1914 In der Schlacht um Ostpreußen wird gleich zu Beginn des Weltkriegs eine russische Armee geschlagen. Doch den strategischen Wert des Siegs überschätzt man in Deutschland
Die achttägige Schlacht bei Tannenberg im August 1914 ist die Schlacht des Ersten Weltkriegs, um die hernach der größte Mythos entstand. Das reichte von der monumentalen Gedenkstätte im südlichen Ostpreußen bis zu jenem Einsatzunternehmen 1939, das den Zweiten Weltkrieg eröffnete und den Decknamen Unternehmen Tannenberg erhalten hatte. Vor allem aber begründete sie den – bisweilen angefochtenen – Ruhm des deutschen Oberbefehshabers Paul von Hindenburg, der sowohl im Krieg wie auch als zweiter Reichspräsident nach 1918 eine eher unrühmliche Rolle spielte. Er berief schließlich Adolf Hitler zum Reichskanzler.
An die Spitze der 8. Armee in Ostpreußen gelangte Hindenburg im August 1914, nachdem er bereits im Ruhestand war.
im Ruhestand war. Als Chef des Stabs wurde ihm Generalmajor Erich Ludendorff zur Seite gestellt. Beide fanden eine verzweifelte Lage vor. Von Osten näherte sich die Njemen-Armee unter Führung von General Paul von Rennenkampff. Von Süden rückte die Narew-Armee unter General Alexander Samsonow heran. Jede der beiden Formationen war stärker als die 8. Armee. Man hatte zunächst Rennenkampff schlagen wollen, der erreichbarer zu sein schien, doch gelang das Unternehmen nur halb. Hindenburgs Vorgänger brach die Schlacht – bei Gumbinnen – ab und zog sich hinter die Weichsel zurück.Das wollte die deutsche Oberste Heeresleitung nicht auf sich beruhen lassen und setzte eine neue Armeeführung ein. In deren Stab hatte man freilich schon erkannt, dass es für einen Rückzug zu spät war – Samsonow war zu nah. Kämpfen musste man also auf jeden Fall. Wieder gegen die Njemen-Armee anzutreten, dazu reichte mit Blick auf Samsonow die Zeit nicht. So entschloss man sich, dessen Narew-Armee anzugreifen, und zwar auf ihrem linken Flügel. Nur durch Umfassung eines Flügels kann der Schwächere hoffen, gegen einen Stärkeren zu gewinnen. Mehr war zunächst nicht geplant. Bei einer Niederlage hätte man sich dann immerhin auf die Weichsel zurückziehen können.Mit der Eisenbahn wurde das deutsche I. Armeekorps unter General Hermann von François vom Nordosten des Landes in den Südwesten verlagert. Dies durchzuführen, hieß den Vorteil der „inneren Linie“ nutzen. Danach sollte das Korps entlang der Grenze nach Osten vordringen und den russischen linken Flügel zu umfassen suchen. Den Hauptstoß Samsonows musste das XX. Armeekorps (General Friedrich von Scholtz) in der Mitte des südlichen Landes auffangen. Beide Korps wurden mit allen Reserven verstärkt, die sich zusammenkratzen ließen. Der Plan konnte nur gelingen, wenn Rennenkampff nicht weiter vorstieß . In seiner Nähe standen noch das I. Reservekorps (Generalleutnant Hans von Below) und das XVII. Armeekorps (General August von Mackensen) das bei Gumbinnen arg gerupft worden war.Den Angriff durch das I. Korps wünschte sich das Armeeoberkommando so rasch wie möglich, aber es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen Ludendorff und François, was möglich sei. Es war dies eine von mehreren Situationen, in denen die Autorität Hindenburgs das Notwendige erzwingen musste. Schließlich rückte das I. Korps sehr erfolgreich vor, stieß aber auf die Schwierigkeit, dass es einen linken Flügel der Russen nicht gab. Weiter nach Süden auszugreifen, dazu reichten die deutschen Kräfte nicht. Man rang sich dazu durch, an dieser Stelle in den Aufmarsch der Russen gleichsam ein Loch zu schlagen, zu umfassen, was man umfassen konnte, und den Rest einfach abzusplittern. Das gelang. Nach den Durchbruchskämpfen zog sich ein Teil der Narew-Armee tiefer nach Polen zurück. Zwei und ein halbes Korps aber wurden nach Norden auf das deutsche XX. Korps gedrückt, das schwere Tage erlebte.Da die Njemen-Armee immer noch nicht weiter vorgerückt war, zog die deutsche Armeeführung – sie wusste durch abgehörte Funksprüche über die Pläne des in Insterburg sitzenden