Der 2. Juni 1967 bezeichnet eine tief einschneidende Wende in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Folgen wirken bis heute nach. Und wahrscheinlich trug die Entwicklung des Landes seit Mitte der 60er Jahre am meisten dazu bei, dass sich die Menschen in den bis 1990 bestehenden beiden deutschen Staaten fremd wurden und zum Teil bis heute fremd geblieben sind. An jenem 2. Juni besuchte der Schah von Persien mit seiner Frau Farah Diba, begleitet von Heinrich Albertz, dem Regierenden Bürgermeister Westberlins, die Deutsche Oper an der Bismarckstraße, um sich eine Aufführung von Mozarts Zauberflöte anzusehen.
Der damalige Schah-Besuch muss erläutert werden, wenn man die Vielschichtigkeit der Folgen der Bluttat verstehen will. Kaum ein anderer Besuch eines
derer Besuch eines ausländischen Staatsmannes in der Bundesrepublik und in Westberlin war mit so viel Akribie vorbereitet worden wie diese für Tage anberaumte Visite. Der Aufenthalt in Westberlin, zu dem jeder Staatsgast gedrängt wurde, um die Zugehörigkeit der Teilstadt zur Bundesrepublik zu bekräftigen, war nur eine der Besonderheiten. Der Schah musste überall mit Protest und Widerspruch rechnen. Darauf war man vorbereitet. Die Vorgeschichte, mit der Mohammed Reza Pahlavi anreiste, war lang und hässlich.1951 war der liberale Mohammed Mossadegh in Teheran zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Dessen Ziel war es, die Ölquellen zu verstaatlichen. Dagegen wehrte sich Großbritannien und versuchte, die USA als Bündnispartner zu gewinnen. In Washington wollte man zunächst nicht. Das änderte sich, als Dwight D. Eisenhower Präsident wurde und Einflüsterungen erlag, Persien gerate ins Fahrwasser Moskaus. Es wurden Unruhen organisiert, und 1953 musste Mossadegh zurücktreten. Das Machtvakuum nutzte der Schah, um mithilfe der schiitischen Geistlichkeit, einer durch US-Hilfe gestärkten Armee und des mächtigen Geheimdienstes Savak eine autokratische Herrschaft zu errichten. Gleichwohl sollte und musste das Land nach westlichem Vorbild entwickelt werden. Hier kam die Bundesrepublik ins Spiel. Persische Studenten wurden auf westeuropäische Universitäten geschickt, gern auch auf westdeutsche. Diese Studenten entstammten zumeist einer Mittelschicht, die auf eine Zukunft nach westlichem Muster hoffte und den Schah verachtete. So bildeten sich in vielen Universitätsstädten Oppositionsgruppen gegen die Verhältnisse in Persien, doch gab es auch loyale Gruppierungen.Das Verhältnis der Bonner Republik zum Schah in den 60er Jahren war dadurch bestimmt, dass Reza Pahlavi eine bedeutende Stimme im Kreis der blockfreien Staaten war. Das warf in Bonn die Frage auf: Wird er die DDR anerkennen? In Ostberlin hoffte man wohl darauf, weshalb – für das Folgende bedeutsam – von Seiten der SED-Führung wie ihres Westberliner Ablegers SEW keine Anstalten getroffen wurden, die Proteste gegen den Besucher zu unterstützen. Bonn war im gleichen Sinne bestrebt, es nicht zu unschönen Szenen kommen zu lassen.Und dann gab es noch den Glamour-Faktor. Der Schah war auf unzähligen Illustriertenseiten ein populärer Mann. Er war verheiratet mit der flamboyanten Soraya (in deren Adern deutsches Blut floss), von der er sich jedoch scheiden ließ, weil die Ehe kinderlos blieb. Deutsche Presseberichte darüber empörten den Schah. Bonn verschärfte daraufhin den „Ehrenschutz-Paragrafen“, die „Lex Soraya“. Dann heiratete Reza Pahlavi die Pariser Architekturstudentin Farah Diba. Die Illustrierten waren begeistert und ihre Leser auch.Auf der Seite der Schah-Gegner gab es ebenfalls Attraktionen. Drei Monate vor dem Besuch war in einer bei Studenten beliebten Hamburger Taschenbuchreihe der Titel Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt erschienen. Davon waren bei der Ankunft der Besucher bereits 25.000 Exemplare verkauft, obwohl die ersten Rezensionen erst nach dem Staatsbesuch