„Nur ein Narr ändert seine Meinung nie“

Im Gespräch Bert Rürup entwarf für die SPD das Elterngeld. Heute würde er das Geld lieber in Betreuung und Bildung stecken

Der Freitag: Herr Rürup, Sie waren der maßgebliche Wissenschaftler, der bis 2005 der SPD beim Entwurf des Elterngeldes zur Seite stand, das von der großen Koalition zum Jahr 2007 eingeführt wurde. Ihre Begründung lautete: Man müsse die Eltern von den Kosten des Kinderkriegens entlasten, damit mehr Kinder geboren würden. Seither ist die Geburtenrate pro Frau gesunken, und Sie haben Ihre Meinung geändert, nicht wahr?

Bert Rürup:

Nun, ich habe sie jedenfalls modifiziert. Wir gingen in

unserem Gutachten davon aus, dass das wichtigste Motiv, Kinder zu bekommen, die Bereicherung des Lebens ist. Dieses Ziel wird von den potenziellen Eltern abgewogen gegen die Opportunitätskosten, sprich den Verzicht auf andere Wünsche – so auch auf Einkommen –, der nun einmal mit der Erfüllung des Kinderwunsches verbunden ist. Das heißt, wer Menschen helfen will, einen Kinderwunsch zu realisieren, sollte ihnen für eine begrenzte Zeit einen Teil des entfallenen Verdiensts erstatten, und ein Teilersatz muss dann notwendigerweise mit dem Einkommen steigen. Das war die Idee. Nun stelle ich jedoch fest: Diese Geldleistung hat bislang nicht gewirkt.

Ist die Theorie von den Opportunitätskosten falsch oder jedenfalls nicht überall anwendbar?

Jeder Wissenschaftler, der Physiker wie der Ökonom, hat eine Brille auf. Diese Brille ist seine Theorie, die dazu dient, die Komplexität der Realität zu reduzieren. Die ökonomische Theorie der Opportunitätskosten ist ein Versuch, Entscheidungen und damit auch das Reproduktionsverhalten zu erklären. Aber als guter Ökonom darf man kein ökonomischer Imperialist sein und muss die Bedingtheit seines Ansatzes erkennen. Der Ansatz, den wir gewählt

hatten, reichte offenbar nicht aus.

Bereuen Sie heute Ihr Engagement von damals?

Nein, warum? Niemand kann sicher sein, ob eine Theorie funktioniert, selbst wenn sie in anderen Ländern funktioniert hat. Nur ein Narr ändert seine Meinung nie. Man muss doch lernen können – lernen Sie denn nichts Neues mehr?

Es gab schon damals relevante Einwände: Das Risiko, dass das Elterngeld nicht funktioniere, sei zu hoch angesichts dessen, wie ungerecht es ist. Denn es verteilte ja das vorhandene Erziehungsgeld von unten nach oben um.

Wie schön, dass Sie so genau wissen, was gerecht ist. Dennoch vermischen Sie hier zwei Ziele. Wer die Umverteilung zum obersten Ziel erklärt, muss auch gegen ein lohnabhängiges Arbeitslosengeld oder Krankengeld sein. Umverteilung ist wichtig, aber es gibt auch andere Ziele. Wir sollten und wollten nach Wegen suchen, dass mehr Kinder geboren werden. Was mich überrascht ist, dass Familienministerin Schröder jetzt schreibt, dass man den Erfolg des Elterngeldes nicht in der Geburtenstatistik suchen soll. Ihre Vorgängerinnen, Renate Schmidt von der SPD und Ursula von der Leyen von der CDU, jedenfalls sahen das ganz anders. Wie dem auch sei, da das mit den Geburten bislang nicht geklappt hat, fällt mein Urteil heute anders aus. Es wäre bequem zu sagen, wir warten ab, die Menschen holen die Geburten noch nach. Aber ich glaube nicht daran. Wir haben in Deutschland inzwischen seit 40 Jahren eine konstant sehr niedrige Geburtenrate, sind deshalb tief in einer Geburtenfalle, und es gibt keine wirklichen Vorbilder, da wieder raus zu kommen.

Na, und jetzt?

Das alte System des Erziehungsgeldes würde ich nicht wieder einführen, dafür aber mehr Geld in die Betreuungsinfrastruktur stecken. In jedem Fall müssen die Kinder, die zur Welt kommen, bestmöglich erzogen und ausgebildet werden. Investitionen in bessere Vorschulen und Schulen sind auf jeden Fall richtig. Damit macht man nichts falsch, weder für den Einzelnen noch für die Gesellschaft.


Geburtenrate weiter gesunken

Die Statistiker vom Wiesbadener Bundesamt vermeldeten Mitte November ein weiteres Absinken der Geburtenrate: Laut den 2009er Zahlen bekommt eine Frau in Deutschland im Laufe ihres Lebens 1,36 Kinder. 2007 waren es 1,37, im Jahr 2008 lag die zusammengefasste Geburtenziffer bei 1,38 Kindern je Frau. Damit widersteht Deutschland dem Trend, der sich derzeit in anderen europäischen Ländern abzeichnet, die in den neunziger Jahren sehr niedrige Geburtenziffern aufwiesen: Zum Beispiel in Italien oder Spanien werden wieder mehr Kinder pro Frau geboren. Die Demografen sind sich mittlerweile nahezu einig, dass einzelne politische Maßnahmen keinen Effekt auf die Reproduktionsfreude haben. Einfluss habe allenfalls die allgemeine wirtschaftliche Lage, erklärt etwa Joshua Goldstein, Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische For- schung in Rostock.

Bert Rürup

Der Ökonom Bert Rürup (67) schrieb für Rot-Grün auch Rentenreformen. Von 2005 bis 2009 war er Chef der Wirtschaftsweisen. Heute betreibt er mit dem Ex-Finanzproduktmakler Carsten Maschmeyer eine Beratungsfirma


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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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