Schlangestehen

BRD-DDR Geh doch nach Drüben — 300 Meter habe ich bis dorthin

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Mitunter kommt es mir so vor, dass nicht die DDR von der BRD übernommen wurde, sondern die BRD von der DDR.

Ich wohne in einem finanziell benachteiligten Stadtviertel — historisch ein klassisches Arbeiterviertel seit dem 19. Jahrhundert, siehe auch meinen Blog-Artikel 'Linksbewegt'. Es gibt in der Nähe einen Bäcker, bei dem in der letzten Stunde eines jeden Verkaufstages Happy Hour ist. Das heißt, es gibt alles zum halben Preis.

Das erste Mal habe ich es vor nun schon ein paar Jahren mitgekriegt, als ich mir nach Feierabend etwas dort kaufen wollte. Vor mir waren schon ein paar Leute da, doch wurde ich sofort drangenommen. Als ich Verkäuferin darauf ansprach, teilte sie mir mit, dass das schon richtig so sei. Es waren nämlich Leute, die auf die bald anbrechende Happy Hour warteten. Heutzutage müssen diese Menschen draußen warten, und es bildet sich schon bis zu einer halben Stunde vorher eine Warteschlange, und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, reicht der Platz im Laden manchmal kaum aus, alle Menschen aufzunehmen.

Da ich heutzutage auch zu den finanziell Benachteiligten gehöre, nutze auch ich die Happy Hour seit einiger Zeit. Allerdings stelle ich mich nur noch an, wenn die Schlange nicht länger als die lange Theke ist. Oder ich gehe relativ kurz vor Ladenschluss hin, in der Hoffnung, dass es das Gewünschte noch gibt, was leider öfters nicht der Fall ist. Doch wende ich die Zwei-Tage-Methode an, die mir eine Verkäuferin einmal empfohlen hat. Das heißt, jeden zweiten Tag ist voraussichtlich weniger los. Inklusive meiner verfeinerten Planung erziele ich nun verbesserte Ergebnisse zwischen Wartezeit und Warenverfügbarkeit.

Doch zurück zur eigentlichen Sache: Sofern ich als lebenslanger Westbürger in Bezug auf die real existiert habende DDR nicht danebenliege, müsste es dort mit dem Schlangestehen ähnlich zugegangen sein. Mit dem Unterschied, dass es nicht am Mangel an Waren liegt, denn der Laden ist vor den Happy Hours voll bestückt, sondern am Mangel an Geld bei einer zunehmenden Anzahl von Menschen in meinem Stadtviertel.

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Geschrieben von

Red Bavarian

Die Vergangenheit analysieren, die Gegenwart gestalten, die Zukunft erdenken.

Red Bavarian

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