1968 in Frankfurt/Main

Ausstellung Kurzer Sommer - lange Wirkung, unter diesem Titel porträtiert das Historische Museum Frankfurt die Protestbewegung von 1968. Zum historischen Rahmen ...

Kurzer Sommer - lange Wirkung, unter diesem Titel porträtiert das Historische Museum Frankfurt die Protestbewegung von 1968. Zum historischen Rahmen der Protestbewegung gehört dreierlei. Erstens gibt es mehr oder weniger lange Vorgeschichten der Bewegungen, die in den USA, Frankreich oder in der Bundesrepublik jeweils anders aussehen. Zweitens unterscheiden sich nicht nur die Vorgeschichten, sondern auch die damaligen Kämpfe und politischen Bündnisse. Und drittens waren die Aktions- und Protestformen überall identisch. Keine Ausstellung kann alle Aspekte des weltweiten Protests abbilden. Eine chronologische Darstellung der Ereignisse in einem einzigen Land würde den Charakter des Protests verfälschen. Internationalität war einer seiner Grundzüge. Das ist für Konservative bis heute ein Grund dafür, die 68er-Bewegung des "Imports fremder Kulturen", eines "Entnationalisierungsprogramms" (FAZ) oder eines "Identitätsverlusts" zu bezichtigen (Bild-Chef Kai Diekmann).

Es war eine sehr kluge Entscheidung der beiden jungen Schweizer Kuratoren Andreas Schwab und Beate Schappach (Mitarbeit: Manuel Gogos), auf eine chronologische wie auf eine national eingeschränkte Darstellung zu verzichten. Das Konzept mit seiner Konzentration auf acht thematische Schwerpunkte erfasst den politischen Kern der Protestbewegung: Bildung, Wohn-, Lebens- und politische Aktionsformen, Geschlechterrollen, Demokratisierung, internationale Solidarität sowie - als spezifisch deutsches Thema - die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Das Arrangement ist stimmig. Im Zentrum der Ausstellung steht, was die Kuratoren die "Spießerhölle" nennen. Die Bewegung von 1968 führte einen "Abgrenzungsdiskurs" (Schwab/Schappach) von Autoritäten aller Art (gegen Eltern, Lehrer, Professoren, Politiker, Polizisten, Militärs). Die "Spießerhölle" illustriert eine Installation, die auf einem großen Bildschirm einen fiktiven Dia-Abend in der bürgerlichen Wohnstube mit Werbefotos inszeniert. Die Fotos zeigen, wogegen die 68er mobil machten: das bürgerlich-wohlstandsgesellschaftliche Ambiente der Konsum- und Fressgesellschaft der sechziger Jahre. Um diese fiktive Anordnung sind kreisförmig in Kojen die acht thematischen Schwerpunkte verteilt. In einem äußeren Kreis schließlich werden auf Stellwänden, in Vitrinen, auf Fernsehschirmen und an Hörstationen die Proteste in anderen Ländern (Frankreich, USA, Tschechoslowakei, Lateinamerika, China) dokumentiert.

Die große Ausstellung zum 40. Jahrestag von "68" in der Bundesrepublik präsentiert nicht weniger als 700 zum Teil ebenso exquisite wie informative Stücke, die den miefigen Geist der Zeit in Erinnerung rufen. Dazu zählt etwa der Protestbrief eines Berliner Professors der Zoologie, der sich bei seiner "Magnifizenz", dem Rektor, mit bitteren Worten darüber beschwert, dass der SDS vor "seinem" Hörsaal Flugblätter verteile. Die Ordinarienuniversität behandelte erwachsene Studierende als politisch unmündige Kinder.

Die Ausstellung bewegt sich nicht in Veteranenseligkeit, sondern historisiert das Geschehen kritisch und nach dem Stand der historischen Forschung. Sie dokumentiert die Buntheit (Frauen, Schwule, Lesben, Schüler) und die Breite des Protests zwischen Demokratisierung, Vietnamkriegsdemonstrationen, antiautoritärer Erziehung, "Sex and Drugs and Rock´n Roll", grenzt sich jedoch klar ab von der in der Bundesrepublik immer wiederkehrenden These, wonach von den zahlreichen Formen zivilen Ungehorsams und symbolischer Gewaltaktionen ein direkter Weg bis hin zum terroristischen Mord führe. Der sorgfältig gestaltete Katalog vertieft vor allem jene Facetten der Protestbewegung, die nur schwer auszustellen sind - das gilt für die Organisationsgeschichte des SDS ebenso wie für den "Normalbetrieb" an der alten Universität und die zuweilen groteske Polizeitaktik.

Noch bis 31. August im Historischen Museum Frankfurt. Der Katalog kostet 24 Euro.

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