Drummer:in

A–Z Sie stehen oft im Schatten, aber ohne die Taktgeber:innen im Beat läuft gar nichts. Über eitle Männer, Pionierinnen, Drum-Fills und Basspedalanschläge. Das Lexikon
Ausgabe 33/2021

A

Afrobeat Tony Oladipo Allen ist ein legendärer Typ: Dem 2020 verstorbenen ehemaligen Schlagzeuger von Fela Kuti sagt man nach, den Afrobeat gleichsam erfunden zu haben – Brian Eno nennt ihn den „wahrscheinlich großartigsten Schlagzeuger aller Zeiten“. Auf seinen Alben zeigte der Nigerianer, dass sein Name zu Recht gerühmt wird: einen derart zwingenden Vorwärtsdrang findet man selten. Geradlinig ist das Spiel des Schlagzeugers, funky und raffiniert. Sein Beat stemmt sich euphorisch nach vorne, hat seine Wurzeln aber in den Siebzigerjahren. Damals gründete Allen gemeinsam mit Kuti die Band Afrika 70. Sein Spiel, jene Melange aus westafrikanischem Highlife, Jazz, traditioneller nigerianischer Yoruba-Musik und US-Funk, hat sich über die Jahre nur wenig verändert. Schon damals wurde verwundert wahrgenommen, wie ein Drummer so komplex, so variantenreich spielen kann. Wie gleich vier Schlagzeuger auf einmal. Er verstehe sich als „Rückgrat der Musik“. Marc Peschke

B

Bombast Schwundstufen des Schlagzeugsolos sind das Drum-Fill und Drum-Intro, sozusagen der formale Minimalismus der Rhythmus- Revolte. Das bekannteste Drum-Fill der Popgeschichte findet sich wohl in Phil Collins’ In the Air Tonight (1981), in dem erstmals Collins’ markant hallender Bombast-Drum-Sound zu hören ist, den er kurz zuvor mit seinem Engineer Hugh Padgham zufällig entwickelte, weil der im Studio aus Versehen das Mikro zwischen Aufnahme- und Abmischraum einschaltete, – und der wegweisend werden sollte für den hallsatten Drumsound der 1980er. Das Stück ist aber auch ein frühes Beispiel für das, was Produzent Quincy Jones ein Jahr später die „Sonic Personality“ des Michael-Jackson-Hits „Billie Jean“ nannte: dass die Hörer schon an den ersten Noten des Drum-Intros unfehlbar erkennen können, welchen Song sie hören. Tom Wohlfarth

C

Charlie Watts Er sehe bei Konzerten meist nur „Micks Arsch“, hat Charlie Watts mal gesagt. Störe ihn aber nicht, er sei keiner, der die Rampe sucht. Charlie Watts sitzt hinten und trommelt, wirkt dabei fast stoisch. Sein Intro zu Honky Tonk Women ist so verlässlich solide wie der Stones-Schlagzeuger selbst. Exzentrische Soli (Tempo) sind nicht sein Ding. Charlie Watts wird oft überschattet von den Ikonen Jagger & Richards, dabei ist er es, der den Laden zusammenhält. Dem introvertierten Gentleman sind kreischende Mädchen in Konzerten ein Graus. „Da kann man seine eigene Musik nicht mehr hören.“

Statt mit Groupies Suiten zu zertrümmern, hat er auf Tour seinen Skizzenblock dabei und zeichnet seine Hotelbetten. Einmal, so die Legende, rief Mick ihn nachts betrunken an, er brauche jetzt seinen verdammten Schlagzeuger. Watts erschien im Anzug, verpasste Jagger einen Kinnhaken und rief: „Ich bin nicht dein verdammter Schlagzeuger, du bist allenfalls mein verdammter Sänger.“ Auf ihrer neuen Tour müssen die Stones ohne Sir Watts auskommen. Der 80-Jährige erholt sich von einer Not-OP. Maxi Leinkauf