erschienen. Aber der Verlag hatte im Vorfeld dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in Westberlin 500 Freiexemplare spendiert. Einer der Leser des Rororo-aktuell-Bändchens war Benno Ohnesorg, der ohne Anleitung durch den SDS zu seiner Lektüre kam. Ohnesorg war ein ruhiger, nachdenklicher Student. Er hatte sich in der Evangelischen Studentengemeinde engagiert, war aber – wie seinerzeit viele junge Leute – durch das politisiert worden, was in jener Zeit geschah: den Auschwitzprozess, die Diskussionen um Hochhuths Stück Der Stellvertreter, den Vietnamkrieg. Kritik an der US-Regierung war das maßgebliche Anliegen der linken Studentengruppen in Westberlin. Dahin zielten ihre Aktionen – beim Thema Verhältnisse in Persien fürchteten sie eher eine Ablenkung von Wichtigerem. Der Schah war ihnen egal. Der Protest gegen den Staatsbesuch breitete sich an der Freien Universität ohne die Meinungsführer aus, die von der Westberliner Presse und großen Teilen der Bevölkerung als „Kommunisten“ beschimpft wurden. Zur Demonstration vor der Oper ging Ohnesorg mit einem selbstgefertigten Transparent. Auf einen Kopfkissenbezug hatte er gepinselt: „Autonomie für die Teheraner Universität“. Es hätte alles gut gehen können.„Bist du wahnsinnig, hier zu schießen?“Aber am Abend des 2. Juni kam es in der Bismarckstraße zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die eskalierten, als die Wagen mit den Besuchern eintrafen. Es ertönten Rufe wie „Schah-Schah-Schaschlik“ und „Mörder“, dazu Trillerpfeifen. Sogenannte „Jubelperser“ waren mit Bussen herangefahren worden. Etwas später schlugen sie mit schweren Latten auf die Demonstranten ein. Polizeibeamte standen daneben und taten nichts.Als die Gäste im Opernhaus verschwunden waren, sagte Bürgermeister Albertz zu Polizeipräsident Duensing: „Wenn ich rauskomme, ist alles sauber.“ Der fatalste Satz des Tages. Der ehemalige Wehrmachtsoberst Duensing ging nun daran, wie er später vor Gericht aussagte, „die Dinge aus der Situation“ zu bereinigen, das sei „ein alter polizeilicher Grundsatz“. Er führte zu dem Befehl „Knüppel frei“ und nun wild auf alles schlagenden Beamten, ob sich da einer bewegte oder nicht. Duensing beschrieb das als Leberwursttaktik: Man steche in die Mitte der Wurst, und ihr Inhalt platze an den Enden heraus.Benno Ohnesorg gehörte zu den Studenten, die in die Krumme Straße flohen, etliche auf einen Hinterhof. Hier wurde der junge Mann von drei Polizisten mit Knüppeln zusammengeschlagen und getreten, als er schon am Boden lag. Dann fiel ein Schuss. Die Polizisten prügelten und traten weiter. Dann merkten sie, dass Ohnesorg tot war. Jetzt wurde auch der Schütze bemerkt und angeschrien: „Bist du wahnsinnig, hier zu schießen?“ Gemeint war der im Kriminaldienst stehende Karl-Heinz Kurras, der stotterte: „Die Pistole ist mir losgegangen.“ Das glaubte man.Kurras wurde nicht verurteilt. Die Polizei stellte sich vor ihn und unterstützte ihn in seinem Prozess. Heinrich Albertz, Innensenator Büsch und Duensing mussten zurücktreten. Ohnesorgs Leichnam wurde nach Hannover überführt, mit einem langen Konvoi durch die DDR, so war es mit deren Stellen vereinbart. Mancherorts standen FDJler mit ihren Fahnen. 2009 kam heraus, dass Kurras Spitzel der Stasi war. Die war damals tief erschrocken und hatte ihren Mann sofort von allen Verpflichtungen entbunden.Im Gefolge der Ereignisse des 2. Juni 1967 wurde aus einem Teil der westdeutschen Linken eine antiautoritäre Bewegung. Orthodoxe gerieten ins Hintertreffen und verloren mehr und mehr an Bedeutung. Es gab auch andere Folgen. Während der Prozesse gegen die Terroristen der Roten Armee Fraktion fragten sich viele, warum die meisten Journalisten so penibel kritisch mit Polizei und Justiz umgingen. Das kann erklärt werden. Die meisten von ihnen waren 1967 zwischen 20 und 30 Jahre alt gewesen und glaubten Polizisten und Juristen kein Wort.