Zeitgeschichte Vor 25 Jahren kommt mit „Thelma & Louise“ ein großer Hollywood-Film in die Kinos – ein Road-Movie zwischen Sehnsucht und Rebellion. Und das in der Reagan-Zeit
Thelma (l.) und Louise haben alles hinter sich gelassen
Bild: imago/ Unimedia Images
Es war ein Werk mit gleich zwei Frauen in den Hauptrollen. Bis heute hat eine solche Genderaufteilung Seltenheitswert. Es geht bei diesem Road-Movie durch den amerikanischen Westen mit unvergesslichem Soundtrack von B. B. King, Toni Childs, Martha Reeves und Marianne Faithfull (The Ballad of Lucy Jordan) um die Freundschaft von Thelma und Louise und ihre Rebellion gegen Männer, die sich aufführen, als hätten sie ein gottgegebenes Recht auf Herrschaft.
Regie führte Ridley Scott. Geena Davis, gerade mit dem Oscar für ihre Rolle in The Accidental Tourist (dt. Titel: Die Reisen des Mr. Leary) bedacht, ist Thelma. Susan Sarandon, bekannt aus Bull Durham (Annies Männer) und Die Hexen von Eastwick, spielt Louise. Die Kritik war weitgehend lobend bis enthusiastisch, do
Louise. Die Kritik war weitgehend lobend bis enthusiastisch, doch es gab auch negative Urteile aus zwei Richtungen: Männerfeindlich sei der Streifen, außerdem gewaltverherrlichend, er rechtfertige Rache. Andererseits wurde interpretiert, Thelma & Louise sei entmutigend: Denn der Ausbruchsversuch der beiden Frauen sei doch gescheitert.Der Film spielt irgendwann in den 80er Jahren. Ronald und Nancy Reagan – sie mit dem anhimmelnden Blick – residieren im Weißen Haus und lassen keine Zweifel an angemessenen Geschlechterrollen. Ridley Scott eröffnet seinen Film mit einer klassischen Morgen-Szene in einem Vorstadthäuschen in Arkansas, das überall stehen könnte in den USA. Thelma, etwa Anfang 30, ist seit zehn Jahren verheiratet mit Darryl (Christopher McDonald), der – so die Anweisung im Script – „ein überzogenes Selbstbewusstsein ausstrahlt, dessen Beweggründe nie verständlich werden“. Die junge Hausfrau macht Kaffee für Darryl, sorgt sich, dass er rechtzeitig zur Arbeit kommt. Im Hintergrund läuft der Fernseher, das Geschirr stapelt sich im Ausguss. Darryl mit dem pomadigen Haar ist „regionaler Manager“ in einem Teppichladen und stolz darauf. Darryl nennt Thelma „Doll“, sie ihn „Honey“ und fragt nach, was er abends essen möchte. I don’t give a shit, sagt er, Freitagabend habe er viel zu tun im Geschäft. Thelma hat sich scheinbar mit dem öden Dasein abgefunden.Ihre Freundin Louise arbeitet als Kellnerin in einem Diner. Es gibt Filterkaffee; die meisten Kaffeetrinker haben die „handgefertigten“ Frappuccinos und Macchiatos noch nicht entdeckt. Louise bedient mit qualmender Zigarette. Thelma und Louise wollen wegfahren übers Wochenende, in eine Berghütte. Sie sei noch nie irgendwo gewesen ohne Darryl, klagt Thelma. Weil sie befürchtet, Darryl würde Nein sagen zu ihrem Ausflug, fragt sie ihn erst gar nicht, hinterlegt einen Zettel und stellt sein Essen in die Mikrowelle.Es kann losgehen in Louises Thunderbird. Vor der Abfahrt ein Selfie mit einer Polaroid-Kamera. Die beiden Frauen total schick, Make- up und voluminöse Lockenwicklerlocken, große Sonnenbrillen. Thelma hat das Cabrio vollgepackt, zwei Koffer und Angelausrüstung; so schwer könne Angeln doch nicht sein, sagt sie, schließlich gehe selbst Darryl fischen. Dazu eine Laterne für den Fall eines Stromausfalls in den Bergen, und Darryls Revolver gegen „Psycho-Killer, Bären und Schlangen“, begründet Thelma. Louise lässt sie gewähren; sie ist offenbar gewöhnt an ihre fantasievolle Freundin.Es ist später Nachmittag auf einem staubigen Parkplatz voller Pick-up-Trucks, die Musik ist laut drinnen in der Bar, der Laden voll. Thelma und Louise machen Rast, anfangs nur, um etwas zu essen. Doch Thelma bestellt sofort einen Whisky, sie wolle ihren Urlaub genießen. Ein Barbesucher kommt an ihren Tisch, baggert mächtig herum. Die Kellnerin signalisiert Thelma und Louise, sie sollten aufpassen bei diesem Typen. Doch Thelma geht mit Harlan (Timothy Carhart) auf die Tanzfläche und schließlich auf den Parkplatz an die „frische Luft“. Harlan will Sex. Thelma wehrt sich. Er schlägt zu. Louise kommt aus der Bar. Mit dem Revolver. Harlan solle Thelma loslassen. Der hat Angst und versichert, Thelma und er hätten doch nur „ein bisschen Spaß“ gehabt. Louise und Thelma gehen ein paar Schritte weg von Harlan. Der ist nun wütend, ruft den beiden Frauen nach, Bitch, er hätte Thelma ficken sollen. Louise dreht sich um. Was habe er gesagt? Die Antwort: „Suck my Cock!