Der Hunger nach Wissen

Alte Schriften: Von Fragmenten zum Großen Ganzen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Seit Kurzem erheischt ein nur 8 x 4 cm kleines Papyrus-Fragment mit ein paar Zeilen Schrift die Aufmerksamkeit von befassten Wissenschaftern und interessierten Laien. Ich nehme es hiermit als Beispiel darzulegen, was uns an alten Schriften über die Inhalte der Texte hinaus interessiert.

Was die Wissenschaft anbelangt, so zitiere ich aus dem dazugehörigen Harvard Divinity School-Artikel 'The Gospel of Jesus's Wife: A New Coptic Gospel Papyrus':

"Thus, on the basis of the age of the papyrus, the placement and absorption of the ink on the page, the type of the handwriting, and the Coptic grammar and spelling, it was concluded that it is highly probable that the fragment is an ancient text."

Ich übersetze: "Somit wurde auf der Basis des Alters des Papyrus, der Platzierung und Absorption der Tinte auf der Seite, des Typs der Handschrift, sowie der koptischen Grammatik und Rechtschreibung schlussgefolgert, dass es hochwahrscheinlich ist, dass das Fragment ein antiker Text ist."

Es geht um die naturwissenschaftlichen und die linguistischen Techniken, die die wissenschaftliche Ader in den Menschen ansprechen. Es wird sogar kriminologisches Gespür entwickelt, wie der Gospels.net-Artikel 'The Gospel Of Jesus' Wife' aufzeigt.

Auch die Themen Kultur, Religion und Philosophie sind mit von der Partie. Im vorgenannten Harvard Divinity School-Artikel heißt es weiter:

"This gospel fragment provides a reason to reconsider what we thought we knew by asking what role claims about Jesus's marital status played historically in early Christian controversies over marriage, celibacy, and family."

Ich übersetze: "Dieses Evangelium-Fragment liefert einen Beweggrund zu überdenken, was wir zu wissen dachten, indem wir fragen, welche Rolle Behauptungen über Jesus Ehestatus historisch in frühen christlichen Kontroversen über Heirat, Ehelosigkeit und Familie spielten."

Das Netz brummt aufgrund jenes kleinen Fragments, wie beispielsweise im Blog-Eintrag 'The Gospel of Jesus’ Wife' und weiteren Einträgen auf der Peje Iesous-Website zu lesen ist.

Unter anderem wird im Fragment auf das Logion 101 des Thomas-Evangeliums Bezug genommen, das lautet: "Jesus sprach: Wer seinen Vater und seine Mutter nicht hasst wie ich, wird nicht mein Jünger werden können. Und wer seinen Vater und seine Mutter nicht liebt wie ich, wird nicht mein Jünger werden können. Denn meine Mutter gebar meinen Leib, aber meine wahre Mutter gab mir das Leben."

Da bei den entsprechenden Papyrusseiten Ecken fehlen, entstand die Herausforderung, die Textlücken (fachsprachlich: Lakunen) zu füllen. Das betrifft insbesondere den letzten Satz, wo ich nach der Interpolation der Metalogos-Übersetzung zum Thomas-Evangelium (siehe Fußnote 'Bear') gegangen bin.

Fazit:

Das Interesse erinnert mich an das Logion 69b des Thomas-Evangeliums: "(Jesus sprach:) Selig sind die, die hungern, denn der Bauch dessen wird gefüllt werden, der es wünscht." — und an das Logion 94: "Jesus sprach: Wer sucht, der wird finden, und wer anklopft, dem wird geöffnet werden."

Es gibt den metaphorischen Hunger nach diversem Wissen. Somit sucht und findet der menschliche Geist fortwährend.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Red Bavarian

Die Vergangenheit analysieren, die Gegenwart gestalten, die Zukunft erdenken.

Red Bavarian

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden