Vor einigen Jahren noch habe ich gemeint, dass die Begriffe Klassenkampf und Klassengesellschaft historisch überholt seien. Inzwischen bin ich jedoch eines Besseren gelehrt worden, und zwar von den Macht- und Vermögenseliten in der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Mainstream-Medienwelt. Der Klassenkampf von oben.
Was in der Groß-BRD seit gut 20 Jahren dergestalt alles läuft, das erschreckt mich. Die neuen Studien 'Die Mitte in der Krise' und 'Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit' (als PDF-Dokumente) zeigen wissenschaftlich untersuchend, was los ist. Siehe dazu auch die Blog-Artikel 'Für Diktatur und Führer: Neue Studie zu rechtsextremen Denkmustern' und 'Antimuslimischer Klassenkampf'.
Als Elemente des Syndroms Grunppenbezogene Menschenfeindlichkeit identifizierbar als Ideologie der Ungleichwertigkeit sind in der entsprechenden Studie berücksichtigt worden: Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Abwertung von Langzeitarbeitslosen, Abwertung von Behinderten, Abwertung von Obdachlosen, Islamfeindlichkeit, Etabliertenvorrechte.
Als Linker in Bayern setze ich noch hinzu: Linkenfeindlichkeit. Wenn ich den Artikel über Kurt Eisner lese und das mit meinen eigenen Erfahrungen und denen meiner Genossinnen und Genossen heute vergleiche, dann wird mir noch stärker ungut zumut, was wohl auf uns alle zukommen wird.
Auf einem Vortrag heuer über die Nazi-Zeit in Fürth und Nürnberg zwischen 1933 - 1945 ist in der nachfolgenden Diskussion die Frage aufgetaucht, was wir - die Zuhörer - damals getan hätten. Ich weiß es nicht wirklich, wahrscheinlich wäre ich ins Exil gegangen. Wobei mir die Frage von der Zeit her zu spät angesetzt ist. Sie hätte eher lauten sollen, was wir damals in der Weimarer Republik 1919 - 1932 getan hätten. Das kann ich leichter beantworten: Das Gleiche, was ich heutzutage tue, nämlich linksaktiv in verschiedener Form sein. Vor dem Vortrag hatte ich an einer friedlichen antifaschistischen Demo teilgenommen, wo interessanterweise jemand am Straßenrand gesagt hat, wir (also die Demonstranten) seien nicht anders als die (also die Neonazis).
Wobei ich als Aktiver am Grundsatz der Gewaltlosigkeit festhalte, die sich über die Zeit aus dem Urchristentum herleitet. Jesus ist aus heutiger Sicht erkennbar als gewaltloser Revolutionär zu seiner Zeit, als die Menschen unter den damaligen Macht- und Vermögenseliten zu leiden hatten, was ihn auch heute wieder in analogen Zeiten als Vorbild erscheinen lässt.
Meine generelle Erkenntnis aus den vergangenen gut 20 Jahren ist: Durch Nichtstun werden die Zustände und Missstände, wie sie in den oben genannten Studien analysiert werden, immer schlimmer. Gerade in Europa hat die tätige Emanzipation eine über 600 Jahre andauernde Tradition: der Humanismus, die Aufklärung, die Demokratie, der Sozialismus, die Neuen Sozialen / Alternativen Bewegungen.
Zum bewegten und linken Aktivsein gehört auch die Selbstorganisation, wie beispielsweise im Blog-Artikel 'PISA: Arbeiterkinder organisiert euch!' geschildert, sowie die Solidarität der abgewerteten Gruppen untereinander. Am deutlichsten gespürt habe ich das heuer auf einer größeren antifaschistischen Soli-Demo, wo das Motto 'Hoch die internationale Solidarität' gerufen worden ist. Der konkrete Anlass der Kundgebung mit Demo war, dass ein Deutschkurde von einem Neonazi fast totgeschlagen worden ist. Die Veranstaltung ist rundum friedlich verlaufen. Es sind Seite an Seite beispielsweise Deutsche, Kurden und Türken, Jungendliche, Erwachsene und Senioren, "Normalbürger", Punks und Autonome, u.v.m. auf die Straße gegangen.
