Spätabends in der Kneipe diskutieren eine Frau und ein Mann über das Thema Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern. Da stellt sich natürlich die Frage: Muss das jetzt wirklich sein, wir sind doch im Jahr 2016? Es muss wirklich immer wieder sein. Martha, die in einer Kommunikationsagentur arbeitet, hat keine Ahnung, was ihre männlichen Kollegen verdienen. Dass es mehr sein könnte, ist nicht auszuschließen. Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Deutschland liegt bei durchschnittlich 22 Prozent. Das belegen die Zahlen des Statistischen Bundesamts ebenso wie die der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) seit Jahren. In den neuen Bundesländern beträgt die Lücke neun Prozent, in den alten sind e
d es sogar 23 Prozent.„Ich habe meine Kollegen auch nie gefragt. Ich vertraue da wohl ein Stück weit meinem Chef“, sagt Martha. Mit am Tresen sitzt Benjamin. Wie Martha ist er Anfang 30. Als Referent arbeitet er bei einer privaten Stiftung. „Ich bin damals mit einer festen Vorstellung vom Gehalt ins Gespräch mit meinem Chef gegangen. Wenn er mir kein gutes Angebot gemacht hätte, wäre ich weitergezogen“, sagt er. „Ich habe mich auch gut informiert und entsprechend gut verhandelt“, sagt Martha. So weit liegen beide gleich auf. Ein harmloses Geplänkel folgt. Und dann kommt die Sache mit den Kindern.Equal Pay Day„Ich glaube, die Ungleichheit fängt dann an, wenn Kinder da sind. Chefs investieren dann weniger in Mitarbeiterinnen, weil sie eben öfter nicht zur Verfügung stehen“, meint Benjamin.„Das klingt ja so, als wäre ich am Ende selbst schuld, dass ich weniger verdiene“, sagt Martha.„Also von Schuld würde ich da jetzt nicht sprechen“, sagt Benjamin. „Aber es ist ja häufig so, dass die Frau eben doch länger zu Hause bleibt. Davon gehen viele Chefs aus und planen entsprechend.“Er bestellt für beide noch ein Bier, Martha muss das Gehörte erst mal verdauen. Benjamin kann es sich leisten.Die laienhafte Einschätzung von Benjamin bestätigen viele Experten. „Tatsächlich geht die Verdienstschere oft dann auseinander, wenn das erste Kind kommt. Er macht Karriere und verdient mit den Jahren immer besser. Sie setzt aus, steigt dann vielleicht nur in Teilzeit wieder ein und wird vielleicht bei der nächsten Beförderungsrunde nicht berücksichtigt. Dann ist die Gefahr groß, dass ihre Aufstiegsmöglichkeiten schwinden“, sagt Michael Hies. Hies war lange Jahre mit Personalverantwortung bei einer großen Bank tätig und ist heute Geschäftsführer des Karrierenetzwerks e-fellows.net.Der deutsche Staat begünstigt diese traditionellen Rollen auch noch: zum Beispiel durch das Ehegattensplitting im Steuerrecht, von dem Paare umso mehr profitieren, je stärker die Einkommen der Partner auseinanderliegen. Mit ihrer Gender Pay Gap, der Lohnlücke von durchschnittlich 22 Prozent, nimmt die Bundesrepublik im europäischen Vergleich einen der unrühmlichen ersten Plätze ein. Nur Estland, mit fast 30 Prozent Spitzenreiter, Österreich und Griechenland liegen vor Deutschland. Der EU-Durchschnitt liegt bei fast 16 Prozent, und das schon seit längerer Zeit. Jährlich auf den Missstand aufmerksam machen will der Equal Pay Day. Schon seit 1988 wird er in den USA begangen, vor acht Jahren fand er das erste Mal auch in Deutschland statt.Symbolisch markiert der Equal Pay Day die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Arbeitszeit: 22 Prozent für Deutschland ergeben 79 Tage, die Frauen umsonst arbeiten. Zum Equal Pay Day finden in ganz Deutschland Aktionen statt. In Berlin beispielsweise gewähren Cafés, Buchhandlungen oder Sporthallen Frauen 22 Prozent Rabatt. „Das führt zumindest dazu, dass Mitarbeiter und Kunden sich mal ausführlicher mit dem Thema befassen“, glaubt Thor Schmidt, Inhaber einer Berliner Kletterhalle, die bereits im dritten Jahr mitmacht. Denn auch wenn die Gründe für die Lohnungleichheit seit vielen Jahren bekannt sind, werden sie in Öffentlichkeit und vor allem den Unternehmen selbst nicht ausreichend diskutiert, mahnt der Verein Business and Professional Women (BPW) an, der den Equal Pay Day nach Deutschland geholt hat. Die Statistiker erklären die Lohnlücke damit, dass Frauen häufiger in Berufen und Branchen arbeiten, in denen die Löhne niedrig sind. 85 Prozent aller Reinigungskräfte etwa sind