D

Drum Circle Sie sitzen im Kreis, manchmal nur Frauen, manchmal in gemischten Gruppen. Sie schauen einander an. Um ihre Trommeln zu schlagen, haben sie keine Musikschule besucht. Sie überlassen sich ihrem eigenen Rhythmus ( Revolte). Anfangs scheint es, als würden alle durcheinander trommeln. Aber das macht nur eine Weile Spaß. Irgendwann tritt jemand in die Mitte, versucht, mithilfe des Instruments etwas Gemeinsames zu kreieren, doch bald schon schafft es die Gruppe für sich allein. Darin besteht das Erlebnis: Verbindendes entsteht, ohne dass es geübt werden musste. Für manche Zuhörer mag es nur laut sein, die Mitspieler aber erleben Entspannt- und Erhobensein. Irmtraud Gutschke

J

Jazz Ist von Buddy Rich die Rede, dann nur im Superlativ: „wahnsinnig, großartig, beispiellos“. 1921 schrieb eine Zeitung über den Vierjährigen: „Rhythmus in einem so jungen Knaben kann nicht erlernt werden.“ Bereits früh eine Varieté-Attraktion, besuchte der Sohn von Vaudeville-Künstlern nie eine Schule. Lesen und Schreiben brachte er sich selbst bei, Notenlesen erst in den Dreißigerjahren, als er den Jazz entdeckte. Und die Szene ihn. Buddy Rich ertrug weder Kritik noch Disziplin. Idole waren für den 1987 verstorbenen „größten Drummer aller Zeiten“ nur „die Farbigen mit ihrem innovativsten Jazz, denen die Weißen“, solche wie er, „nur folgen“ (Afrobeat). Helena Neumann

M

Meg White Jeden guten Drummer umgibt ein spannender Mythos: Ringo Starr ist der berühmteste schlechte Drummer der Welt, Lars Ulrich ist der bestbezahlte. Bei Meg White ist es überraschender. Als ihre Band, The White Stripes, das Rampenlicht eroberte, hieß es, Meg und Jack White seien Geschwister. Ein musizierendes Geschwisterpaar, wie drollig! Später stellte sich heraus: Jack White hatte den Mädchennamen Megs angenommen, als diese ihn ehelichte. Das Ex-Ehepaar, das in quasigeschwisterlicher Liebe vereint musizierte, landete mit Seven Nation Army einen Megahit, der Rest ist Geschichte. Meg White brachte es dank des Weltruhms ihrer Band immerhin auf die vom Rolling Stone kuratierte Liste der hundert besten Drummer aller Zeiten, gar nicht so schlecht für eine Musikerin (➝ Pionierin), die gar nicht drummen konnte, als sie in ihre Band einstieg. Meg White, das naive Drum-Genie – ein passabler Mythos. Marlen Hobrack

P

Pionierin Sie war in einem populären DEFA-Film die Alleinseglerin. Im richtigen Leben war die Frau mit der blonden Mähne eine Teamplayerin. Tina Powileit war die erste Schlagzeugerin der DDR. Eher ein Zufall, das Instrument lag ihr. Powileit nahm Unterricht beim City-Drummer Klaus Selmke. In den 1980ern gründete sie die Frauenrockband Mona Lise, die ohne vordergründig feministische Texte auskam, emanzipiert waren sie ja. Das kam auch im Westen an. Annette Humpe wollte Mona Lise vermarkten, Udo Lindenberg mit ihnen arbeiten. Nach dem Mauerfall löste sich die Band auf, Tina Powileit hat unter anderem in einer Multisportanlage, in einem großen Squash-Center am Tresen gearbeitet. Dann, 1992, rief Gundermann an: „Willste mit mir Musik machen?“. Bis zu seinem frühen Tod gab sie dem Poeten und Baggerfahrer den Beat, fiel danach in ein tiefes Loch. Inzwischen drummt sie wieder für Gundermanns Seilschaft. Das neue Album der Band ist das erste mit eigenen Songs. Maxi Leinkauf

