"Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino“: Mit diesem Zerstreuung, Genuss und Affirmation versprechenden Freizeitslogan buhlten die Filmtheater in den 60ern um ihr Publikum. Die moderne Variante davon heißt Eventkino.
An diesem Abend findet es am Alexanderplatz in Berlin statt. Im Cubix, bei der Preview von Til Schweigers Film Zweiohrküken in der Programmreihe CineLady. Trauben von Frauen stehen vor der Tür; im Inneren des Gebäudes drängen sie an den Popcorn-Tresen.
Meine Begleitung, die ich mit dem Versprechen geködert habe, das nächste Mal mit ihr in einen französischen Film zu gehen, trifft im Foyer auf frühere Kolleginnen. Zeit für eine kurze Feldforschung. Warum sind sie hier? Kennen sie den Vorgängerfilm Keinohrhasen? Sind sie Fans von Regisseur, Produzent, Autor und Hauptdarsteller Til Schweiger? Weder noch: „Es ist eine Gelegenheit, um mit Freundinnen ins Kino zu gehen.“
Euphorie wie bei den Chippendales
Ihre Haltung bestätigt die Intuition eines Theaterleiters in Wolfenbüttel, dem es geschuldet ist, dass seit fünf Jahren an 50 Standorten der Cinestar-Kinos an einem Abend im Monat ein Saal mit weiblichem Publikum gefüllt wird.
Je nach Klientel – etwa durch Sektgenuss enthemmte Cliquen, die in Vorfreude auf den mit „ihren Mädels“ zelebrierten Abend bei Sex and the City ins Johlen geraten oder sich singend und klatschend in eine Vorführung von Mamma Mia! drängeln – fühlt sich eine Debütantin bei den Veranstaltungen an das euphorisierte Publikum einer Chippendales-Show erinnert. Und das, obwohl hier alles grundsolide zugeht und außer auf der Leinwand keine nackte Brust zu sehen ist.
Vereinzelte männliche Begleiter huschen in den Saal, zum Beispiel Filmkritiker, die Pressevorführungen verpasst haben oder – im Falle des Schweiger-Films nicht unwahrscheinlich – wegen prognostizierten Fehlverhaltens in der Berichterstattung nicht eingeladen waren.
„Natürlich können und wollen wir unseren männlichen Gästen den Zutritt zur CineLady nicht verwehren – Männer, die an einem typischen Ladyevent, das naturgemäß mit einer gehörigen Portion Klatsch und Tratsch, Geschnatter und Gelächter einhergeht, ihren Spaß haben, sind herzlich eingeladen“. So formulierte es im Frühjahr diesen Jahres Julia Werle, Filmmarketingleiterin von Cinestar.
Was Frauen wollen
Seit jener Mann aus Wolfenbüttel, der wusste, was Frauen wollen, die erste CineLady-Night einführte, sitzt sie betonhart im Programm der Kinokette wie die mit Drei-Wetter-Taft stabilisierte Wasserwelle auf den Köpfen unserer Mütter. Um der Geschlechtergerechtigkeit zu genügen, darf das starke Geschlecht seit 2007 im Rahmen der CineMen bei einem kühlen Bier „Thriller, Action, Stunts und echte Kerle“ genießen.
An diesem Abend im Cubix steht uns eine romantische Komödie bevor, „frauenaffines Kino“ eben. Mehr als sechs Millionen Zuschauer sahen 2007 Keinohrhasen, darunter ein Großteil Frauen, und Til Schweiger serviert mit Zweiohrküken jetzt den Nachschlag. Mit der Rolltreppe geht es in den obersten Stock des Cubix, zum Saal Nummer 9. Im Foyer wird großzügig Sekt ausgeschenkt.
Das Kino füllt sich, der Werbeblock startet und im Anschluss betritt Theaterleiter Ralph mit seiner „Energy-Assistentin“ die Bühne. Er ist gut gelaunt, weist auf die Schlange vor der Frauentoilette und auf weitere stille Örtchen im Haus hin und animiert zum Applaus: „Patschehändchen in die Hand nehmen“.