Frauen. Außerdem sind sie häufiger in Dienstleistungsberufen tätig, als Kranken- und Altenpflegerin, als Kindergärtnerin, Friseurin oder im Callcenter. Männer sind häufiger in besser bezahlten Industrieberufen zu finden. Erklären lässt sich der Gender Pay Gap auch damit, dass Frauen in Deutschland seltener Führungspositionen besetzen. Etwa 13 Prozent der Männer haben eine leitende Funktion inne, aber nur sieben Prozent der Frauen. Hinzu kommt: Rund 45 Prozent aller erwerbsfähigen Frauen arbeiten in Teilzeit – bei den Müttern ist die Quote noch höher.Gründe wie die Berufswahl oder Teilzeitarbeit erklären die Lohnlücke zu etwa zwei Dritteln. Aber auch bei formal gleicher Qualifikation und Tätigkeit, zeigt die „bereinigte Lohnlücke“, liegt die Differenz in der Bezahlung immer noch bei durchschnittlich sieben bis acht Prozent. Da liegt die Vermutung nahe, dass in Deutschland Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts existiert. Gesetzlich ist das verboten. Seit 2006 gibt es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, im Volksmund Antidiskriminierungsgesetz genannt. Außerdem gibt es Artikel 3 des Grundgesetzes, der seit mehr als 60 Jahren besagt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ – „Viele Frauen verzichten darauf, vor Gericht zu ziehen. Da spielt wohl auch die Angst um den Job eine Rolle“, sagt Heike Gerstenberger, Gleichstellungsbeauftragte des Bezirksamts Berlin-Pankow.Birkenstock verklagtMut bewiesen zum Beispiel die Mitarbeiterinnen des Schuhherstellers Birkenstock. Sie verklagten ihren Arbeitgeber, weil er jahrelang seinen männlichen Mitarbeitern einen Euro mehr pro Stunde gezahlt hatte. Was Frauen von einer Klage abhält, mag auch der Umstand sein, dass die Gleichwertigkeit der Arbeit genau belegt werden muss. Dieser Nachweis ist nicht so einfach zu erbringen. Mehr Transparenz bei Gehältern will Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) mit ihrem bereits im letzten Jahr eingebrachten Vorschlag eines „Entgeltgleichheitsgesetzes“ schaffen. Unternehmen, so lautet der Plan, sollen ihre Gehaltsstrukturen offenlegen. Denn erst dann können Benachteiligungen überhaupt erkannt werden. Bei den Unternehmen trifft das nicht unbedingt auf offene Ohren. Es schaffe nur „immense Bürokratie und neue Berichtspflichten für die Unternehmen“, ließ beispielsweise die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände verlauten.Lohnungleichheit tritt überwiegend im außertariflichen Bereich auf. Am größten ist sie bei Freiberuflern, bei technischen und wissenschaftlichen Berufen wie in der Finanzwelt. Dass Frauen in Gehaltsverhandlungen im Durchschnitt schlechter abschneiden als ihre männlichen Kollegen, ist daher ein weiterer, oft genannter Grund für die Lohnlücke. „Ich habe beobachten können, dass Frauen in der Regel weniger fordernd auftreten, wenn es um ihr Gehalt geht“, sagt Michael Hies, der Profi aus dem Personalwesen. Aus seiner Erfahrung befinden sich viele Frauen bereits aufgrund ihrer Studiumswahl in einer schlechteren Verhandlungsposition. „In der Regel studieren mehr Frauen als Männer Geisteswissenschaften. Wenn sie dann bei einer Bank arbeiten wollen, sind sie weniger begehrt. Jemand, der Bankwirtschaft studiert hat, kann einfach mehr Gehalt verlangen.“ Sind Frauen also am Ende selbst schuld, dass sie im gleichen Job weniger verdienen als Männer? „Zumindest mit der Wahl des Studiums kann jeder ein Stück weit bestimmen, wie viel er oder sie später verdienen wird. Das ist eine persönliche Entscheidung“, sagt Hies.Henrike von Platen, Präsidentin des Vereins Business and Professional Women, kann diesem Argument nicht viel abgewinnen: „Warum verdient in Deutschland die Erzieherin schlechter als der KFZ-Mechaniker, oder die Arzthelferin schlechter als der Gas- und Wasserinstallateur? Das ist doch das grundsätzliche Problem, das es anzugehen gilt.“ Unter dem Motto „Was ist meine Arbeit wert?“ will der Equal Pay Day in diesem Jahr genau diese Debatte zur Wertschätzung von sozialen Berufen anstoßen.In der Kneipendiskussion sind Martha und Benjamin weit von einer Lösung entfernt. Im Hintergrund läuft tatsächlich You Can Get It If You Really Want von Jimmy Cliff. Als Frau muss man den Refrain gerade ziemlich zynisch finden.
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