A bisserl was geht immer

Soziologie Münchner Studierende haben nach dem Menschen hinter dem Pfandflaschensammler geforscht
Ausgabe 35/2015
Man sieht sie häufig, weiß aber wenig über sie: Flaschensammler in der Stadt
Man sieht sie häufig, weiß aber wenig über sie: Flaschensammler in der Stadt

Foto: Horst Galuschka/Imago

Am Bahnhof entwickelt sich eine Diskussion zwischen einem Beschäftigten der Deutschen Bahn und einem Mann mit Plastiktüte: einem Pfandflaschensammler, den der Bahnangestellte davon abhalten will, in einer Mülltonne nach Verwertbarem zu suchen. Das sei verboten, sagt der Ordnungshüter. Die Polizei habe es ihm erlaubt, widerspricht der Flaschensammler. „Aber ich sage, es ist verboten. Weil das so in der Hausordnung steht.“ Es scheint, als würde der Bahnangestellte gleich explodieren, er droht mit Platzverbot für den gesamten Bahnhof. Der Flaschensammler ist inzwischen weitergegangen, der angekündigte Zug immer noch nicht da.

Man sieht sie in den Straßen und Parks der großen Städte immer häufiger, weiß aber wenig über diese Menschen. Wer sind sie eigentlich, die Flaschensammler? Die Leute, für die man das leere Straßenbier an der nächsten Ecke abstellt? In einem Forschungsprojekt haben sich Studierende der Münchner Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fachbereich Soziale Arbeit, mit dem Phänomen beschäftigt. Seit 2013 haben sie unter der Leitung der Sozialwissenschaftler Philipp Catterfeld und Alban Knecht im Münchner Bahnhofsviertel Interviews mit Sammlern geführt. Nun sind die Texte in dem Buch Flaschensammeln. Überleben in der Stadt (UVK, 184 Seiten, 24,99 Euro) erschienen. Es ist eine Annäherung: In 40 Reportagen werden verschiedene Motive und Sammlertypen erforscht. In den meisten Fällen handelt es sich um eine aus der Not geborene Tätigkeit, die Gespräche drehen sich um die Scham, in der Öffentlichkeit dabei gesehen zu werden, wie man im Müll sucht. Darum, wie man aus dem Flaschensammeln einen Job macht, der mit großer Disziplin ausgeübt werden muss. Morgens aus dem Haus, was Anständiges anziehen, Krankmachen kommt nicht in Frage.

Männlich und meist schon im Rentenalter sind 90 Prozent der Flaschensammler, darin ist die Gruppe homogen. Außerdem eint sie der Wunsch, eine Aufgabe zu haben, die einer Arbeit ähnelt – eine feste Tagesstruktur, wie es auch der Freiburger Soziologe Sebastian J. Moser in seiner Dissertation Pfandsammler. Erkundungen einer urbanen Sozialfigur (2014) beschreibt. Etwas Redliches tun, erklären die Flaschensammler selbst, manche haben durchaus Freude an ihrer Tätigkeit.

In den Texten der Münchner Flaschensammlerforschenden kommt der Rentner vor, der sowieso mit dem Hund raus muss. Warum dann nicht gleich das Geld einstecken, das praktisch auf der Straße liegt? Oder der junge Mann, der scheinbar zielstrebig seines Weges geht und erst wenn er denkt, dass ihn niemand sieht, in die Mülltonne greift. Oder die Frau mittleren Alters, die beim Open-Air-Konzert freundlich, aber bestimmt die Besucher dazu auffordert, ihr die Flaschen zu geben. Und der chinesische Migrant macht jeden Tag seine Fahrradtour durch die Stadt und kommt abends schwer bepackt wieder nach Hause. Er scheint sich als hauptberuflicher Flaschensammler selbstständig gemacht zu haben.

Doch wie landet jemand in diesem Job? Welche sind die familiären oder gesellschaftlichen Hintergründe? In diesen Münchner Geschichten bekommen Menschen ein Gesicht, die viele nur schnöde als Penner bezeichnen würden. Und die Lesenden bekommen Tipps: Das Flaschensammeln hat echtes Suchtpotenzial, meiden Sie deshalb Bahnhöfe.

Maria Braig bloggt auf freitag.de

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