Rennenkampff Bescheid – nun zunächst das I. Reservekorps nach Süden, um die linke Flanke des XX. Korps zu sichern. Das lief reibungslos ab. Doch jetzt standen gegen die Njemen-Armee nur noch eine Kavalleriedivision und das XVII. Armeekorps. Das war ein Kräfteverhältnis von zehn zu eins, also gar nichts. Wenn Rennenkampff marschierte, konnte Mackensen nichts dagegen tun. Also war sein Verbleiben in dessen Nähe sinnlos. Folglich entschloss sich die Armeeführung, gegen die schon tief im nördlichen Ostpreußen stehende Njemen-Armee – einige ihrer Spähtrupps erreichten bereits Vororte von Königsberg – nur noch die Kavalleriedivision zu belassen, die die Präsenz einer ganz anderen Truppenstärke vortäuschen sollte, und das XVII. Armeekorps in die Kämpfe nach Süden zu ziehen.Jetzt aber taten Hindenburg und Ludendorff etwas wahrhaft Sensationelles. Statt Mackensens Truppen zur Verstärkung von Scholtz und Below zu schicken, ließen sie das XVII. Armeekorps an ihnen vorbei weiter nach Süden vorstoßen, bis sie sich nahe der polnischen (russischen Grenze) mit den Spitzen des I. Armeekorps vereinigten. Von den vier deutschen Korps waren jetzt zwei und ein halbes russisches Korps eingeschlossen und gingen in Gefangenschaft. Die Reste der Narew-Armee zogen sich nach Polen zurück. Samsonow selbst – er war bei seinen Truppen im Kessel – beging Selbstmord.Die deutsche Armeeführung meldete den Sieg auf Vorschlag des ersten Generalstabsoffiziers, Oberstleutnant Max Hoffmann, unter der Betreffzeile „Tannenberg“. Von diesem Ort her erhielt die Schlacht ihren bedeutungsschweren Namen. 1410 hatten Polen und Litauer hier ein Heer des Deutschen Ritterordens besiegt.Eine der oft gestellten Fragen zu Tannenberg lautet: Warum ist die Njemen-Armee nicht marschiert? Eine Antwort könnte sein, dass Rennenkampff Samsonow nicht leiden konnte. Das war Oberstleutnant Hoffmann bekannt. Überzeugender wirkt, dass Rennenkampff in Königsberg zahlreiche deutsche Truppen vermutete und befürchtete, diese könnten ihn im Rücken fassen, käme er Samsonow zur Hilfe. Wahrscheinlich aber war es so, dass die Njemen-Armee, auch wenn sie vermeinte, die Schlacht bei Gumbinnen gewonnen zu haben, so starke Verluste erlitten hatte, dass sie einfach nicht in der Lage war, allzu rasch eine zweite Schlacht zu wagen.Tannenberg ist sukzessive zur Kesselschlacht geworden. So war sie nicht gedacht und auch nicht angelegt. Geplant war auf den Generalstabsreisen in Ostpreußen, die seit Jahren durchgeführt wurden, nur die Möglichkeit, hinter der Masurischen Seenplatte auf russische Angriffe vom Osten und vom Süden her zu reagieren. Entgegen dem ungeheuren Brimborium, das nach dem Krieg um Tannenberg herum entstand – woran Hindenburg und Ludendorff nicht unbeteiligt waren –, klangen erste Einlassungen der beiden Offiziere, die am Ende des Kriegs das Deutsche Reich wie eine Militärdiktatur beherrschten, sehr viel zurückhaltender. „Der Laie glaubt, im Krieg wäre alles nur ein Rechenexempel mit bestimmten Größen“, sagte etwa Ludendorff. „Es ist alles andere, nur das nicht. Es ist ein gegenseitiges Abringen gewaltiger unbekannter physischer und seelischer Kräfte, und zwar umso schwieriger, je größer die eigene Unterlegenheit ist. Es ist ein Arbeiten mit Menschen von verschiedener Charakterstärke und mit eigenen Gedanken. Der Wille des Führers allein ist der ruhende Pol. “Der ruhende Pol in der Schlacht war Hindenburg – nach dem Urteil einiger etwas zu ruhig. Nicht so dachte General Scholtz. Als der, nachdem das Schwerste überstanden war, dem Oberbefehlshaber, den er seit langem kannte, zum Sieg gratulierte, habe, so erzählte er, Hindenburg ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: „Scholtzchen, Sie wissen, wie’s zugegangen ist. Wir können Direktiven geben, müssen dann aber die Sache gehen lassen und auf unsere braven Truppen vertrauen ... Wissen Sie, wenn das ein Manöver gewesen wäre – den nächsten Tag schon hätten wir den blauen Brief bekommen.“
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