Stadt, Land, Frust Einst waren die Bauern Vorkämpfer für die Freiheit, heute gelten sie als konservativ und mitunter auch als weltfremd. Unser Lexikon zur Grünen Woche
Agrarsubventionen Vom Ende der Siebziger bis 2007 sah sich Europa stetig wachsenden „Butterbergen“ und „Milchseen“ gegenüber. Die Überproduktion war Folge europäischer Agrarsubventionen. Ähnliche Unterstützungsleistungen bestehen bis heute. Agrarsubventionen machen aktuell den größten Posten im EU-Haushalt aus. Mit Exporthilfen oder direkten Zahlungen an Betriebe soll schlicht die Existenz der Landwirte gesichert werden. Bislang kommen die Subventionen aber weniger den kleinen und mittelständischen Bauern als vielmehr landwirtschaftlichen Großbetrieben zugute. Im Sommer 2013 hat die EU daher eine Agrarreform verabschiedet, von der auch die ökologische Landwirtschaft stärker profitieren soll. Benjamin Knödl
ren soll. Benjamin KnödlerBBauernkriege Alles Gute drängt von unten. Die Bauernaufstände des 15. und 17. Jahrhunderts kann man getrost als frühe emanzipatorische Bewegung betrachten. Lange vor dem Bürgertum protestierten Bauern in ganz Europa gegen die mittelalterliche Ordnung. Kein Wunder, trugen sie als „Eigenleute“ (Leibeigene) doch die Hauptlast der Feudalgesellschaft. Im Deutschen Bauernkrieg von 1524–26 erhoben sich zunächst Tausende in Oberschwaben. Ihre Reformforderungen fassten die Bauern in den „Zwölf Artikeln von Memmingen“ zusammen, der ersten Niederschrift von Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. Sie setzten auf Verhandlungen. Doch so schnell ihre Proteste sich ausbreiteten, so schnell rückten die gut gerüsteten Fürstenheere an. Mit ihren einfachen Waffen hatten die Bauern keine Chance. In der Schlacht bei Frankenhausen in Thüringen wurden die Aufständischen rund um Thomas Müntzer niedergeschlagen. Tobias PrüwerBio versus Hightech Dass Landwirtschaft heute mehr mit industrieller Technik als mit braungebrannten, Sensen schwingenden Bauern zu tun hat, dürfte jedem klar sein. Mit der Erfindung der elektrisch betriebenen Melkmaschine Anfang des 20.Jahrhunderts begann die Entfremdung vom Nutztier als fühlendem Lebewesen. Erst in den Siebzigern besann sich die ökologische Landwirtschaft wieder darauf. „Bio“ heißt heute meist: „in der Erzeugung teurer“. Weil viele Konsumenten nicht bereit sind, für unbehandelte Lebensmittel mehr zu zahlen, reizen Discount-Zulieferer das Atrribut „Bio“ oft bis an die Grenzen aus, die Qualität sogenannter Bio-Ware ist daher oft fragwürdig. Kleine Betriebe, die ökologisch wirtschaften, kämpfen häufig um die Existenz. So mancher Bio-Kleinbauer hat wieder auf konventionelle Methoden umgestellt. Es gibt wenige Betriebe, die ohne Hightechgeräte überleben können. Bessere Gesetze und ein bewussterer Konsum wären nötig. Sophia HoffmannFFarmer-Promis Detlef Buck, Thomas Hitzlsperger und Skandal-Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst sind als Bauernsöhne zwischen Schweinestall und Traktor aufgewachsen, bevor sie durch mehr oder weniger ehrwürdige Verdienste ins Rampenlicht gelangten. In den USA liest sich die Liste prominenter Bauernsöhne wie ein Who Is Who der Geschichte: Benjamin Franklin, Thomas Jefferson, Jimmy Carter, Isaac Newton, Johnny Cash – sie alle schafften es vom Heustadel an die Spitze. Farmer zu sein hat in Amerika bis heute einen höheren Stellenwert als bei uns. Unter Filmstars gilt es sogar als schick, sich eine Farm zu kaufen. Nicht nur, um vor Paparazzi zu flüchten, sondern um selbst Gemüse zu züchten. Derzeit besonders beliebt: der Avocado-Anbau. Die Schauspieler Tom Selleck und Jamie Foxx sind voll dabei. Und berühmte Bauerntöchter? Suchen wir noch! Außer Veronica Ferres („Komme vom Kartoffelacker!