„Geh’ doch nach drüben!“ Ich kann nicht sagen, wie oft ich mir das ernsthaft anhören musste – und wie oft es einfach nur ironisch in die Unterhaltung geworfen wurde, wenn man irgendwelche kritischen Debatten über die Zustände in der „BRD“ führte. Jedenfalls war es ein Spruch, der in die Zeit passte und bis ’89 immer präsent war: Es gab nur das Hier oder das Drüben, den Westen oder den Osten, Freiheit oder Sozialismus – man musste sich eben entscheiden. Das Problem war nur, dass ich das nicht konnte. Im Sommer 1968 fand in Köln eine Demo gegen den Vietnamkrieg statt, an der ich mich als Schüler beteiligte. Es gab die übliche Randale, berittene Polizei, die in die Demonstranten stürmte und mit langen Knüppeln draufprügelte.
Ich war wieder dabei
Zwei Wochen später marschierten die Warschauer-Pakt-Staaten in der ČSSR ein – und gleich am nächsten Tag organisierte der SDS eine Demo dagegen. Ich war wieder dabei. Die übliche Randale, berittene Polizei, die in die Demonstranten stürmte und mit langen Knüppeln draufprügelte. Ich war mir damals sicher, dass es mir „drüben“ genauso ergehen würde. Trotzdem: Der Spruch verfolgte mich meine gesamte linke Laufbahn. Stand man an Infotischen gegen Neonazis, hörte man: „Geht doch nach drüben“. Protestierte man gegen Kürzungen im Bildungshaushalt – derselbe Spruch. Ich bin froh, dass das endlich vorbei ist.
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