1973: Kurzer Prozess

Zeitgeschichte Nach jahrelanger Verzögerung werden in Hamburg ein Pastor und ein Senatsdirektor angeklagt, in der NS-Zeit für die Tötung von Behinderten verantwortlich gewesen zu sein
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 01/2016

Die Anklageschrift von Oberstaatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt ist mit 870 Seiten dick wie ein Telefonbuch und wirft dem damaligen Senatsdirektor Kurt Struve vor, den Tod von 652 Menschen mit verschuldet zu haben. Dem zweiten Angeklagten, Pastor Friedrich Lensch – als überzeugter Nazi während der NS-Zeit Leiter der Evangelischen Alsterdorfer Anstalten –, wird zur Last gelegt, dass er 1938 alle jüdischen Insassen entfernen ließ, um einen „Musterbetrieb des Nationalsozialismus“ zu errichten. Überdies habe Lensch ab 1940 den Abtransport behinderter Menschen in Tötungsanstalten betrieben.

Als junger, unbequemer Staatsanwalt war Kuhlbrodt 1965 zur Fortbildung in die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg „abgeord