“) ist uns niemand eingefallen. SHKKonservativ Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Bei der Bundestagswahl haben laut Forschungsgruppe Wahlen 74 Prozent der Landwirte die CDU oder CSU gewählt. Die SPD bekam gerade mal sieben Prozent, die FDP sechs und Grüne, Linkspartei sowie AfD je vier Prozent. Wie kommt’s? Schielen die Bauern etwa nur aufs Geld? Niederländische Forscher fanden heraus, dass konservative Regierungen den Landwirten durchschnittlich mehr spendieren (➝Agrarsubventionen) als linke Regierungen. Untersucht wurden 70 Länder in der Zeit von 1975 bis 2009. Vermutlich ist es aber eher anders herum: Konservative Politiker sehen in den Landwirten ein Wählerklientel, das sie auch bedienen wollen. Dass Bauern zu konservativen Haltungen neigen, könnte aber auch daran liegen, dass sie wenig Kontakt haben zur Vielfalt der Stadt, zu unkonventionelleren Lebensläufen oder Ideen. Felix WerdermannLLandflucht Die Moderne ist geprägt von massiver Landflucht: Die rurale Bevölkerung strömte und strömt in die Städte. Um 1800 lebten noch rund drei Viertel der Deutschen auf dem Land, heute ist das Verhältnis umgekehrt. Eine klassische, dauerhaft auf dem Land lebende Bevölkerung ist inzwischen die Ausnahme. Häufig spielt sich das Landleben an der städtischen Peripherie ab. Die anhaltende Landflucht, also die Abwanderung der Jungen aufgrund fehlender Arbeitsplätze, schafft in vielen Regionen erhebliche Versorgungslücken, etwa in der medizinischen Versorgung und im Nahverkehr. Politiker warten immer wieder mit Ideen für den ländlichen Raum auf. Hermann Gröhes Idee, schlechtere Abiturienten als Dorfmediziner abzustellen, ist die Neueste. Dabei sollte man die Situation aber nicht überbewerten: Wanderungsbewegungen und daraus resultierende Wüstungen sind historische Normalfälle. TPLandlust So viele Freizeitbauern kann es eigentlich gar nicht geben. Aber mit jährlich bis zu 1,4 Millionen verkauften Exemplaren bleiben die Auflagen von Wohlfühlzeitschriften wie Mein schönes Land oder Landlust vorerst sensationell hoch. Themen wie „Saisonale Küche“ oder „Naturnahes Familienleben“ appellieren an die Sehnsüchte gestresster Stadtbewohner nach Entschleunigung. Manchmal geht es bei der Flucht ins Grüne auch ums ganz schnöde Geld: „Hipsturbia“ heißt eine Bewegung, die die New York Times kürzlich ausgemacht hat. Demnach ziehen junge Menschen aus der City vermehrt in ländlichere Vororte – vor allem, weil innerstädtische Viertel wie Brooklyn fast unbezahlbar sind. Also kommen hippe Stadtbewohner in die Suburbs, vegane Cafés inklusive. Wird das Landleben also ein ernsthafter, dauerhafter Trend? Eher sieht es so aus, als frönten viele Metropolenbewohner dem Landleben lieber in kleinen Dosen, mit Schrebergärten oder Urban Gardening, quasi als temporäre Stadtbauern. BKMMonokulturen Der großflächige Anbau einer einzigen Pflanzenart ist ein Merkmal für die Industrialisierung der Landwirtschaft. Wegen ihrer Effizienz wurde diese Methode lange geschätzt. Längst sind Monokulturen die am stärksten verbreitete Form von Ackerbau – obwohl sie ökologisch alles andere als nachhaltig sind. Denn sie sind anfällig für Schädlingsbefall. Ein hoher Pestizideinsatz ist nötig, in der Folge kommt es zur Auslaugung der Böden und zu Erosion. Im Kolonialismus wurde der Anbau von Rohstoffen in Monokulturen von den Kolonialherren forciert. Heute übt die Weltbank Druck auf Länder des Globalen Südens aus, nur bestimmte Rohstoffe zu produzieren, sodass diese Länder viele Lebensmittel importieren müssen und auch deshalb weiter verarmen. Andrea WierichSSchach Wenn man sich beim Schach eine Lieblingsfigur aussuchen müsste: Der Bauer wäre es vermutlich