62 Jahre auf 40 Seiten verdichtet

Sachbuch Ein Präparator und eine ehemalige "FAZ"-Ikone schreiben hochinteressant über ihr Leben. Ein Landwirtschaftsfunktionär schreibt über die Kartoffel
Ausgabe 40/2013

Hans Völkel verschlug es, wie so viele, am Kriegsende aus Breslau nach Niederbayern. Dort taufte man ihn erst mal stramm bajuwarisch in Johannes Völkl um. Als 14-Jähriger stand er vor der Wahl: Knecht oder Knappe. Landwirtschaft oder Bergbau. 1951 zog er ins Revier und ins Berglehrlingsheim. Als Jüngster litt er besonders unter den Rohheiten dort. Zog dennoch den jüngeren Bruder nach. 1954 kamen die Eltern hinterher. Bis dahin hatte Hans mit seinem Lehrlingsgehalt die Familie ernährt. Der Vater übernahm eine Trinkhalle. Hans wurde Knappe. 1956 nahm der passionierte Hobby-Fossiliensammler das Angebot an, Museumsgehilfe zu werden. Später wurde er Leiter der Präparationstechnik an der Uni Bochum und Lehrer an einer Höheren Berufsfachschule. Die Erinnerungen des 77-Jährigen sind ein Glücksfall: Wohl abgewogen der persönliche Weg, dosiert mit Anekdoten illustriert, liefern sie einen Lebensweg, durchaus exemplarisch für den Strukturwandel des Ruhrgebiets.

Lorenz Jäger ist 62 Jahre alt. Dass seine Lebensbilanzierungen nur knapp 40 Seiten betragen, ist nicht etwa geringer Lebenserfahrung geschuldet. Bestimmt hätte er sich, einer der beiden klügsten Köpfe der FAZ, u.a. Autor eines ausgezeichneten Buchs über Adorno, viel breiter und selbstgefälliger ausfalten können. Stattdessen liefert er drei hochverdichtete und – reflektierte Essays. Im ersten verquicken sich adoleszente Liebesinitiation mit der Hommage an einen Glücksfall von Lehrer. Dann 1969, das Jahr, „in dem die Kriminalität in die linksextreme Welt einzusickern begann“ und „maoistischer Pop und Pomp mit viel Gold und Silber“ aufkam. Ein Roadmovie mit Baader, Proll und Boock. Das sollte man unbedingt lesen, wenn man sich den juvenilen Aberwitz zwischen Perry Rhodan und Mao-Bibel vor Augen führen will. Ebenso aber den letzten, die Begegnung mit Gershom Scholem, mit seinem Satz, dass der hochikonisierte Walter Benjamin „ihnen allen doch furchtbar auf die Nerven“ gegangen wäre, mit dem Handlesen und mit Hilde Unseld. Um solche Lebensknotenpunkte könnte man ihn beneiden. Indes, sieht man hier, gehört mehr als Fortüne dazu, sie erkannt und einen ganz eigenen Weg daraus gemacht zu haben.

Nichts für Couchpotatoes

Egon Friedells Kulturgeschichte ist bestimmt eins der über Generationen hinweg meistgekauften ungelesenen Bücher und seit 1927 ein stabiler Gewinnfaktor für den Beck-Verlag. Da ist es nur billig, dass Beck zu seinem 75. Todestag eine Biografie Friedells herausbrachte. Am 16. März war er, als „Jud“ von SA-Leuten bedroht, aus dem Fenster seiner Wohnung in Wien gesprungen. Die Anekdote will, er habe zuvor die Passanten drunten höflich gebeten, beiseite zu treten. In seinem Leben davor war er – ein fast fettlicher Festkörper in der genialischen Wiener Kaffeehaus-Elite – erst einmal ein schlechter Schüler gewesen, dafür umso spöttischer gegenüber den Anstalten. Von unnachahmlicher Boshaftigkeit ist etwa ein Sketch, in dem Goethe im Germanistenexamen durchfällt, weil er sein Leben nicht exakt genug aufsagen kann. Friedell war ein begnadeter Feuilletonist, ein kultivierter Vielkenner, was vor allem seine bis heute beeindruckende Kulturgeschichte beweist. Bernhard Viels Biografie ist weniger sprachgewandt als ihr Gegenstand, dafür grundsolide und kenntnisreich.

Vom Geist zum Körper: Die Kartoffel. Diese Darstellung ist nichts für Couchpotatoes oder ideologisch gefestigte Grünkerne, denn gegen sie ideologisch gefestigt ist der Autor – über 30 Jahre Landwirtschaftsfunktionär – wahrlich genug: Er wettert gegen grüne Unkenntnis, Klimahype, verteidigt die Gentechnik und die neue Belana gegen die alte Linda. Dennoch kann man das Buch mit Gewinn lesen, in landwirtschaftlicher, botanischer, historischer Hinsicht. So unstringent aufgebaut, liest man’s ohnehin am besten, wie die Kartoffel sich für uns hingibt: als wechselnde Beilage. Schön etwa das Kramen in der literarischen Kartoffelkiste von Shakespeare bis Goethe, Heinz Erhardt bis Heinrich Böll. Am wundersamsten aber, wofür und gegen die Kartoffel alles gut sein soll: Wadenkrämpfe, Magenbeschwerden, Hysterie und Melancholie. Und – weil hodenförmig – gegen mangelnden Sexualappetit. Ach ja, bleibt noch der Sprit für weiland die V2 und der ordinäre bis raffinierte Kartoffelschnaps. Geist des Körpers. Prost, Mahlzeit!

Nach Untertage Hans Völkel klartext Verlag 2013, 172 S., 14,95 €

Prägungen Lorenz Jäger Karolinger Verlag 2013, 40 S., 9,99 €

Egon Friedell. Der geniale Dilettant Bernhard Viel C.H. Beck 2013, 352 S., 24,95 €

Eine Kulturgeschichte der Kartoffel Hans Peter Stamp Wachholtz Verlag 2013, 256 S., 20 €

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