Ich liebe Stadtmuseen. Es ist immer reichlich kuriose Sichtmaterie vorhanden, Hirn und Auge zu erfreuen. Nehmen wir das Detlefsen-Museum zu Glückstadt. Am Grunde eines hölzernen Heringsfasses der ortsansässigen Fischerei ein prachtvoller Hering, exemplarisch zwischen die Buchstaben "G. m." und "b. h." gebrannt sichtbar. Unter dem Logo "Reichsnährstand Blut und Boden", mit Adler und Hakenkreuz, ist Herrn Emil Knickrehm, geboren am 26. Oktober 1893 zu Glückstadt, auf Grund der Übergangsbestimmungen vom 8. Dezember 1933, per Meister-Brief als Fischermeister anerkannt. Von den drei Kompasslaternen ist nicht schlüssig herauszufinden, ob die Zahl 1672 nun das Herstellungsjahr meint oder nur der erste Teil der Registriernummer ist. Im Schaukasten nebenan sind
über fünfzig Arten Seilknoten ausgestellt. Hat man so viele schon einmal gesehen?Das Durchgangszimmer Nr. 2 ist eine im Detail getreu nachgestellte Museums-Apotheke. Im Schaukasten linker Hand liegen kleine Fläschchen mit schwer zu entziffernden Aufschriften: Hoffmannstropfen. Rizinusöl. Eine Art Salzstreuer-Achteckglas mit Deckelaufschrift weist sich als Behältnis des Preußischen Staatsbau Bad Ems für Bullrichsalz gegen Sodbrennen aus. Fachgebräuchlich Hydrogencarbonat, Bicarbonat, saures Carbonat und Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3-), rufe ich Schulwissen wach. Heute noch in Pulverform und als Tablette im Handel erhältlich. Neben den Miniflaschen drei Minitüten, die sich ihr Alter ansehen lassen. Wahrscheinlich noch mit dem Gänsekiel in altdeutscher Handschrift geschrieben, sind sie als Einschlag für Kräuterkümmel, Dadillensamen und Teufelsdreck erkennbar. "Teufelsdreck": Wundermittel gegen die Steinmarder-Plage lautet der beinahe ganzseitige Beitrag in der Norddeutschen Rundschau. Gemeindejäger Klaus Kock (54) hört von einem bestialisch stinkenden Saft mit dem Namen "Asant", der angeblich Marder vertreiben soll, führt mit dem nach Knoblauch schmeckenden Gummiharz diverse Tests im Kurort Büsum durch und vertreibt in der ersten Nacht alle Marder aus dem Kurdomizil. Das Wunderzeug aus dem Iran hält den Marder selbst von Autos fern. "Einfach die Kabel einschmieren, schon bleiben sie weg", rät Klock, der das Marder vertreibende Zeugs nun emsig vertreibt.Die eigentliche Attraktion des Hauses in den nächsten Monaten ist aber die "Sammlung Simonis". Das Ausstellungsplakat zeigt ein Regalteil aus dem Hause der ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin. Voll gestellt mit Porzellan: Dosen, Vasen, Kaffeekanne. Simonis berichtete zur Eröffnung, wie sie durch ihre Schwiegermutter in studentischer Zeit an die erste Kanne gerät, mit der dann alles beginnt. Nach Kanne Nummer eins, zwei, drei, sagt die Gelegenheitssammlerin, habe sie "Aus, Schluss, vorbei" geflucht und erst richtig losgelegt. Mittlerweile sind 5000 Einzelstücke in ihrem Besitz. Das bedeutete 800 Kisten beim letzten Umzug. Puppen sammelt Frau Simonis nicht. Die, sagt sie, "schielen immer" und blickten ständig zum Betrachter zurück. Das nerve sie.Was Sammeln und Finden, Taxieren und Kaufen anbelangt, kennt sich Frau Simonis soweit ganz gut aus. "Das gute Stück sitzt da und wartet auf mich", gesteht sie und behauptet