Es ist früher Abend, Sascha Lobo steht auf der Hauptbühne der re:publica, wie immer in Anzug und Turnschuhen, und wie immer unter Strom. Halle 1 ist randvoll, wohl 3.000 Leute. Elvis has entered the building.
Man könnte Lobo den Lokal-Matador nennen, oder das Maskottchen der re:publica. Aber so wie der Blogger hier spricht, wie er mahnt und anprangert, sich milde zeigt und wieder in Rage redet, wird deutlich, dass er noch etwas anderes ist: So etwas wie der Hirte der deutschen Netzgemeinde. Und der Hirte ist an diesem Abend nicht nur zornig mit seiner Gemeinde. Er hat einiges mit ihr vor.
"Ihr tut so, als wäre euch Netzpolitik wichtig", schmettert er ihr gleich mal entgegen. "Ihr twittert – aber ihr überweist nicht!" Dann wirft er das Bild eines Vogels an die Wand, eine Bekassine. "Das ist der Vogel des Jahres 2013. Gewählt vom LBV, dem Landesbund für Vogelschutz", ruft Lobo. "75.000 ehrenamtliche Mitarbeiter kümmern sich um diesen Vogel. 120 Festangestellte. Finanziert von den Spenden eurer Eltern. Dieser Vogel ist euren Eltern mehr wert als euch das Internet!“
Lobo redet über die Prozeduren der politischen Einflussnahme, über Kosten, Ausdauer und Konstanz, über die Diskrepanz zwischen 75.000 Vogelschützern und einer Handvoll Internetaktivisten. "Bisher habe ich uns immer bezeichnet als selbstbeauftragte Hobby-Internet-Lobby", sagt er. „Heute müssen wir das ‚Hobby’ aus dem Wort streichen. Ich nehme dieses böse Wort jetzt in den Mund: Professionalisierung!“
Es wird viel geredet, über den Wandel der re:publica, dieser Konferenz, die 2007 als Insidertreffen von Bloggern und Internetaktivisten gestartet ist. Auf mehr als 5.000 Teilnehmer ist die Konferenz dieses Jahr gewachsen. Sprecher sind nicht mehr nur noch Computerexperten, die sich an ein kleines Expertenpublikum wenden. Heute kommen auch Stars der Aktivistenszene, wie etwa Bianca Jagger, die – in rosa Mantel und Gehstock im Dalmatinermuster – ein paar „Make-the-difference“-Sätze zum Besten gibt.
Der Einfall des Mainstreams ist kein Unfall
Nicht jedem unter den Alteingessenen ist das geheuer. Vor allem nicht, dass die Veranstaltung seit zwei Jahren von einem großen Autokonzern gesponsort wird. Doch bei Lobos Worten wird vor allem deutlich: Der Einfall des Mainstreams auf die re:publica ist kein Unfall.
Auf der ersten re:publica nach Bekanntwerden der Spähangriffe durch die NSA, und im Angesicht einer Kanzlerin, die sich, wie Lobo sagt, "mehr für Obamas Gewürzgarten interessiert als für unsere Grundrechte", wächst das Bewusstsein, dass der Kampf für ein freies Internet nicht mehr mit einer netten Truppe aus befreundeten Computerfreaks zu bewältigen ist.
"Wir brauchen Ausdauer und beständige Strukturen, und das kostet Geld", sagt Lobo. "Und müssen uns dazu auch mit Leuten an einen Tisch setzen, die uns nerven. Wir brauchen den Marsch in die Institutionen."
Klar, mittlerweile gibt es auf der re:publica einen Stand, an dem jemand versucht, Lollis mit Insekten als Trend zu etablieren. Und das Ekelhafte daran sind nicht die Würmer, sondern die Durschaubarkeit der Marketingleute, die hier irgendwelche Geeks an glasierten Schaben lutschen lassen wollen – in der Hoffnung, dass man das in einem Jahr im Prenzlauer Berg zitiert. Ja, Kai Diekmann kommt mittlerweile auch. Und ja: David Hasselhoff war auch da, als Werbefigur einer finnischen IT-Firma.
Aber unter den Menschen, die sich dabei am Bühnenrand drängten, stand eben auch, bis über beide Ohren grinsend, Sarah Harrison. Die Wikileaks-Mitarbeiterin ist eine der engsten Vertrauten von Edward Snowden und begleitete ihn im Juni 2013 unter anderem auf seinem Flug von Hongkong nach Moskau. Seit dem Herbst lebt sie in Berlin, weil sie Angst vor politischer Verfolgung in ihrem Heimatland England hat. Sie fand auf der re:publica eine Bühne, wie es sie in Deutschland, und vielleicht sogar in Europa kein zweites Mal gibt.
Aufkärung für die Allgemeinbevölkerung
Was es auch heißen könnte, wenn man sagt, die re:publica sei heute Mainstream, sieht man etwa bei Jacob Appelbaum. Der Hacker und Cyberaktivist, der ebenfalls zu den Vertrauten von Edward Snowden gehört, und ebenso wie Harrison aus Furcht vor Verfolgung in Berlin lebt, ist einer der profiliertesten Experten zum Thema Verschlüsselung. Er könnte einen Krypto-Talk für ziemlich schlaue Menschen geben. Stattdessen zeigt er auf der Hauptbühne lieber lustige Filmchen. Seine These: Die Ausflüchte, mit denen sich die meisten Menschen heute um die Verschlüsselung ihrer digitalen Kommunikation herumdrucksen, sind die gleichen, mit denen sich Menschen in den Achtzigern um ein Kondom herumgeredet haben. "Arrogante weiße, heterosexuelle Männer", sagt Appelbaum. "Die dachten: Mir passiert doch sowieso nichts." Und genau wie damals, müsse man heute leicht zugängliche Aufklärung für die Allgemeinbevölkerung betreiben.
Und dann zeigt sich auch hier wieder das andere Gesicht der Veranstaltung, als sich eine junge Frau aus dem Publikum meldet. In holprigem Englisch sagt sie: "Viele Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, haben Angst, gefoltert zu werden, wenn die Regierung mitbekommt, dass sie verschlüsselt kommunizieren. Was soll ich ihnen sagen?"
Dass die Veranstaltung sich dem Mainstream geöffnet hat, bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie verflacht. Es bedeutet erst einmal, dass Internetpolitik keine Klientelpolitik mehr ist, sondern uns alle angeht. Natürlich ist es für eine Bewegung immer ein gefährlicher Moment, wenn sie sich "professionalisiert". Aber man muss ja nicht gleich so werden wie ein Vogelschutzverband.
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