“ Louise schießt. Harlan bricht zusammen. Tot. Thelma und Louise, schockiert vom Vorgefallenen und dem Todesschuss, fahren mit Hochgeschwindigkeit aus dem Parkplatz heraus auf die Straße und in die Nacht.Ob sie nicht zur Polizei gehen sollten, fragt Thelma. Wer sollte ihnen glauben, fragt Louise scharf zurück. Schließlich hätten haufenweise Leute gesehen, dass Thelma mit Harlan getanzt habe. Auf dem Parkplatz ermittelt bereits die Polizei. Louise will über die Grenze nach Mexiko. Ihr altes Leben im Diner bricht weg, für Thelma das mit Darryl. Sie erleben Angst und Befreiung zugleich in dieser ungewollten Extremsituation. Drehbuchautorin Callie Khouri meinte zur Story, sie habe keine Botschaft vermitteln wollen, sondern das Gefühl „von einer Art Euphorie zwischen dem Schicksal und deinen eigenen Fehlern einerseits und der Befreiung von einem Leben andererseits, das dir kein Glück gebracht hat“.Viel Glück haben sie nicht auf dem Weg nach Mexiko. Die beiden nehmen den charmanten Anhalter J. D. mit (Brad Pitt, laut Magazin People der „Sexiest Man Alive“, in seiner ersten großen Rolle), vorbestraft wegen mehrerer Raubüberfälle. Thelma verliebt sich in ihn, und der junge Mann stiehlt ihnen das ganze Geld. Nun wird es eng für die beiden Frauen, aber Thelma hat von J. D. gelernt, wie man Überfälle inszeniert, und raubt selber einen Laden aus. Darryl ist fassungslos, als die Polizei in sein Haus kommt und ihm zwischen Bierdosen und Pizzaschachteln Fragen stellt über seine Frau, die er so nicht kennt.Es gibt wohl kein Entkommen vor den Ermittlern. Thelma und Louise sperren einen Polizisten in den Kofferraum seines Wagens, nicht ohne vorher Luftlöcher in den Deckel zu schießen. Einem Lastwagenfahrer, der sie mit obszönen Gesten verfolgt, zerschießen sie den Truck. Bei der Fahrt durch die grandiose Landschaft des Westens wird den Frauen klar, sie wollen gar nicht mehr zurück, ganz gleich, was kommt. Irgendetwas sei in ihr passiert, dass sie nie mehr zurückgehen könne, sagt Thelma. Noch nie habe sie sich so lebendig gefühlt. „Alles sieht anders aus ... Alles sieht neu aus.“Thelma und Louise schaffen es in den Grenzstaat Arizona. Doch nun ist auch das FBI hinter ihnen her, den Schwerverbrecherinnen, beschuldigt des Mordes, des Raubes und der Entführung. Ein Polizeihubschrauber fliegt über ihrem Auto, ein Dutzend Polizeiautos verfolgt sie. Louise stoppt den Thunderbird in der Wüste, nicht weit entfernt vom Grand Canyon. „Let’s keep going“, sagt Thelma. Bist du sicher? Ein Kuss – Louise gibt Gas. Thelma und Louise halten die Hände. Der Thunderbird rast Richtung Abgrund, schießt über den Canyon-Rand hinweg. Das ist die letzte Einstellung, der fliegende Thunderbird.Drehbuchautorin Khouri – Thelma & Louise war ihr erster Film – ist häufig zur Bedeutung dieses Schlusses befragt worden. Es sei absurd, wolle man das als Suizid deuten, meinte sie. Das Ende sei symbolisch zu verstehen. Der Film zeige ganz bewusst keinen Crash. Das Ende bringe zum Ausdruck, dass Thelma und Louise „keine Hoffnung hatten, dass jemand ihre Seite der Geschichte wirklich verstehen würde“. Letztendlich blieben die Frauen, „was sie waren, und was sie geworden waren“, sagte Khouri im Hörfunksender NPR. Thelma und Louise waren nicht kleinzukriegen. Sie habe das nie als Suizid gesehen.Susan Sarandon, noch immer aktiv für progressive Politik (Bernie Sanders), hat nach Thelma & Louise in mehreren politischen Filmen mitgespielt, darunter in dem Anti-Todesstrafen-Werk Dead Man Walking (1995). Geena Davis leitet heute das Geena-Davis-Institute on Gender in Media. Der Frauenanteil in Spielfilmen sei gegenwärtig genau da, wo er 1946 gewesen sei. Noch habe sich nichts verändert.
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