ferner: "Ich rieche das Zeug binnen Minuten, die ich auf einem Trödelmarkt bin". Sie ist viel unterwegs und regelmäßig an Orten mit Flohmärkten. Der Berliner Markt, sagt sie, ist großbürgerlich angelegt und bietet hauptsächlich Leinenwäsche feil. In Kiel bestimmten Produkte aus dem bürgerlichen Leben Angebot und Preis. Hamburg dagegen glänze durch Erhaltengebliebenes aus dem großstädtischen Bürgertum. In Italien stürben bedauerlicherweise Märkte langsam aus. Handeln war und sei in Afrika am besten zu erlernen.Simonis ist als Privatperson in eigener Angelegenheit nach Glückstadt aufgebrochen. Die Bescheidenheit, die sie für sich persönlich reklamiert, wird durch manch unscheinbares Detail, das zu überdimensional geraten ist, in ihr Gegenteil verkehrt. So wirkt zum Beispiel der badehandtuchgroße schwarze Schal mit asiatisch anmutender Stickerei, den sie am Eröffnungstag über ihre schmächtigen Schultern gelegt hatte und der bis zum Parkett reichte, eher wie eine Überlebensdecke für den Notfall. Die überdimensionale schwarze Handtasche in Einkaufstütenformat, hätte lässig drei, vier DIN A4-Aktenordner aufnehmen können und die hell ausgewaschene Hosennaht der Jugendlichkeit betonenden Bluejeans, war eine Spur zu auffällig ausgewaschen, weswegen sie sich gegenüber dem fabrikneuen Reststoff als deutlich-unzarter Störfaktor abhebt. Über die nichts sagenden Halbschuhe mit überdimensionaler eckiger Schnalle an zierlicher Spitze und die, über Jahrzehnte dringlich überarbeitungswerte Dauerfrisur der Simonis, habe ich nicht zu befinden. Das ist Sache ihrer engeren Berater.Doch was es mehr zu beklagen gilt, ist, dass Simonis als Sammlerin weder überzeugt, noch richtig erschreckt. Wahn und Leidenschaft sind zwei unverzichtbare Schwestern beim Trödelmarkten - Zicken, die sich gegenseitig schwächen und stärken, Nimmersattfrauen. Davon beschleicht einen in der Sammlung Simonis nicht die leiseste Ahnung. Dieser Sammelwahn ist weit verbreitet. Günther Kunert, der auf Blechspielzeug erpichte große Dichter unweit von Glückstadt wohnhaft, hat Orten ohne Flohmarktanbindung niemals seine künstlerische Aufwartung gemacht. Doch dem Frauenzimmer Simonis fehlt das Triebhaft-Notorische des Menschen mit unheilbarem Sammelsymptom. Worte wie Beutezug, Wegschnappen, schlaflose Nächte, Motive wie Selbstanklage und Selbstantrieb fallen bei ihr, wenn sie über ihren Tick redet, nicht. Da sitzt nicht das Weib, das haben und haben und haben will, auf Teufelkommraus anstrebt, niemals nachgibt und auf Grund dessen immer auch letztendlich bekommt, was es anstrebt. Diese Seite ist bei der schaumgebremsten Heide völlig ausgespart oder sie hat ihre Besessenheit und hoffnungslose Sucht so fest im Griff, dass sie von ihr reden kann, wie man von Urlaubsplanung und Haushaltsführung redet. Allein "80 große Fleischplatten" gehören nach Simonis´ Angaben zu der Sammlung. Bei dieser Sammlerin und Ex-Landesmutter hat man immer das Gefühl, dass sie letzten Endes doch Haushaltspolitikerin geblieben ist - unter dem Strich muss es sich rechnen.Die Sammlung Heide Simonis. Dosen - Vasen - Kaffeekannen. Detlefsen - Museum Glückstadt. 19. März - 18. Juni 2006
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