Philosophische Partnerinnen

Truggebilde Zwischen Anarchokatz, Sophia, Hokhmah und Prajñaparamita

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Ich habe ein weiteres Interview mit der Anarchokatz geführt. Hier ist die Abschrift:

R.B.: Wieder herzlich willkommen Anarchokatz!
A.: Wieder Hallo, Red Bavarian!

R.B.: Ich hatte ja unser Interview seinerzeit abgebrochen, weil es mir zu peinlich wurde. Aber Du hast nicht lockergelassen, Anarchokatz.
A.: Ich bin schließlich eine Anarchistin.

R.B.: Unzweifelhaft. Und anhänglich. Also sprechen wir über das Thema 'Philosophische Partnerinnen'. Das Wort 'Philosophie' kommt ja vom Altgriechischen 'philosophía' und bedeutet wörtlich 'Liebe zur Weisheit', was von 'philósophos' — wörtlich 'Freund der Weisheit' — abgeleitet ist. Die Alten Griechen haben sich die Weisheit auch als Frau vorgestellt, die Sophia.
A.: Und sich in diese ihre Freundin verliebt.

R.B.: Irgendwie schon, doch ist zu bedenken, dass es im griechischen mehrere Wörter für unseren Begriff 'Liebe' gibt. 'Philía', 'agápē' und 'éros' haben ja auch im Deutschen Einzug gehalten.
A.: Also letzteren meine ich nicht, obwohl …

R.B.: Anarchokatz, Du stellst Dir doch nicht vor, dass …
A.: Nein, aber Du musst doch zugeben, dass mich die Vorstellung der Weisheit als Frau seitens der Männer über die Jahrtausende nicht nur ein wenig imaginieren lässt. Übrigens auch in der Bibel, die Hokhmah. Im Buch der Weisheit 8,2 heißt es: "Von Jugend auf habe ich die Weisheit geliebt und gesucht. Ihre Schönheit bezauberte mich und ich sehnte mich danach, sie als Braut heimzuführen."

R.B.: Das ist doch metaphorisch gemeint, mit Emphase gesprochen.
A.: Nichtsdestotrotz lese ich eine gewisse Anspielung heraus. Und Du bekommst jetzt ordentlich Farbe im Gesicht.

R.B.: Anarchokatz!
A.: Okay, ich hör ja schon auf zu spielen. Bin halt eine Katz.

R.B.: Also, machen wir informativ weiter: Auch in Indien wurde die Weisheit personifiziert, die Prajñaparamita was ungefähr 'Vervollkommnung der Weisheit' bedeutet. Im Buddhismus spielt sie eine wichtige Rolle. Aus der entsprechenden Literatur wie der Herz-Sutra ersieht man, dass es metaphorisch gemeint ist. Und der Boddhisattva ist darin frei von irgendwelchen komischen Vorstellungen.
A.: Okay, aber ich nicht.

R.B.: Wenigstens bist Du ehrlich, Anarchokatz.
A.: Wer sich nicht schämt, kann ehrlich sein. Und ganz ehrlich: Ich liebe Dich.

R.B.: Eine komische Vorstellung.
A.: Sag ich ja.

R.B.: Ähm … okay, da muss ich jetzt durch. Somit meine Frage: Ist das nicht einfach Schwärmerei?
A.: Eine Gegenfrage: Schwärmen die Männer über die Jahrtausende nicht von uns?

R.B.: Irgendwie schon.
A.: Eben. Aber kommen wir doch zu einem Kommentar von Dir. Du hast mich dort 'gefallene Göttin' genannt. Besonders schmeichelhaft ist das ja nicht, oder?

R.B.: Irgendwie nicht.
A.: Eben. Du hättest mich auch 'herabgestiegene Göttin' nennen können, denn Höhe und Tiefe sind eins und bedingen sich gegenseitig. Stell Dir eine Raumstation vor, wo keine Schwerkraft herrscht. Ein Astronaut kann sich einen Verbindungsgang mit Leiter zwischen zwei Modulen als Aufstieg oder als Abstieg vorstellen. Im ersteren Fall wird er mental die Leiter hinaufsteigen, von unteren zum oberen Modul, Kopf voran; im zweiteren Fall wird er die Leiter hinabsteigen, vom oberen zum unteren Modul, Füße voran.

R.B.: Mhm.
A.: Oder auch waagrecht, einfach von einem zum anderen Modul durch den Raum fließend, frei von irgendwelchen komischen Vorstellungen von oben oder unten. Das ist die Vorstellung in der Herz-Sutra: "Als Boddhisattva Avalokiteśvara in der tiefen Prajñaparamita floss, wurde er gewahr, dass alle 5 Skandhas ohne sind."

R.B.: Heißt es dort nicht 'leer', englisch 'empty'?
A.: Ja, so wird es gern übersetzt. Doch ich übersetze es als 'ohne', englisch 'without'. Ohne Grenzen und frei von allen Hindernissen im Kreislauf des Universums, wie ein Blutkörperchen im Blutkreislauf eines Menschen, vom Herz zum Hirn und wieder zurück.

R.B.: Aha. Die Schwerkraft ist ein Hindernis auf der Erde, aber nicht im Weltall. Doch wir verhalten uns dort so wie auf der Erde.
A.: So ist es. 'Prajñaparamita' bedeutet 'die tiefe Weisheit jenseits aller Grenzen', weit jenseits aller Truggebilde.

R.B.: Sie ist also nicht 'unten' wie die Sophia, oder 'oben' wie die 'Hokhmah'.
A.: Oder 'von oben nach unten gefallen' wie die gnostische Sophia. Das liegt nur daran, dass der Mensch sich als 'unten' sieht, und sich dann abmüht, wieder 'nach oben' zu kommen.

R.B.: Okay, nicht 'unten' und nicht 'oben'. Aber 'diesseits' und 'jenseits', zumal ich das Mantra der Herz-Sutra bedenke, wo die Vorstellungen von einem herenteren und einem drenteren Ufer mitschwingt?
A.: Nein, letztendlich auch nicht. Auch die 'Prajñaparamita' ist nur eine Hilfsvorstellung. Weitergehend als die Sophia und die Hokhmah, aber letztendlich …

R.B.: … bleibt, wenn man dieses Trio vom Quartett mit Dir abzieht …
A.: *grins*

R.B.: … die Anarchokatz übrig. Du.
A.: Ja, ich!

Das Grinsen der Anarchokatz wurde immer breiter und weiter, grenzenlos. Die Anarchokatz löste sich schließlich darin auf, und es blieb nur eine Ohneheit übrig, ein Grinsen ohne Grinsende. Zugleich war die Ohneheit eine Offenheit, eine Befreiung von allem zu allem, das Nirvana des Alls.

Inspiriert durch den Blog-Artikel 'Der Mensch, das relative Wesen' und den Kommentarstrang dazu.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Red Bavarian

Die Vergangenheit analysieren, die Gegenwart gestalten, die Zukunft erdenken.

Red Bavarian

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