nicht. Als schwächste Spielfigur schleicht er in kleinen Schritten über das Spielbrett und wird auch schnell mal hergegeben – logisch – als Bauernopfer. Einen Bauern kann man schon mal aufgeben, um ein anderes, höheres Ziel zu erreichen. Das weiß nicht nur der Schachspieler. Und so haben Bauernopfer auch im echten Leben immer wieder ihren Auftritt: in der Politik, der Wirtschaft und dem Sport. Die Taktik ist fadenscheinig: Das Bauernopfer soll die wahren Verantwortlichen eines Skandals retten. Allzu oft funktioniert dieser Plan. Zu leichtfertig sollte sie aber nicht eingesetzt werden. Schließlich kann die Figur des Bauern im Verlaufe eines Schachspiels noch sehr wichtig und mit einem Kniff sogar zur Dame werden. BKSpekulationen Für sensiblere Ohren klingt es einfach nur zynisch. Aber es ist nun mal eine der „ganz normalen“ Brutaliäten der Gegenwart: Spekuliert wird heute nicht mehr nur mit Aktien und Immobilien, sondern auch mit Biosprit, Nahrungsmitteln und sogar dem Land selbst.Landwirtschaftlich nutzbare Flächen werden auf dem Weltmarkt als höchst begehrte Güter gehandelt. Aufgrund des zu erwartenden Bevölkerungswachstums kaufen Nationalstaaten und Konzerne große Flächen, oft auch im Ausland, um entweder die zukünftige Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung sicherzustellen oder angesichts des sich abzeichnenden Booms Profite zu erzielen. Besonders gern greift man bisher in den Ländern des Globalen Südens zu. Die einheimische Bevölkerung verliert mit ihrem Land ihre Existenzgrundlage. Hunderttausende Menschen sind dadurch gezwungen, sich als rechtlose Landarbeiter zu verdingen, in die urbanen Slums zu ziehen – oder auch das nächste Boot nach Lampedusa zu nehmen. AWVVolksglaube Alles nur Hokuspokus? Die meisten Bauernregeln basieren zwar auf Erfahrungswerten, lassen sich aber verblüffend oft auch wissenschaftlich untermauern. Ein Beispiel: „Morgengrau gibt Himmelblau“. Nur wenn die feuchte Luft nach oben steigt, können sich Wolken bilden. Bleibt der Nebel aber grau am Boden hängen, gibt es später meist schönes Wetter. Häufig wird in Bauernregeln vom Wetter an einem bestimmten Tag auf eine gesamte Jahreszeit geschlossen: „War bis zu Dreikönig kein rechter Winter, dann kommt auch keiner mehr dahinter.“ Kompliziert wird es indes mit diesem Satz: „Die Expansion subterraler Agrarprodukte steht in reziproker Relation zum Intelligenzquotienten des Produzenten.“ Heißt in Standarddeutsch: „Der dümmste Bauer hat die größten Kartoffeln.“ Ob das wohl stimmt? Hundertprozentig sicher ist wohl nur diese Regel: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt so, wie es ist.“ FWZZorn Während sich die Grüne Woche ein gesundes grünes Image gibt, erregen sich abseits der Messe die ökologischen Gemüter. Unter dem Motto Wir haben es satt fordern Aktivisten parallel zur Produkteschau Reformen in der Landwirtschaftspolitik, vor allem in Sachen Massenproduktion. Die Lobby dafür ist nicht klein: Über 250 gleichgesinnte Bürgerinitiativen gibt es bundesweit. Zu ihrer zentralen Demonstration am 18. Januar in Berlin erwarten die Veranstalter rund 10.000 Teilnehmer. Unterstützung gibt es außerdem von einem großen Kreis aus Trägerorganisationen – vom Deutschen Tierschutzbund bis Attac. Der Forderungskatalog liest sich angesichts der Macht der globalen Lebensmittelindustrie wie eine Utopie: Recht auf Nahrung weltweit! Gesundes und bezahlbares Essen für alle! Stoppt die Megaställe! Falsch ist er deshalb nicht. Ein Rahmenprogramm mit „Schnippeldisko“ und „Bauernfrühstück“ soll für ein bisschen Spaß sorgen. Demonstrieren kann man schließlich auch mit vollem Magen. Juliane Löffler
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