„Vielen Dank für nichts, ihr Deppen!“

Berlin Déjà-vu: In Berlin stört abermals ein Anschlag den Berufsverkehr. Die Politik strapaziert wieder das Wort von der neuen RAF. Und in der Szene stößt die Aktion auf wenig Verständnis

"Die Züge kommen nicht, das Handy schweigt“, steht da. „Der Chef muss warten, ob er will oder nicht. Na und?“ Mit diesen Worten beginnt am Montag jene Erklärung, in der sich ein „Hekla-Empfangskommitee“ zu dem Brandanschlag auf das Berliner Bahnnetz bekannt hat. Man habe, hieß es, „an verschiedenen Kabelschächten der Bahn Feuer mit elektronischen Zeitgebern und Brandbeschleuniger gelegt“. Obwohl nur einer dieser Brandsätze losging und Sachschaden anrichtete – an mehreren weiteren Orten zündeten ähnliche Vorrichtungen nicht – hatte die Aktion ihre Folgen.

Eine davon ist das Déjà-vu-Gefühl, das sich nicht nur wegen der Neigung der Bekenner einstellt, sich mit den Namen isländischer Vulkane zu Wort zu melden. Schon im Mai hatte es in Berlin eine ganz ähnliche Attacke gegeben, damals unter dem Namen „Das Grollen des Eyjafjallajökull“. Auch bei diesem Brandanschlag fielen vor allem Züge im Berufsverkehr aus. Anfang dieser Woche kamen nun mehr als 300 Züge nicht oder mit deutlicher Verzögerung ans Ziel. Auf rund 17.000 Minuten summierten sich die Verspätungen nach Angaben der Bahn. Betroffen waren neben der Verbindung nach Hamburg vor allem die Strecken der Berufspendler im Berliner Umland, wo teilweise Haltestellen nicht bedient werden konnten.

Eben diese Tatsache hat erneut auch für heftige Abwehr in der linken Szene gesorgt. „Da könnte ihr einen noch-so-langen Bekennerbrief mit ‚Begründungen‘ für diesen (gefährlichen) Unsinn schreiben“, lautet eine Reaktion im Internet. „Im Auge der Öffentlichkeit landet nur ‚Frustrierte Idioten zünden Bahnhof an‘.“

Munition zur Verteidigung

In der Erklärung zu den teils gescheiterten Anschlägen hatten die Urheber auf den zehnten Jahrestag des Afghanistankrieges verwiesen. „Das nehmen wir zum Anlass zu bekräftigen, dass sich an den Verhältnissen gründlich etwas ändern muss. Die Gewohnheit, mit der hier jede Scheiße hingenommen oder durchgesetzt wird, muss durchbrochen werden.“ Auf Verständnis stieß das offenbar nicht, zumal von den „Motiven“ des Anschlags in der Öffentlichkeit kaum die Rede ist.

„Was für ein grandioser Augenblick für eine solche Aktion“, heißt es in einem Kommentar mit Blick auf den zeitgleich bekannt gewordenen Einsatz rechtswidriger Staatstrojaner durch Behörden. „Gerade als die Medien sich warm laufen, um BKA und BMI gehörig auf den Teller zu scheißen, gebt ihr eben diesen Behörden hervorragende Munition zu deren Verteidigung.“ Nach der Attacke im Mai hatte die linke Kritik an den Militanten sogar dazu geführt, dass diese sich mit einem erklärenden Nachtrag zu ihrem Bekennerbrief abermals zu Wort meldeten.

Wiedererkennungswert haben auch die offiziellen Reaktionen. Schon im Frühjahr hatten Polizeigewerkschaft und Politiker das Wort von der neuen RAF strapaziert, auf die angeblich wachsende Gefahren des Linksextremismus verwiesen sowie eine Aufrüstung des Sicherheitsapparates gefordert. Nach den Anschlägen von dieser Woche schlug GdP-Bundeschef Bernhard Witthaut erneut in diese Kerbe: „Auch der RAF-Terror hat mit der verharmlosenden so genannten Gewalt gegen Sachen begonnen“, erklärte Witthaut. „Der Verfassungsschutz und der polizeiliche Staatsschutz müssen personell verstärkt werden.“

"Wir sagen: lächerlich"

Berlins SPD-Innensenator Ehrhart Körting erklärte, mit dem Anschlag habe der Linksextremismus „erneut sein hässliches Gesicht“ gezeigt. Auch Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann verurteilte „die Aktionen auf das Schärfste“. Und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer sprach von einem „Anschlag auf unsere Gesellschaft“. Bei der Bundesanwaltschaft blieb man zunächst jedoch zurückhaltend. Die Karlsruher Behörde wäre für die Ermittlungen zuständig, wenn es sich bei dem Anschlag um einen Fall schwerer Brandstiftung handelt, der zudem geeignet wäre, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen. „Bislang gibt es keine Anzeichen, dass diese Vorfälle in unseren Zuständigkeitsbereich fallen“, versicherte ein Sprecher am Dienstag.

Die Autoren des Bekennerschreibens haben die Reaktionen auf ihre Aktion zum Teil vorweggenommen: „Vielleicht wird die Sabotage als das Werk von Idioten oder von Terroristen gebrandmarkt – oder als das von terroristischen Idioten. Wir sagen: lächerlich!“ Überzeugt hat das offenkundig kaum jemanden. Denn, wie heißt es in einer Reaktion in einem linken Internetforum: „Vielen Dank für nichts, ihr Deppen!“

Vincent Körner hat im Freitag 21/2011 über die Medialisierung von Justizprozessen berichtet

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