Derzeit bewegt die Freitags-Community die Frage, was eigentlich links sei. Wenn ich links beschreiben müsste, so ist die kürzeste Antwort, die mir einfällt: Links ist ein Etikett. Die längste: Da müsste ich ein mehrbändiges Werk schreiben. So beschränke ich mich auf das, was mir beim heutigen Stand der Dinge am besten zusagt: der Demokratische Sozialismus.
Die Grundwerte des Demokratischen Sozialismus sind Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Solidarität. Somit bedingen Demokratie und Sozialismus einander. Ohne Demokratie wird Sozialismus zum Realsozialismus, wie man ihn in der DDR sehen konnte. Ohne Sozialismus wird Demokratie zur Realdemokratie, wie man sie heute in der BRD sehen kann.
Die BRD definiert sich idealerweise als freiheitlich-demokratischer Sozial- und Rechtsstaat. Der Demokratische Sozialismus in seiner vorgenannten Definition widerspricht diesem Ideal nicht. Die ideale Bundesrepublik Deutschland könnte man somit als Demokratisch Sozialistische Bundesrepublik Deutschland bezeichnen. Die Frage, die sich dazu stellt: Wer hat etwas gegen die Grundwerte Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Solidarität?
Gehen wir zurück zum Unabhängigkeitskrieg 1775 bis 1783 mit der Unabhängigkeitserklärung 1776 der Kolonisten in Nordamerika gegen die Britische Herrschaft. Die daraus entstandenen USA mit ihrer 1788 ratifizierten und bis heute gültigen Verfassung gilt uns als Meilenstein der neuzeitlichen Demokratie. Allerdings war sie in der Praxis menschen- und bürgerrechtlich massiv selektiv. Per Verfassungserweiterung wurde die Sklaverei erst 1865 abgeschafft, die Schwarzen erhielten erst 1868 die vollen Bürgerrechte, die Frauen erhielten erst 1919 das Wahlrecht. Die Indianer erhielten erst 1924 per Gesetz die vollen Bürgerrechte. Das ist allein das Rechtliche. Es bedurfte eines langen Kampfes sozialer Bewegungen davor und danach, damit die zusätzlichen Rechte geschaffen, umgesetzt und zudem in der Allgemeinheit verankert wurden.
Das Beispiel USA zeigt uns deutlich, dass man sich zusätzlich zum politischem System auch um die Gesellschaft kümmern muss.
Schauen wir uns nun den Kapitalismus an. Ich lebe in einem klassischen Arbeiterviertel. Dort entstanden im 19. Jahrhundert viele Fabriken, für die viele Arbeitskräfte gebraucht wurden. Auch viele Menschen aus dem Umland zogen in die Großstadt, um hier zu arbeiten. Schließlich herrschten in der Arbeiterschaft zunehmend Armut, Wohnungsnot und unhygienische Verhältnisse. Die Arbeiter waren auf sich allein gestellt, weil weder der Staat, noch die Stadt sich um die Nöte der Arbeiterschaft kümmerten. Die Unternehmer zahlten den Arbeitern Löhne, das war's. Die Hauseigentümer nutzten die Situation noch aus, um von den Arbeitern Wuchermieten zu verlangen, auch für miserable Behausungen. Ein bemerkenswertes Fazit gab es vom Nürnberger Lehrer Hans Hess, der 1893 einen Bericht über die Wohnverhältnisse von Arbeiterfamilien erstellt hatte: »Und da der Verlauf der letzten ebenso wie früherer Cholera-Epidemien und anderer Krankheiten deutlich gezeigt hat, dass dieselben in der Wohnung des schlecht genährten Proletariers wohl ihren Herd haben, aber, einmal vorhanden, vor den Thüren der Paläste nicht Halt machen, so zwingt uns, von allen Beweggründen primitiver Nächstenliebe ganz abgesehen, der Selbsterhaltungstrieb, für bessere Existenzbedingungen der Besitzlosen Sorge zu tragen.« Hans Hess forderte deshalb: »Es wird also nötig werden, dass entweder die Stadt oder eine mit bedeutenden Kapitalien arbeitende Privatgesellschaft den Bau von Arbeiterwohnhäusern in verschiedenen Stadtgebieten übernimmt.«
Das ist der ungezügelte Kapitalismus, der die Eigentümer reich macht und die Arbeiter im Elend versinken lässt. Das Beispiel aus meiner Stadt zeigt deutlich, dass man sich zusätzlich zum politische System und zur Gesellschaft auch um die Wirtschaft kümmern muss.
Der Demokratische Sozialismus nun ist ein Gesamtmodell für das 21. Jahrhundert, das sich um politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Fragen im Verbund kümmert, um möglichst vielen Menschen ein gutes Leben zu garantieren. Man denke auch an die Französische Revolution Ende des 18. Jahrhunderts, deren Losung Liberté, Egalité, Fraternité - also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - war, analog zu Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Solidarität.
Heutzutage sehe ich eine Rückwärtsentwicklung auf allen Gebieten. Als Kind habe ich mal etwas von Entwicklungshilfe gelernt. Dass die reiche BRD den Menschen in den Entwicklungsländern hilft, damit sie nicht in Not und Armut versinken. In jungen Jahren hatte ich auch schon mal daran gedacht, als Entwicklungshelfer weit weg zu gehen. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich diese Arbeit hier mache, dass dieser Beruf Demokratischer Sozialist heißt, und dass die Entwicklungshilfe-Organisation Die Linke heißt, ich hätte über diesen Witz gelacht.
P.S.: Die oben gestellte Frage ist glaube ich beantwortet.
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Kommentare 5
Ich finde die Frage 'Was ist links?' ja, mit Verlaub, ziemlich infantil. Aber das hier ist auf jeden Fall der bisher einzige substanzielle Beitrag zu dieser seltsamen Diskussion.
Danke!
Aber goedzak, der FREITAG ist eine im linken Millieu angesiedelte Zeitung - ich sage auch Ihnen: wenn Ihnen diese Diskussion infantil erscheint, dann sind Sie hier im falschen Forum. Schlimmer noch, sie machen es nicht nur sich schwer, sondern auch der an diesen Dingen wirklich interessierten Leserschaft, in einem Wort, der bisherigen Freitag-Leserschaft. Die wird nämlich von solcher Meckerei ziemlich abgestoßen und ist gelangweilt von den ihnen immer wieder abgenötigten Rechtfertigungen, warum links im real praktizierten Kapita-lismus nun mal wichtig ist. Bitte, tun sie uns hier den Gefallen - entweder sie akzeptieren das Linke hier als Geschäftsgrundlage oder anderenfalls: Suchen Sie sich doch eine Community die ihren Interessen besser entgegenkommen kann. Wir sind ja schließlich nicht mehr in der DDR , nicht wahr?
rotstift, als Hellseher oder Inderbuchstabensuppeleser biste ungeeignet.
Eben, die Linke muss sich bewegen, sonst ist alles Makulatur.
Norberto Bobbio. Rechts und Links. Gründe einer politischen Entscheidung. 1994
Absolut empfehlenswert für den ewigen Umgang mit "was ist links und rechts"