9. Tbilissi Filmfest

Festival Gleich am Anfang kamen die Swiadisten: Anhänger des Swiad Gamsachurdia, Georgiens erstem Präsidenten nach der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahre ...

Gleich am Anfang kamen die Swiadisten: Anhänger des Swiad Gamsachurdia, Georgiens erstem Präsidenten nach der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1991, blockierten zur Eröffnung den Haupteingang des Festivalkinos und verlangten nach der Vorführung einer Dokumentation über das Leben ihres unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen nationalpopulistischen Helden. Der von Handgreiflichkeiten begleitete Auftakt des 9. Filmfestivals in Tbilissi zeigte erneut, dass die georgische Gesellschaft nicht nur von den kriegerischen Auseinandersetzungen um Abchasien und Südossetien erschüttert wird, sondern auch innenpolitisch stark gespalten ist. Derweil ist die Filmszene nach dem Verlust der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland dazu gezwungen, sich neu zu orientieren und hofft auf Unterstützung aus dem Westen.

Kaum mehr als einen Monat Zeit hatten Festivalleiter Gaga Chkheidse und sein Team, um ihre Veranstaltung auf die Beine zu stellen. Durch die "August-Ereignisse", wie hier der Krieg mit Russland genannt wird, und die Auswirkungen der seit längerem schwelenden Wirtschaftskrise brach die Finanzierung weg. Das ökonomische Desaster ist in der georgischen Hauptstadt, trotz der protzig zur Schau gestellten Weihnachtsbeleuchtung im Stadtzentrum, offensichtlich: Mit Renten um 40 Euro lässt sich gerade die Gasrechnung bezahlen; mit Durchschnittseinkommen um 150 Euro wird der Alltag mit seinen teils über hiesigem Maß liegenden Lebensmittelpreisen zur Überlebenskunst.

In der Filmszene blickt man nach vorn, wenn auch mit gemischten Gefühlen. Konstantine Chlaidse, Leiter des Georgischen Filmzentrums, klingt verhalten optimistisch, wenn er betont, dass dieses Jahr sechs Filme in Produktion gegangen sind. Der Polit-Krimi Mediator, neueste Arbeit des teilweise in Berlin lebenden Dito Tsintsadse (Lost Killers, Der Mann von der Botschaft), ist vor kurzem in Georgiens wenigen verbliebenen Kinos angelaufen - momentan werden etwa 25 Leinwände bespielt. Deren Betreiber sind auf Selbsthilfe angewiesen. Früher wurden die Kopien internationaler Blockbuster aus Russland importiert; die preisgünstige Quelle ist seit August versiegt. Mit der simpel gestrickten, aber publikumswirksamen Komödie Idiokratie - mit entsprechenden Anspielungen auf die Politik - haben die Kinobesitzer erstmals selbst einen Low-Budget-Film finanziert.

Für anspruchsvollere Kost freilich sind Investitionen nötig, für die der bescheidene staatliche Förderetat von 500.000 Euro nicht ausreicht. Auf der Suche nach Partnern ist man auf Westkurs. Da ist viel Hoffnung im Spiel, und so empfehlen Beratungsagenturen die Vernetzung in der Region und im gesamten Schwarzmeerraum, was immer wieder an den politischen Rahmenbedingungen scheitert. Treffen können nur in Tbilissi stattfinden, weil die außerdem am Projekt beteiligten Länder Aserbeidschan und Armenien wegen des Konflikts um die Provinz Nagorny-Karabach verfeindet sind. Der Krieg mit Russland wird in der hoch politisierten georgischen Gesellschaft zwar ständig diskutiert, von den dortigen Filmemachern aber momentan nicht reflektiert. Die Pläne des serbischen Regisseurs Emir Kusturica, einen von Russland finanzierten Dokumentarfilm über Südossetien zu drehen, sieht man gelassen.

Das Tbilissi Filmfestival indes zeigte keine neuen georgischen Filme, aber Entdeckungen aus der Stummfilmära. Mit Unterstützung der UNESCO wurden vier georgische Filme aus der Pionierzeit des Kinos rekonstruiert, darunter Mikheil Kalatosows expressionisisches, zwischen Antikriegsfilm und Agitprop pendelnder Der Nagel im Stiefel, ein wenig bekanntes Frühwerk des Wenn die Kraniche ziehen-Regisseurs. Im aktuellen Programm fanden sich drei russische Filme, an denen georgischstämmige Filmschaffende wesentlich beteiligt waren. Merab Ninidse, Hauptdarsteller von Alexej German jrs. in Venedig ausgezeichnetem Der Papiersoldat, wurde auf einem Festessen mit standing ovations empfangen - und einer Tischrede für "alle, die sich auch mit Russland verbunden fühlen". So hält die Kultur eine Tür Richtung Russland offen.

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