„Es ist Geld verschenkt worden“

Im Gespräch Der frühere DDR-Staatssekretär Klaus Blessing über die Schulden des Westens

Der Freitag: Herr Blessing, Sie sprechen von den „Schulden des Westens“ gegenüber Ostdeutschland und beziffern diese auf fünf Billionen Euro. Wie kommen Sie zu dieser Zahl?

Klaus Blessing:

Der Betrag setzt sich aus den vom Osten geleisteten Reparationszahlungen auf der einen, dem Marshallplan für den Westen auf der anderen Seite zusammen und setzt dies ins Verhältnis zum heutigen Preisniveau. Berücksichtigt sind außerdem die Auswirkungen im Bruttoinlandsprodukt, die sich aus der Abwanderung und Abwerbung ostdeutscher Fachkräfte zu Zeiten offener Grenzen als Verlust für die DDR und Gewinn für die Bundes­republik ergaben. Man muss wissen, dass die DDR laut Potsdamer Abkommen für das gesamte Deutschland Reparationszahlungen leistete. Selbst Kurt Biedenkopf räumt ja diese „Schulden“ inzwischen ein.

Aber das ist doch eine fiktive Größenordnung, da diese Schulden nicht eingetrieben werden können.

Mir geht es auch gar nicht um die exakte Zahl, sondern vielmehr darum, sie in den Kontext der Debatte über die Transferleistungen für den Osten zu stellen. 1,6 Billionen Euro sind bislang in den Osten geflossen, dem stehen nach meiner Rechnung fünf Billionen Euro gegenüber, die zuvor aus der DDR gezogen worden sind. Beispielsweise über den innerdeutschen Handel, der für die DDR quotiert war. Soll heißen: Sie konnte nicht frei die Warenstruktur auswählen, bestimmte Quoten wurden einfach vorgegeben. Exporte waren gebunden an bestimmte Gegenlieferungen. Und bei bestimmten Produkten, das räumen inzwischen auch westdeutsche Ökonomen ein, hätte die DDR sogar auf dem Weltmarkt höhere Erlöse erzielen können.

War die DDR bankrott?

Nach meiner Überzeugung war sie das nicht. Abgesehen davon, dass ein Staat keine Insolvenz anmelden kann, war das so genannte Schürer-Papier vom November 1989, gefertigt für den damaligen SED-Chef Egon Krenz und heute eines der Beweismittel der These vom Staatsbankrott, objektiv falsch. Dort sind über 40 Milliarden Valutamark Schulden gegenüber westlichen Ländern aufgelistet. Nach dem Abschlussbericht der Bundesbank von 1999 waren es real 19,9 Milliarden D-Mark. Diesen Schulden standen darüber hinaus Guthaben der DDR, insbesondere in der Sowjetunion, in Bulgarien, Polen und Kuba in Höhe von 23,4 Milliarden D-Mark gegenüber. Diese wurden von der Bundes­republik nicht eingetrieben, sondern „verschenkt“.

Bis 1989 hatten fünf Millionen Menschen der DDR Richtung Westen den Rücken gekehrt. Dafür gab es Gründe.

Ich bin weit davon entfernt, die Lage in der DDR zu verniedlichen. Natürlich hatte das Land wirtschaftliche und politische Probleme. Ausdruck dessen waren ein hoher Verschleißgrad der Technik, unrealistische Pläne oder eine zentralisierte Planwirtschaft. Das ist unstrittig. Trotzdem darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und behaupten, die DDR-Wirtschaft sei gescheitert.

Ist sie das nicht?

Zu Beginn der deutsch-deutschen Auseinandersetzung lag der Anteil der Arbeitsproduktivität Ost gegenüber dem Westen bei 25 Prozent, 1989 bei 50 Prozent. Die DDR entwickelte sich also schneller, auch wenn sie mit 50 Prozent unübersehbar zurück lag. Die entscheidende Frage für das Scheitern dieses Landes waren aber nicht die wirtschaftlichen, sondern die politischen Aspekte. Zu Zeiten offener Grenzen sind die Menschen gegangen, weil es im Westen besser war. Später waren sicher vor allem politische Gründe für die Massenflucht ausschlaggebend. Regierung und SED-Spitze hatte sich vom Leben, von der Bevölkerung vollständig entfremdet. Es existierte weder eine reale Einschätzung der Lage noch eine wahrheitsgemäße Information. Aber die Menschen riefen 1989 nicht „Wir wollen konsumieren“, sondern „Wir sind das Volk“.

2019 läuft der Solidarpakt II aus, neue Transfilliarden sind angesichts von Haushaltslage und Schuldenbremse kaum wahrscheinlich. Wie würden Sie die Staatsfinanzen verbessern?

Im Zuge der deutsch-deutschen Vereinigung hat sich das Vermögen der Reichsten in der Bundesrepublik verdoppelt hat. An diesen statistischen Fakten sieht man, wer davon profitiert hat. Deshalb wäre ich auch gegen eine Verlängerung des Solidarzuschlags – der vor allem Geringverdiener in Ost wie West belastet. Es sollten vielmehr jene zahlen, die von dieser Transformation profitierten. Und das ließe sich über eine Vermögensabgabe oder eine Erbschaftssteuer regeln.


Klaus Blessing, Jahrgang 1936, war Staatssekretär im DDR-Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali. Sein Buch Die Schulden des Westens ist in der Edition Ost erschienen.

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