„Auf dem Weg in die lupenreine Diktatur“

Meinungsfreiheit Wir machen es uns zu leicht. Während wir anderswo für Meinungsfreiheit eintreten, hören wir unseren eigenen Oppositionellen nicht zu

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http://bilder.augsburger-allgemeine.de/img/21410081-1344415860000/topTeaser_crop_Nadeschda-Tolokonnikowa-gibt-sich-k-mpferisch.-Foto-Sergei-Chirikov.jpgPussy Riot Bandmitglied ist da für unsere Medien (Bild: dpa)

Auf dem Weg in die lupenreine Diktatur“ so weit geht das Magazin „Der Spiegel“ diese Woche. Eine weitere hetzerische Headline die eine Gerichtsverhandlung in Russland hochspielt, in der die Band „Pussy Riot“ wegen angeblicher Gotteslästerung angeklagt ist und mit bis zu 3 Jahren Gefängnis rechnen muss. Die Punkband, die aus mehreren jungen Frauen besteht, ist Medienliebling und ihr wird großes Potential zugesprochen, das „System Putin“ nachhaltig zu stören.

Die Süddeutsche Zeitung ging auf die Straße und fragte die Menschen in einer deutschen Einkaufsstraße zu ihrer Meinung zu dem russischen Richterspruch: „Schon ganz schön übertrieben“. Unverständnis über die Regierung Russlands. Doch wirklich überrascht ist niemand. Russland wird hierzulande schon seit jeher als Quasi-Diktatur mit großen Bedarf an Meinungsfreiheit nach westlichem Vorbild gehandelt. Michael Schindhelm beginnt sein Essay in der Süddeutschen mit den folgenden Worten:

Die Inhaftierung der drei "Pussy Riot"-Sängerinnen ist ein Beispiel für das grimmige Russland, in dem eine rechtsfreie Oligarchie dominiert und ein Präsident seine Macht mit Hilfe von Polizeieinsätzen stabilisiert. Doch in der Hauptstadt hat sich eine urbane Subkultur entwickelt, deren Anhänger sich nichts mehr verbieten lassen - und Putin eines Tages gefährlich werden könnten.

Können wir uns das leisten? Haben wir wirklich die Freiheiten, die wir angeblich in Russland sehen wollen? Seit wann interessiert uns die Rechtslage in Russland so sehr? Was ist dann mit anderen Ländern, in denen es noch schlimmer zu geht? Und was ist eigentlich mit uns?

Unsere Oppositionellen haben es nicht leichter

Wenn die Süddeutsche über Moskaus „urbane Subkultur“ schreibt und diese zur Hoffnung der Revolution stilisiert, fragt man sich doch, wie es um unsere urbane Subkultur eigentlich steht. Wie sieht es mit unserer Revolution aus?

Occupy Frankfurt, eine Gruppe junger Menschen mit Idealen und berechtigten Zweifeln harrte seit Monaten in der Frankfurter Bankencity aus. Dort haben sie an Konzepten für eine gerechtere Welt gearbeitet und mit Menschen auf der Straße über Probleme gesprochen. Nachdem die unägliche „Bild-Zeitung“ wochenlang über Ratten, Müll sowie Sinti & Roma im Camp schrieb, schien es in den rassistischen und ignoranten Teilen unserer Gesellschaft genug Abscheu und Unverständnis gegenüber den Occupisten zu geben. Die Polizei kam darauffhin dann letzte Woche schließlich zur Räumung des Camps vorbei.

In den USA wurde ein Soldat inhaftiert der seit Jahren unter widrigsten Bedingungen festgehalten wird und dem eine lebenslange Strafe bevorsteht. Die Anklage: Bradley Manning soll ein abscheuliches Verbrechen von US-Soldaten im Irak aufgedeckt und uns daran erinnert haben, dass es keinen sauberen Krieg gibt.

In Großbritannien wird nun Julian Assange, der weitere angeblich von Manning stammende geheime Dokumente veröffentlicht hat, seit Jahren von der Justiz bedroht. Er ist wegen angeblicher Sexualdelikte angeklagt und soll ausgeliefert werden. Nie hat die britische Polizei wegen eines Sexualdeliktes einen derartig großen Polizeieinsatz gefahren. Auf „ZEIT Online“ wird Assanges Mutter mit den folgenden Worten zitiert

"Was die USA wollen, bekommen die USA von ihren Verbündeten, unabhängig davon, ob es legal ist oder ethisch zu vertreten oder ein Verstoß gegen Rechte"

Weniger Verhaftungen, weniger Prügel – aber kein offenes Ohr

Wir wollen mehr Rechte für Punkbands und Blogger in anderen Teilen der Welt. In Ländern die uns fremd sind, denen gegenüber wir uns gesellschaftlich überlegen fühlen.

Doch wer interessiert sich hierzulande für die konsum- und arbeitsverweigernde Haltung der Punks? Wer interessiert sich für unsere Blogger, die gegen den Mainstream und unser Weltbild schreiben?

In der Regel stehen unsere Punks in der Isolation, sie werden als dreckige arbeitsfaule Säufer gebrandmarkt. Unsere Politiker sagen ihnen, sie sollen sich Waschen, damit sie einen Job bekommen. Wer keine Arbeit hat, wird ohnehin kaum ernst genommen. Der Blogger, der über die Missstände in unserer Gesellschaft schreibt, wird ignoriert. Wenn er gut wäre, würde er beim Spiegel schreiben. Denn den liest schließlich (fast) jeder.

Wir verhaften unsere Oppositionellen seltener, sie werden weniger oft gefoltert. Und das ist gut. Doch unsere Gesellschaft hat längst viel bessere Tricks gefunden, mit gefährlichen Ideen und Freidenkern umzugehen.

Einige davon: Isolation, Verleumdung und Ignoranz.

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