Infantil gestaltet sich das kein Ende nehmende Vorprogramm: Als „ein Großmeister des Poetry-Slam“ wird Julius Fischer angekündigt, ein Otto-Verschnitt, der seine Gitarre mit den Worten „Jetzt wird es kurz knacken“ an die Stromversorgung anschließt. Meine Begleitung und ich haben Erfahrung mit den CineLadys: Wir erinnern uns an mindestens drei Abende im Sony Center, an denen wir uns mit Sekt, der Verlosung von Tickets und einem guten Film schmerzfrei gut unterhalten fühlten; aber dieser Mann hier strapaziert unsere Nerven.
Ein Lied mit dem Titel „Oh“ und der Zeile „In meinem Kopf ist ein morastiges Sumpfgebiet“ ist ihm nicht genug: Er deklamiert Selbstverfasstes und preist sich dem Publikum an („Ich bin zu haben, Ladys“). Die Zuschauer flüchten, um Taco-Schälchen oder Sektgläser aufzufüllen; Julius Fischer lässt sich nicht irritieren und zieht sein Programm durch, ehe er nach mehr als 20 Minuten abtritt.
"Wir brauchen einen Arzt!"
Dann ist Theaterchef Ralph zurück. Er wirft Zweiohrküken ins Publikum, heizt die Stimmung an und kündigt unter dem dissonanten Sound aus Hunderten Frauenkehlen einen weiteren Gast an: „Ist es zu glauben? Wir brauchen einen Arzt!“ Til Schweiger steht im Saal. „Seid ihr denn alle da? Seid ihr gut drauf?“ Der Schweiger gibt den Kasper, und die Frauen umschwärmen ihn. Nichts hält sie mehr in den Sesseln: Sie schütteln ihm die Hände, umarmen ihn, machen Fotos, reißen die Hände in die Höhe, um T-Shirts („Til hat das angefasst!“) und Plüschküken aufzufangen, die er in ihre Richtung feuert.
Die Energy-Assistentin überreicht Schweiger ein riesiges Lebkuchenherz. Er hängt es sich um den Hals und zieht ab. Den Spruch auf dem Herzen kann ich aus Reihe 14 nicht entziffern, ich bin mir aber sicher, er war ganz lieb gemeint oder vielleicht sogar ein bisschen versaut. Genau wie der nachfolgende Film in zweistündiger Länge, der den Beziehungsalltag von Ludo (Schweiger) und Anna (Nora Tschirner) zwischen Pfandflaschen und Exfreunden als Männerwitz feiert.
Meine Chronistenpflicht endet hier. Um mit Schweiger zu sprechen: „Ätschibätsch!“ (So äußerte sich der Regisseur im Spiegel-Interview bezüglich der Frage, warum er unliebsame Kritiker von den Pressevorführungen seines Films ausschloss.) Ich bewerbe mich um ein Plätzchen bei den „40 nervigsten Kritikern“, die Schweiger in seinem Film buchstäblich wegpustet, oder bei der Humorpolizei.
Wenn es stimmt, was Ludo alias Schweiger im Film verspricht („Wenn man sich etwas wirklich wünscht, dann passiert das auch“), wünsche ich mir, dass dieser Film nie ins Ausland exportiert wird. Was sollen die von uns denken? Und das nächste Mal gehen wir wieder in einen französischen Film.
Kommentare 7
WErte Verfasserin,
Man(n) merkt zu ihrem Titel folgendes an:
1. bitte zukünftig informieren !! Bevor man den Moderator einer Cinelady als Theaterleiter bezeichnet, denn das ist eine absolute Falschdarstellung und sollte Ihrerseits journalistisch korrekt geändert werden !
2. Julius Fischer hat mehre Preise abgeräumt:
unter anderem...WDR Poetry Slam, Kuttner Poetry Slam, Fritz New Talent Award etc...viele Texte werden wohl viele der Ladies garnicht verstanden haben, was ich jetzt mal auch Ihnen unterstelle, denn wenn man nur 2 Sätze aus einer Anmoderation darstellt, als wäre jenes das Niveau des eigentlichen 20 min. Programms gewesen, so ist dies das journalistische Niveau einer Zeitung mit vier großen Buchstaben und nicht das des "Freitags". Ich war an dem Abend auch im Cubix und die Texte waren bis auf Ihre "aufgegriffenen" Anfangsworte zur Aufmunterung, des Herrn Fischer, sehr intelligent, schnell und unterhaltsam aber leider scheinbar nicht für jeden verarbeitbar. Aber die es verstanden haben, haben HErrn Fischer mit einem tollen Applaus verabschiedet und das waren nicht wenige...
