33. Mülheimer Theatertage

Festival Gospodin plant die Radikalverweigerung. Man hat ihm sein Lama weggenommen, mit dem er sich bettelnd den Lebensunterhalt verdiente und das zum ...

Gospodin plant die Radikalverweigerung. Man hat ihm sein Lama weggenommen, mit dem er sich bettelnd den Lebensunterhalt verdiente und das zum Garanten seiner antikapitalistischen Lebenshaltung wurde. Also verlegt er sich auf Tauschgeschäfte. Nichtsdestotrotz führt ihn der konsumistische Dämon immer wieder in Versuchung. Erlösung findet Gospodin erst in der "Freiheit" des Gefängnisses, das ihn jedes Entscheidungszwangs enthebt.

Philipp Löhles Stück Genannt Gospodin ist eine bissige, kleine Satire, die beim Festival Stücke 08 im Wettbewerb um den Mülheimer Dramatikerpreis antrat. Insgesamt 130 Uraufführungen hatte die Auswahljury gesichtet und acht Kandidaten nach Mülheim eingeladen. Auch wenn die Auswahl von einem erstaunlichen Proporzdenken (Dramaturgie, deutschsprachige Länder oder Geschlecht der Autoren) geprägt war - für Wasserstandsmeldungen zur zeitgenössischen Dramatik taugte sie allemal. Überraschend vor allem, dass die vierköpfige Newcomerfraktion anstelle der üblichen schwermütigen Familienzerfallsdramen mit bösartigbissigen Komödien zu drängenden gesellschaftlichen Problemen aufwartete.

Neben Philipp Löhle galt das für Laura de Wecks Studenten-Stück Lieblingsmenschen oder Ewald Palmetshofers Farce hamlet ist tot. keine schwerkraft. Am deutlichsten für Felicia Zellers Text Kaspar Häuser Meer, in dem drei Mitarbeiterinnen des Jugendamts ihrem verbeamteten Helfersyndrom Auslauf lassen. Anika, Barbara und Silvia sind Grazien der Fürsorge, die vom Imitat des drögen Prekariatsjargons über Kollegenmobbing bis zur Chefschelte kein Pardon kennen. Doch Kaspar Häuser Meer ist kein Sozialdrama zum Thema vernachlässigte beziehungsweise missbrauchte Kinder. In einer mitreißenden, manchmal leer laufenden Sprache aus Sozialfloskeln, Amtsjargon und privaten Bekenntnissen faltet die 38-jährige Autorin den Wahnsinn der verwalteten Armut auseinander und erhielt dafür zurecht den Publikumspreis des Festivals.

Wenn auch keines dieser Stücke letztlich den Dramatikerpreis der Jury erhielt, die Verbindung aus Komödie und ernsthafter Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen bewies den neuen Mut der jungen Autoren, über den privatistischen Tellerrand hinauszusehen. Von den älteren Autoren erwartet man dies als Selbstverständlichkeit. Doch gerade die gestandenen Dramatiker schwächelten in diesem Jahr vernehmlich. Heaven (zu tristan) von Fritz Kater oder Liebe ist kälter als das Kapital von René Pollesch lieferten eher die bekannten Themen und Dramaturgien. Als Totalausfall erwies sich Theresia Walsers Text Morgen in Katar, ein schlecht motiviertes, pseudodialogisches Boulevardstück über 13 Menschen in einem ICE.

So hatte am Ende Dea Loher leichtes Spiel. Mit einem deutlichen 5:0 verlieh die von Gerhard Jörder moderierte Jury der 43-jährigen Autorin den mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikerpreis. Ihr Stück Das letzte Feuer wirkt auf den ersten Blick allerdings wie ein überfrachtetes Leidenskompendium. Da überfährt eine terroristenhetzende Polizistin einen kleinen Jungen; dessen Eltern quälen sich daraufhin mit Schuldvorwürfen; es gibt einen Soldaten, der sich die Fingernägel wegfeilt; eine alzheimerkranke alte Frau, eine brustamputierte Lehrerin und so weiter. Was nach einem Wendekreis des Problemkitsches klingt, wird zu einer verblüffend konzisen Befragung des Zufalls als modernem Schicksalsbegriff, der das Leben all dieser Menschen verzahnt und zu einem vielstimmigen Chor der Leidgeprüften formt. Von kleinen Ausrutschern ins sämige Pathos abgesehen, ist Das letzte Feuer ein beeindruckend durchkomponierter, sprachlich dichter und hochpoetischer Text, dessen Intensität durch Andreas Kriegenburgs kongeniale Inszenierung vom Thalia Theater Hamburg zusätzlich gewann. Ein verdienter Erfolg in einem allerdings nicht durchweg satisfaktionsfähigen Teilnehmerfeld.

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