Wenn ich in meinem klassischen Arbeiterviertel und im benachbarten linken Viertel schaue, dann erkenne ich, dass sich in der Jugend der Großstädte eine neue Kombi-Gesellschaftsklasse aus all den jungen Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt werden, formiert. Salopp formuliert: Migrantenkinder, Muslimkinder, Hartzkinder, Prekärarbeiterkinder, u.a. Das ist die Arbeiterklasse des 21. Jahrhunderts, die nicht so geduldig und ruhig drauf ist wie ihre Großeltern in der Wirtschaftswunderzeit und ihre Eltern in der Sozialstaatszeit, sondern zurecht rebellisch und aufgeregt ist in der heutigen Zeit des repressiven und sozialdarwinistischen Wettbewerbsstaates, der ihr aufgedrückt wird.
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16:06 08.12.2010
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Kommentare 1
Im Grunde fand Klassenkampf immer statt. Die ab den 60er Jahren verbreitete Parole: "Jetzt geht es doch Allen gut, die Zeiten der Not, der Arbeitslosigkeit, des Bangnes um ein bisschen Einkommen sind vorüber und es wird auf ewig so bleiben": Auch das war Klassenkampf von oben. Man sollte nicht darüber nachdenken, dass die Lebensbedingungen von 1970 nicht so bleiben können. E s war gelungen, die Menschen im Konsumrausch von Automobil, Neckermann-Reisen usw. einzubinden und vom Nachdenken über die Zukunft abzuhalten.
>>Linkenfeindlichkeit.
Das sieht man ja auch hier. Die „Kapitalismus is geil“-Agitatoren vermeiden jede Auseinandersetzung mit dem Programmentwurf. Ihre Kommentare über die Linke sind panisch, ohne konkrete Inhalte. Einzig darauf ausgerichtet, dass Diskussionen nicht in Gang kommen.
>>'Hoch die internationale Solidarität'
Das war auch bei der „zentralen Montagsdemo“ in Berlin so. Ein paar Venezolaner (nicht aus diesem Grunde angereist :-) ) hatten sich der Demo angeschlossen. Internationale Solidarität ist keine Worthülse, sondern wichtig: Privatbesitzmehrer agieren auch global.
>>Das ist die Arbeiterklasse des 21. Jahrhunderts, die nicht so geduldig und ruhig drauf ist wie ihre Großeltern in der Wirtschaftswunderzeit
Dort liegt das Potential für die Gestaltung der Zukunft, das sehe ich auch so.
Fortschrittsimpulse sind noch nie von dort ausgegangen, wo man sich wohlig in die Verhältnisse eingepuppt hat und hofft, dass sich das möglichst lange nicht ändern werde. (Dort wird eher darüber diskutiert, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben :-) )
Von kommt nur immer wieder der Schlachtruf: "Systemrettung!" Ohne Rücksicht auf Verluste. (Verluste für Andere, versteht sich) Denn das Sein bestimmt immer noch das Bewusstsein.
Man kann aber nicht oft genug darauf hinweisen, dass die lustigen Massenmedien Gehirnwachsmittel sind, mit denen gerade die jüngere Generation vom freien Selberdenken abgehalten werden soll…
Nicht von ungefähr ist Fernsehen unter Hatz4 gebührenfrei.
Auf meine Generation kann man tatsächlich nicht zählen. Ich habe erlebt, wie Kollegen, die bis zur Kündigung selber die Hetze gegen die „faulen Arbeitslosen“ mitmachten, in tiefe Depression fielen, als sie plötzlich selber zu den Beschimpften gehörten. Die Meisten erholen sich davon offenbar nicht mehr. Leider, denn wir hätten Erfahrungen einzubringen.