8ung! Revolutschon!

BRAVO Die FAZ löscht die Rechtschreibreform und rettet die Kultur

Lob, Dank, Zuspruch und einige kritische Stimmen am Tag danach« - befriedigtes Resümee Thomas Manns nach einer Lesung? So könnte es in den Tagebüchern stehen, tut es aber nicht. Vielmehr handelt es sich um die Headline, mit der die Frankfurter Allgemeine Zeitung am vergangenen Freitag aufmachte, bescheiden, ganz wie es Thomas Manns Art war (»War die ganze Woche so elend, daß nur Champagner und Kaviar zu mir nehmen konnte«). Denn immerhin gab es nichts Geringeres als eine Kulturrevolution mitzuteilen, wie sich schon der Unterzeile entnehmen ließ: »Die Schriftsteller jubeln«! Jubelnde Schriftsteller? Wann hätte es das je gegeben? Und wann zuvor hätten Peter Hacks, Stefan Heym und Hermann Kant etwa gemeinsam, kategorisch und per Telegramm vom Neuen Deutschland gefordert: »Erwarten uneingeschränkte Solidarisierung mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in dieser Orthographiesache«! Das lappte ja schon ins offen Politische - die Kultur als Basis einer Volksfront, welche unter solidarischer Führung von FAZ und ND den Bastillesturm herbeiführt, während sich die Kultusbürokratie unter Leitung des ehemaligen »Werder Bremen«-Managers noch irritiert fragt, warum die Hungernden denn keinen Kuchen fressen wollen.

Bereits einen Tag nach der triumphalen Meldung hatte der Lyriker Durs Grünbein denn auch den fundamental politischen und zivilisatorischen Gehalt der »Orthographiesache« erkannt und geißelte erst einmal politische Reformen im allgemeinen (»Wo immer sie eindringen, ist das Immunsystem schließlich geschwächt«), sodann aber in entschiedenen Worten das grausame ödipale Begehren der Reformer: »Man vergreift sich nicht an der Mutter.« Das musste wirklich mal gesagt werden, und zwar ganz besonders im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform. Denn um die ging es ja hier.

Vor einem Jahr hatte die FAZ (wie alle anderen Zeitungen auch) ihr Korrekturprogramm nach den Regeln der per Dekret reformierten Rechtschreibung ausgerichtet und schrieb forthin also »näher treten« statt »nähertreten«. Eine ziemlich inzestuöse, das Immunsystem des Sprachvolkskörpers bzw. Volkssprachkörpers zweifellos gefährdende Sache, die jedoch einzig geschah, »um die Einheit der deutschen Sprache zu wahren«. Ein Jahr später nun - auf den Zeitungsseiten gähnt mit seinem grässlichen Schlund das Sommerloch -, muss die FAZ feststellen, dass der Einheit auch so nicht zu helfen ist, im Gegenteil: Jeder schreibt mittlerweile, wie er will! Und statt Ordnung und »Hygiene« (Grünbein) herrschen Unzucht und Chaos. Also, hopp, wieder runter von der Mutter! Und, Kommando Grünbein, »vorwärts zurück« zur konservativen Kulturrevolution!

Nur die Ruhe - auch das hatten wir schon. Gerade 45 Jahre ist es her, da tobte in der DDR ein ähnlicher Kampf. In der Wochenpost Nr. 2, 1955, veröffentlichte Prof. Dr. Wolfgang Steinitz unter dem provozierenden Titel »geht es um libe?« seine »Gedanken zur Reform der deutschen Rechtschreibung«, und schon damals fühlten sich auch die Dichter herausgefordert. »ich bin gegen eine reform der rechtschreibung von solchem ausmass«, schrieb Bertolt Brecht, »dass alle die bücher, die auf die alte weise gedrukkt sind, schwer lesbar werden. die grossen buchstaben sollte man aber nur für namen und für die fürwörter in der anrede verwenden. (auch für den satzanfang nicht; da genügt der punkt und ein abstand.) liebe darf man nicht libe schreiben und toll nicht tol. razion liest sich für mich nicht übel, aber razio geht nicht und nazion ist undenkbar, da habe ich einen schokk bekommen. lassen wir also lieber auch die rationen.«

Schokk beiseite: Die nazion hat auch diesen Anschlag überstanden. Und für die einzig vernünftige und hilfreiche Rechtschreib reform: die gemäßigte Kleinschreibung nämlich, waren die Kultusminister sowieso zu feige. Bevor sie sich nun aber zum erneuten Leidwesen besonders der SchülerInnen und LehrerInnen auch ihr kleinkrämerisches Fitzel-Reförmchen wieder entwinden lassen, sollten sie vielleicht doch nochmal bei Thomas Mann nachschauen. Da rotten sich, in den Buddenbrooks, aufrührerische Massen vor dem Lübecker Rathaus zusammen. Was sie denn wollen, fragt der Konsul. »Ne Revolutschon!« »Aber se hebbt doch all een«, spricht da der alte Buddenbrook. »Na, denn is ja good«, sagen die Massen. Und gehen befriedigt nach Hause.

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