Die Mär von den falschen Flüchtlingen

Balkan-Migranten Asylbewerber vom Balkan gelten oft als "falsche Flüchtlinge", die es schnell abzuschieben gilt. Ein Blick auf die Fakten jedoch zeigt: Es gibt sehr reale Fluchtgründe

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Guter Flüchtling, schlechter Flüchtling? Asylbewerber warten in Berlin vor dem Bundesamt für Gesundheit und Soziales
Guter Flüchtling, schlechter Flüchtling? Asylbewerber warten in Berlin vor dem Bundesamt für Gesundheit und Soziales

Foto: Sean Gallup/AFP/Getty Images

Wie gut, dass man es dieser Tage so einfach hat mit den Flüchtlingen: will man nicht als rechts gelten, braucht man nur betonen, wie wichtig es sei, Menschen aus Bürgerriegsländern wie Syrien aufzunehmen; aber die Zehntausenden vom Balkan könne man getrost abschieben. Wirtschaftliche Probleme seien nun einmal kein anerkannter Asylgrund. Man habe nichts gegen Ausländer, im Gegenteil: man wolle den armen Syrern und Afghanen ja nur helfen, indem man die „Asylbetrüger“ aus dem Osten schneller loswird.

Diese Argumentation ist in der politischen Debatte weitgehend anerkannt. Von CSU bis Grün – es herrscht Konsens: die Balkan-Migranten sollen raus, koste es, was es wolle. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht dem Vorschlag, Speziallager für Flüchtlinge ohne Aussicht auf Asyl einzurichten und sie im Schnellverfahren abzuschieben, positiv gegenüber, genau wie die Hamburger rot-grüne Koalition. Und der FOCUS macht Auflage mit der „Wahrheit“ über „falsche Flüchtlinge“.

"Sichere" Herkunftsstaaten

Auf Worte folgen Taten. Letztes Jahr wurden – ebenfalls mit Zustimmung Kretschmann, der sich dafür den Hass der grüner Basis zuzog – Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegovina zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Das Prinzip der sicheren Herkunfts- und Drittstaaten gibt es seit dem Asylkompromiss von 1993, als in Deutschland rassistische Ressentiments in offenen Hass und Angriffe auf Flüchtlinge umschlugen und sich die SPD von Christdemokraten und FDP dazu drängen ließ, den Asylparagraphen des Grundgesetzes einzuschränken. Seitdem gilt: Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat hierher kommt oder über ein sicheres Drittland eingereist ist (zu denen angenehmerweise alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik gehören), hat hierzulande keinen Anspruch auf Asyl.

Dieses Jahr nun sollen Kosovo, Montenegro und Albanien auch im Auge des Gesetzes 'sicher' werden – so jedenfalls wünscht es sich die Union.

Dabei stellt sich die Frage, wie zutreffend die Einschätzung der Bundesregierung ist. Flüchtlingsaktivisten befürchten, dass legitime Bedenken, was Bürger- und Menschenrechte in den betroffenen Ländern angeht gegenüber dem politischen Willen, so viel abzuschieben wie möglich, den Kürzeren ziehen.

Systematische Diskriminierung

In den Balkanstaaten ist vor allem die Behandlung der Roma-Minderheit ein Problem. Tatsächlich sind viele der Menschen, die von dort nach Deutschland gehen – entgegen dem Mythos, dem die verzerrte Debatte zugrunde liegt – keine „reinen Wirtschaftsflüchtlinge“, sondern vielmehr auf der Flucht vor systematischer Diskriminierung und Ausgrenzung. Nach FAZ-Recherchen war ein Drittel der Balkan-Flüchtlinge im ersten Quartal 2015 Angehörige der Roma-Minderheit. Ihre Herkunftsländer werden immer wieder von dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und selbst dem Europarat für systematische Diskriminierung von Roma kritisiert – diese leben oftmals in Slums, teils ohne Strom und fließendem Wasser.

In Serbien ist es unter bestimmten Umständen strafbar, mit der Absicht auszureisen Asyl zu beantragen. Die Roma-Siedlungen dort sind teilweise in den Katasterämter nicht verzeichnet – was dazu führt, dass Roma-Kinder keine offiziellen Dokumente erhalten und es so schwer haben, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu haben. Auch in anderen Balkanstaaten sieht es nicht besser aus: In Bosnien-Herzegowina sind nach Angaben der NGO Human Rights Watch bis zu 99 Prozent der Roma arbeitslos (2011). Diese Zahl ist das Ergebnis der systematischen Marginalisierung der Roma, die am Rande der Gesellschaft leben.

Aus diesen Gründen ist die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten fragwürdig – und der Vorschlag, der Liste auch noch Montenegro, Albanien und Kosovo hinzuzufügen ebenso.

Deswegen sind auch viele andere europäische Länder längst nicht so hart im Umgang mit Asylbewerbern aus diesen Ländern wie Deutschland. Sogar in der für ihre Hardliner-Flüchtlingspolitik bekannten Schweiz liegt die Anerkennungsquote für Asylbewerber aus Bosnien bei 15,4% (2014) – im Vergleich zu 1,6 Prozent in Deutschland (2014). Auch in Belgien ist die Anerkennungsquote höher als hier, und in Frankreich werden Roma als „gruppenspezifisch verfolgt“ eingestuft.

Macht man sich also die Mühe, in dieser heftigen Debatte die Fakten zu recherchieren, stellt man fest: Von „massenhaftem Asylmissbrauch“ durch osteuropäische „Wirtschaftsflüchtlinge“ kann keine Rede sein. Der Versuch, zwischen „guten“ Flüchtlingen etwa aus Syrien etwa – und „schlechten“ etwa vom Balkan – zu unterscheiden, ist billiger Populismus. Und er nährt den Hass gegen Fremde, der in diesem Land immer mehr zunimmt.

Die Einschätzung von mehreren Balkanstaaten als „sicher“ entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Farce. Roma sind dort extremen Übergriffen und staatlicher Diskriminierung in massivem Ausmaß ausgesetzt. Doch die Bundesregierung möchte die Zahl der Asylbewerber von dort niedrig halten – um jeden Preis. Und verschließt deshalb die Augen vor der Wahrheit, dass sie mit der Abschiebung von Roma Menschen ins absolute Elend schickt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Antonio Ztr

Schülerjournalist und Fotografiefan . Leidenschaftlich politisch engagiert und interessiert bei Themen wie Menschenrechten oder sozialer Ungleichheit.

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