„La Boheme“ ohne Musik

Bühne Peter Hacks hat 1991 ein Stück geschrieben, dass das Südthüringer Staatstheater Meiningen nun uraufgeführt hat: „Der Maler des Königs“ als redliches Volkstheater

Wir sind, wie man so sagt, im falschen Film. Denn Walter Ulbricht wohnt dortselbst der Enthüllung des Bildes Die Odaliske bei, derweil Madame Pompadour, sie trägt das Blau der Freien Deutschen Jugend, dem Künstler (1703-1770) die Erhebung zum Maler des Königs ankündigt. Wir sind aber doch im richtigen Film, denn Peter Hacks meint das genau so.

Peter Hacks lebte seine eigene Klassizität, das machte ihn in gewisser Weise zum Autisten, der Welt nur noch wahrnimmt nach den Maßgaben seiner Entwürfe von ihr. So wurde seine Haltung zur DDR nicht im Mindesten verwirrt durch deren Ende: Den eigenen Plan der Welt lässt sich ein solcher Geist nicht verderben durch das Wirkliche. Das war, in den Dramen, zunehmend schrullig, und, in der Essayistik, fast immer brillant.

Was nun aber Der Maler des Königs betrifft, findet sich der Berichterstatter in einer misslichen Lage. Denn dieses Stück, geschrieben 1991, uraufgeführt nun in den Kammerspielen Meiningen, ist eine Schrulligkeit und eine Verschrobenheit. Indessen, nie wurden große Schrulligkeiten mit mehr Anmut vorgetragen als durch diesen Dichter und noch in seinen Albernheiten finden sich mehr sprachliche Grandezza und geschliffene Intelligenz als in den ernsthaften Bemühungen anderer Leute. So dass ein schlichter Zeitungsschreiber von einem merkwürdigen Gefühl beschlichen wird, wenn er verkünden soll, es sei der große Dichter mitunter nur ein kleiner Nörgeler gewesen.

Aber so ist es.

Volkstheater für gebildete Stände

François Boucher also, einst ein großer Maler unter Ludwig XV., lebt, 35 Jahre später, recht missmutig unter der neuen Herrschaft sowie unterm Dach, die neue Kunst macht ihn trübsinnig. Er ernährt sich von Madame O‘Murphy, deren Hintern ihm einst zum Modell diente und nun zum Erwerb von Brot und Wein. Jean-Honore Fragonard (1732-1806), einst sein erfolgreicher Schüler, bestreitet seinen Lebensunterhalt durch das Entleeren von bemalten Nachttöpfen. Und da sitzen sie nun selbdritt unterm Dach und nörgeln vor sich hin, die neue Herrschaft, die neue Kunst, und Herr Greuze gar will die bürgerliche Tugend zur Darstellung bringen.

Und sonst? Sonst nichts.

Die Meiniger Uraufführung dieses mit Gründen wohl weiterhin unbekannt bleibenden Stückes richtete Christian Claas ein, und viel mehr ist es tatsächlich nicht. Unter dem pusselig skelettierten Mansardendach von Helge Ullmann und den darin verteilten alten Schinken lässt Claas, nach dem verfilmten Vorspiel, gehobenes, redliches Volksstück spielen, gleichsam Volkstheater für die gebildeten Stände. Das ist Meiningen, das ist Ansgar Haag und sein Erfolg. Ein Theater, das seiner Stadt gibt, was diese von ihm erwartet: Theater, von dem sich glauben lässt, es sei auf intelligente, unverstörende Weise auf der Höhe der Zeit. Und ist doch: die Höhe von Meiningen.

Peter Bernhardt gibt einen brummeligen Boucher, weltenweit von Hacks entfernt, aber haargenau beim Publikum. Hans-Joachim Rodewald ist der noch trauernde Fragonard, Rosemarie Blumenstein die in ehrbarer Fröhlichkeit ergraute Besitzerin des Hinterns. Das plaudert sich so hin und weg, als spielten sie La Boheme ohne Musik und Schwindsucht. Es wird nie das Gespräch im Hause Boucher über die abwesende DDR, das tilgt die intelligenten Anmutsspuren der Sprache.

Peter Hacks starb 2003 im Schlaf. So hat er nie erfahren, dass die Wirklichkeit am Ende auch ihn betraf. Mag sein, das hätte ihn gekränkt.

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