3. wenn Ihnen eine Veranstaltung wie Cinelady (bei dem 90% der Besucherinnen wissen, was sie erwartet...)zuviel ist, hätten Sie auch in eine normale Vorpremiere gehen können, die parallel zwei Etagen tiefer, im Kino8 statt fand und wir hätten uns ihre Zeilen auch ersparen können...
Holger
Liebe Ulrike Mattern,
ein schöner Artikel, ich habe mich sehr amüsiert. Danke.
weinsztein
@Waxenpit Warum so echauffiert? Und überhaupt, was hatte Sie eigentlich zu den Cineladies gebracht? Zweiohrküken oder Til Schweiger? Und warum?
weder noch, meine Freundin wollte den Sekt abfassen und ich fand den ersten Teil ganz unterhaltsam. Das Til Schweiger kam, wusste glaub ich vorher keiner...
Über die Ladies zu lästern finde ich nicht so nett. Auch wenn das ganze nicht so meine Sache ist, hätte ich aber an dem Abend sicherlich Spaß gehabt.
Til Schwaiger finde ich nicht so toll. Mir ist der auch zu alt für seine Rollen. Aber er macht erfolgreiche Filme. Und diesen Erfolg sollte man ihm auch gönnen.
Nora Tschirner. Die ist nun wirklich eine sehenswerte Darstellerin. Perfekt besetzt in den Schwaiger-Filmen.
Schade, dass die in diesem Blog bisher nicht erwähnt wurde.
Es gibt nun wirklich üblere Filme als den hier besprochenen. Z.B. :"Willkommen bei den Schties".
@ Chrisamar: da muss ich aber nun protestieren: "Willkommen bei den Scht'is" ist alles andere als übel - alleine schon wegen Ausdrücken wie Blödbommel! ;)
Grundsätzlich gilt doch bei Filmen, wie auch "Zweiohrküken" einer ist, eine alte Frage: Darf man nicht einfach mal über Schrott lachen? Oder sich mit Low-Culture amüsieren?
oh, wie schön. Klingt nach einem Abend, bei dem ich einen Riesenspaß daran gehabt hätte, hinterher allen möglichen Leuten zu erzählen, wie absolut Banane das war. Ist mit dem Artikel bestens geglückt :)
Meine liebe Frau Event-Kritikerin,
ich bin beileibe kein Freund von Til Schweigers nicht immer souveränem Umgang mit der Presse, aber es dürften genau solche "Chronistenpflichtige" wie Sie sein, die ihn zu seiner Haltung bewegten. Es geht nicht darum, ob Sie etwas gut oder schlecht finden. Es geht darum, dass Sie allem Anschein nach mit einer vorgefassten Meinung in die Recherche gehen, dann alles dankbar aufnehmen, was Ihrem Bild entspricht, es aufblasen und alles andere, was diese Blase zum platzen bringen würde, einfach ignorieren. Und wenn Ihnen dann selbst Ihre Beweislage zu dürftig erscheint, erfinden Sie einfach Zitate, die Ihrem Bild entsprechen. "Patschehändchen in die Hand nehmen" ist zum Beispiel ein Satz, den ich noch nie und schon gar nicht in der Moderation der von Ihnen besuchten Veranstaltung gesagt habe. Zu Julius Fischer hat dankenswerter Weise Waxenpit schon Stellung genommen. Nur generell ergänzt sei, dass es in der Tat immer wieder vereinzelte Besucherinnen der Cinelady gibt, die statt der gelegentlich bei uns live im Vorprogramm aufspielenden Künstler lieber die übliche halbe Stunde Werbung sehen würden. Pardon, aber auf solche Geschmäcker mag ich nicht wirklich Rücksicht nehmen.
Ralf, Cinelady-Moderator im Cubix