Gaza, ein Jahr danach

Israel/Palästina Ein Jahr nach dem Krieg leiden die Menschen in Gaza weiter.Militärisch kann Israel den Konflikt nicht beenden, die einzige Hoffnung auf Frieden ist die Zweistaatenlösung

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Ein Jahr nach Israels Militäroffensive geht das Leiden der Menschen im Gazastreifen weiter – und ihr Warten auf Gerechtigkeit. Unter dem erklärten Ziel, den Raketenbeschuss durch die militant-islamistische Hamas unterbinden zu wollen, begannen die israelischen Streitkräfte am 8. Juli 2014, den Gazastreifen zu beschießen. Die menschlichen Kosten der fünfzigtägigen Operation Protective Edge waren enorm. Über 2100 Palästinenser starben (weitaus mehr als in den Jahren 2008/2009 und 2012). Drei viertel von ihnen waren Zivilisten, 551 Kinder starben. 18.000 Wohnungen wurden zerstört, israelische Bombardements trafen auch Krankenhäuser, Flüchtlingsheime, Schulen. Doch bestraft wurde kein einziger israelischer Soldat: letzten Monat erst beispielsweise beendete das israelische Militär eine Untersuchung zu einem Vorfall im Krieg, bei dem israelischer Beschuss am Strand von Gaza vier Kinder getötet hatte. Die israelischen Streitkräfte kamen zur Schlussfolgerung, die israelischen Streitkräfte hätten sich nichts vorzuwerfen. Straflosigkeit mit System.

Kriegsverbrechen aus Kalkül

Wie ein Mantra betonte die israelische Regierung während des Krieges, man tue alles, um zivile Opfer zu vermeiden. Mit der Schutzbehauptung, für tote Zivilisten sei allein Hamas verantwortlich, die ihre Raketen gezielt in Wohngebieten verstecke, wichen israelische Militärs jedweder Verantwortung für die Folgen ihrer Arbeit aus. Und ein beträchtlicher Teil der weltweiten Beobachter übernahm diese Argumentationslinie und warf der Hamas vor, zynisch mit dem Leben der Palästinenser zu spielen. Doch auch wenn die Hamas-Extremisten grausam, korrupt und terroristisch agieren: in diesem Fall ist die Ausrede der israelischen Armee zu simpel. Einerseits waren es israelische Soldaten, die in den vergangenen Jahren systematisch palästinensische Zivilisten als menschliche Schutzschilder missbrauchten ( http://www.washingtonsblog.com/2014/08/israeli-high-court-israeli-soldiers-used-human-shields-1200-times-2006-2011.html) – also, Herr Netanjahu: erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Viel schwerwiegender jedoch ist der begründete Verdacht, dass der Beschuss ziviler Anlagen und die Inkaufnahme ziviler Toter Teil einer perfiden Strategie der israelischen Kommandanten ist: die sogenannte Dahiya-Doktrin. Im Libanonkrieg 2006 hatte die IDF (Israel Defence Forces) das Beiruter Stadtviertel Dahiya praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Zwei Jahre später beschrieb der hochrangige Komandant Gadi Eizenkot – der heute zum Stabschef der IDF aufgestiegen ist – was in Dahiya geschehen sei, würde überall wiederholt. „Wenn sie aus einem Dorf feuern, dann zerstören wir das ganze Dorf“. Unverhältnismäßige Gewalt, Angriffe auf zivile Einrichtungen: Kriegsverbrechen als Kalkül der israelischen Streitkräfte.

Stilles Leid

Gewissermaßen jedoch war der Krieg letztes Jahr auch gut für die Menschen von Gaza: die Brutalität der israelischen Angriffe lenkte den Blick auf die Perspektivlosigkeit und das stille Leiden der Palästinenser. Im Parlamentswahlkampf diesen Frühling kündigte Israels Premier Netanjahu an, mit ihm werde es keinen Palästinenserstaat geben – einige Tage darauf musste er die Aussage auf öffentlichen Druck entschärfen; und dennoch ist klar, dass er und die anderen Hardliner wenig Interesse an einem eigenständigen Staat der Palästinenser haben. Schon letzten Juni, als die Falken in der israelischen Regierung die Entführung drei israelischer Jugendlicher für einen Rundumschlag gegen Hamas im Westjordanland ausnutzten (Militärpräsenz, Massenverhaftungen, Ausgangssperre), erklärte der israelische Politiker und Autor Avraham Burg im Spiegel, Netanjahu wolle keinen Frieden. Ob man diese drastische Einschätzung teilt, bleibt jedem selbst überlassen, klar ist: die massive Ausweitung der nach internationalem Recht illegalen Siedlungen im Westjordanland, das neue Nationalstaatsgesetz, dass den „jüdischen Charakter“ Israels betont und so die arabische Minderheit ausgrenzt und andere Entscheidugen der Netanjahu-Administration behindern eine diplomatische Lösung des Konfliktes. Es geht hier gar nicht darum, unter dem Vorwand der „Israel-Kritik“ antisemitische Vorurteile oder Klischees zu schüren: der Judenhass, der letzten Sommer weltweit aufflammte, ist beschämend und verurteilenswert. Genauso wenig will ich die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und terroristischen Aktivitäten, die von palästinensichen Extremisten ausgehen, leugnen oder kleinreden. Und dennoch appelliere ich hier an die westlichen Partner Israels, Druck auf die Jerusalemer Regierung auszuüben.

Israel kann den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen

Ob Herr Netanjahu es glaubt oder nicht: ein funktionierender palästinensischer Staat, der für das Wohl seiner Bürger garantieren kann und dessen Bewohner (anders als heute) eine Perspektive haben, liegt im nationalen Interesse Israels. Es ist nämlich der einzige Weg, wie der Hamas-Terror gegen Israel je zu beenden ist. Der Hass, den Jahrzehnte der Okkupation und anti-israelische Propaganda in den Köpfen vieler Palästinenser geschaffen haben, lässt sich nicht wegbomben und wegsperren. Solange die Menschen im Westjordanland, in Gaza und die Araber in Israel in einer so verzweifelten Lage sind, werden sie auch nicht aufhören, Raketen zu bauen und Attentate zu planen.

Und bei der Schaffung des Palästinenserstaates, der beiden Völkern ein Leben in Frieden und Sicherheit garantieren würde, spielt Israel eine Schlüsselrolle. Schließlich hält es weiter die Blockade des Gazastreifens aufrecht, eine Blockade, die jedwede Entwicklung von Gaza praktisch unmöglich macht. Außerdem nehmen die israelischen Behörden weiter keinen Abstand von neuen Siedlungsplänen für das Westjordanland.

Herr Netanjahu hält den Schlüssel für Frieden in der Hand. Doch weil er es nicht erkennt, müssen unsere Regierungen eingreifen und ihn darauf drängen, seiner Verantwortung gerecht zu werden – denn zerstörerische Kriege werden langfristig keine Lösung mehr sein.

Auf dass der Nahostkonflikt endlich Geschichte wird. Und Israelis und Palästinenser in Frieden mitenander leben können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Antonio Ztr

Schülerjournalist und Fotografiefan . Leidenschaftlich politisch engagiert und interessiert bei Themen wie Menschenrechten oder sozialer Ungleichheit.

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