Wie wird man dem Werk eines Künstlers gerecht, das seit drei Jahrzehnten durch verschiedene Medien migriert, durch Zeichnung, Film, Installation und Theater, ohne sich jemals auf eine Form festzulegen? Das Schlagwort „Gesamtkunstwerk“ kommt einem in den Sinn und bleibt doch vage. Ob es sich um Kohlezeichnungen handelt oder eine Performance wie A Guided Tour of the Exhibition: For Soprano With Handbag, die das Ritual der Museumsführung auf die Theaterbühne verlegt – bei William Kentridge genießen alle Ausdrucksformen die gleiche Aufmerksamkeit. Aus einem inhaltlichen Impuls wachsen oftmals hybride Werkgruppen heran.
Diese permanente Ausweitung der Genregrenzen macht eine Gesamtschau des 1955 im südafrikanischen Johannesburg geborenen Künstlers
nen Künstlers zu einer Herausforderung, der in Berlin nun zwei Institutionen gemeinsam begegnen. Der Martin-Gropius-Bau zeigt die Ausstellung No it is!, ab Juli wird sie im Haus der Berliner Festspiele von einem Performance-Festival und Filminstallationen begleitet.Placeholder gallery-1Der Ausgangspunkt ist bei William Kentridge stets die Zeichnung. Manchmal bleibt es dabei, meistens jedoch gibt der Künstler seinen Bildern ein zweites Leben und entwickelt sie zu Filmen oder Skulpturen weiter. Der Ausstellungsparcours im Gropius-Bau beginnt mit einer Mehrkanal-Videoinstallation. Wir sehen Kentridge, wie er ein Selbstporträt zeichnet, das wie von Geisterhand zum Leben erweckt wird und aus dem Bild spaziert. In der nächsten Einstellung ist das Kentridge-Double wieder als eine Zeichnung von vielen an der Atelierwand zu sehen. Wie Goethes Zauberlehrling verliert auch der Künstler hier zuweilen die Kontrolle über die von ihm geschaffenen Gestalten. Ein Blatt Zeichenpapier wird im Film zur Bühne, auf der Gebrauchsgegenstände wie Untertassen und Zeichenstifte immer wieder Kentridges Hand entweichen und ein Eigenleben führen, sodass sie von der zeichnerischen Linie wieder zur Ordnung gerufen werden müssen. Inmitten dieses Treibens steht die Künstlerfigur, die zwar mal mehr, mal weniger Herr der Lage ist, aber im kreativen Akt stets der Dreh- und Angelpunkt bleibt.Tanz und TotentanzWeiter hinein in Kentridges künstlerischen Kosmos führt das Studio, das Atelieratmosphäre inszeniert. Statt auf Sockeln werden Werke hier auf großen Arbeitstischen gezeigt. Mehrere Stereoskope eröffnen einen 3-D-Blick in das Künstleratelier, in dem zum Zeitpunkt der Aufnahmen flüchtige Lichtskulpturen fotografisch festgehalten wurden. Eine Videodokumentation macht die Entstehung von meterlangen, Kalligraphie-ähnlichen Zeichnungen sichtbar, die nahebei als Bahnen im Original hängen. Doch dass Inspiration nicht aus dem Nichts entsteht, verdeutlichen Stiche und Drucke solch namhafter Künstler wie Rembrandt oder Picasso aus Kentridges persönlicher Sammlung. Seine inhaltlichen und formalen Bezüge zu den historischen Vorbildern werden hier erkennbar, etwa wenn Albrecht Dürers berühmtes Rhinozerus in der Nähe des Bildes als Papierskulptur von Kentridge auftaucht. Hier wird deutlich, dass künstlerisches Schaffen entgegen aller Mythenbildung vom autonomen Künstlersubjekt nicht im Vakuum entsteht.So verschieden die Ausstellungsstücke in dieser Wunderkammer sind, ist in der Schau doch eine Stringenz erkennbar, die von Kentridges Handschrift herrührt, die sich aus der Zeichnung in alle anderen Medien hinein entwickelt hat. In seinen berühmten animierten Filmen, die auf Kohle- und Kreidezeichnung basieren – in den 90ern bereits bei der Biennale in Venedig und der Documenta zu sehen –, formt sie schicksalhafte Figuren und bildet tragische Erzählungen ab. Hier werden immer wieder auch politische Themen verhandelt, wie die Geschichte und Aufarbeitung der Apartheid in Südafrika.Den Höhepunkt der Ausstellung aber bilden zwei raumgreifende Installationen, die das Format Gesamtkunstwerk erlebbar machen. The Refusal of Time verschachtelt Bild- und Tonebenen in der Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit. An den Wänden ziehen schwarze Scherenschnitte umher, andere Personen werkeln an einer Uhr herum, dann wieder kehren wir in Kentridges weißes Studio zurück, in dem er sich selbst filmt. Einer eigenen Melodie folgend bewegt sich mitten im Raum die Holzskulptur The Elephant, ihr Name ist einer Maschine aus Charles Dickens’ Industrie-Roman Harte Zeiten entlehnt. Durch die begleitende polyrhythmische Musik wird spürbar, dass hier etwas aus dem Takt geraten ist. Zum Abschluss lässt Kentridge die Besucher in seiner neuen Arbeit More Sweetly Play the Dance an einer Prozession teilhaben, die zwischen Freude und Schmerz wechselt. Eine Blechkapelle spielt mitreißende Musik, zu der dunkle Figuren auf dem langen Filmband tanzen, bevor ihnen Kranke und Leidende folgen. So verläuft die Wanderung zwischen Tanz und Totentanz. Kentridges Arbeit wird hier als Kommentar auf die aktuelle Migrationsdebatte lesbar. Reduzieren lässt sich das polyfone Gesamtkunstwerk darauf nicht.Placeholder infobox-1