignorieren es, aber wir sind realistisch." Das genaue Gegenstück zu Obamas Aussage - doch die Taktik ging auf und Bibi gewann die Wahl. Die Angst seiner Landsleute war zu groß.

Bis zum nächsten Urnengang bleiben Netanyahu dreieinhalb Jahre im Amt. Größere Annäherungen zwischen ihm und Abbas sind unwahrscheinlich, zumal Netanyahus Drohungen nicht leer sind. Ein autonomes Palästina mit einem autonomen Militär wäre in der Tat eine große Bedrohung für Israel, selbst ohne eine potente Hamas. Über Jahrzehnte hinweg haben sich Ressentiments und Abneigungen aufgebaut, die durch eine politische Einigung nicht verschwinden werden. "Die Wut ist das Resultat aus Angst, Demütigung, Frustration und Misstrauen", so Ban Ki-Moon. "Sie wurde von den Wunden von Dekaden des blutigen Konflikts gefüttert, und diese Wunden werden eine lange Zeit brauchen, um wieder zu heilen." Noch sind die Wunden offen, und jeder Tote verhindert die Genesung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Wünschel

Auf meinem Blog Fernweh nach Welt schreibe ich übers Reisen, hier über alles andere. Follow me @fernwehnachwelt.

David Wünschel

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