R

Revolte Am Schlagzeugsolo offenbart sich womöglich das Magnum Mysterium der Rockmusik. Denn wie ist es zu begreifen, wenn in dieser Musik, die aus Sicht ihrer Verächter die Verabsolutierung des Rhythmus bedeutet, dieser – der letzte Rest Ordnung im musikalischen Chaos – sich plötzlich verselbständigt? Vielleicht sind gerade deshalb die eindrücklichsten Drumsoli oft die minimalistischen: etwa Keith Moon in The Whos Won’t Get Fooled Again. Moon konnte sich seine (relative) Zurückhaltung freilich auch deshalb leisten, weil sein Stil darin bestand, immer irgendwie solo zu spielen, scheinbar ständig ein Stück neben dem Takt und meist ein wenig zu laut mit seinem halllosen Hämmern ( Bombast) Eine beständige Rhythmusrevolte. Tom Wohlfahrt

S

Stehdrummer Es gibt verschwindend wenige Schlagzeuger, die ihr Instrument stehend spielen. Das hat Gründe. Im Stehen lässt sich die Kickdrum per Pedale am Boden schlechter betätigen, für zwei davon müsste man reichlich hüpfen. Das hat einen der bekanntesten Stehdrummer, Bela B. von den Ärzten, nie gestört. Weil Farin Urlaub und Bela B. als mehr oder weniger gleichberechtigte Frontmänner wahrgenommen werden wollten, hielten sie die stehende Pose des Drummers für eine gute Idee. Und in der Tat: Live versinkt Bela nicht, wie so viele Schlagzeuger (➝ Charlie Watts), hinter seinem Kit. Bei jeder Ansage können ihm die Fans ins Gesicht schauen. Das nützt ihnen aber selten etwas. Denn auch so weiß man nie, wann er etwas Gesagtes ernst gemeint hat und wann nicht. Konstantin Nowotny

T

Tempo Was macht einen guten Drummer aus? Für die einen zählt Geschwindigkeit, für andere perfektes Timing, wieder andere denken, Polrhythmik sei etwas Gottgleiches. Für viele Metal-Fans zählte Slipknot-Trommler Joey Jordison zu den besten, vor allem wegen seines wahnsinnigen Anschlags auf der Basspedale. Gerüchten zufolge soll er in dieser Liga zeitweilig Rekordhalter gewesen sein. Aber er konnte mehr als schnell: Auf einer 2002 veröffentlichten Live-DVD von Slipknot soliert Jordison, während das gesamte Drumset mit dem Boden zum Publikum kippt und sich dann einmal um die eigene Achse dreht. Er war eine Legende, die vor wenigen Wochen mit 46 Jahren viel zu früh gegangen ist. Konstantin Nowotny

V

Velvet Underground Bekannt ist Maureen (Moe) Tucker als cool-stoisch den Takt angebende Schlagzeugerin der neogotisch verruchten Songgemälde von Velvet Underground. Sie brachte sich das Trommeln mit einer einzigen Snaredrum zu Songs der Stones (Charlie Watts) bei. Im Stehen spielend, reduzierte sie ihre Trommelbatterie auf das Nötigste, verzichtete auf sonstigen Percussionkrimskrams. „Ich muss nur den Takt angeben. Becken lenken da nur ab.“

Weniger nüchtern fiel ihre Zuwendung zur Tea-Party-Bewegung aus. Mittlerweile als Walmart-Arbeitskraft zur Arbeiterschaft gehörend, konstatierte sie, die Demokraten bis dahin nur aus Ignoranz gewählt zu haben. Mittlerweile sei ihr klar, dass Obama das Land zu Grunde richten würde. „Ich bin wütend darüber, wie wir in Richtung Sozialismus geführt werden.“ Trumps Wahl wird sie wohl bejubelt haben. Ein weiter Weg von Andy Warhols Factory in die Niederungen rechts-paranoider Ressentiments, oder doch nicht? Marc Ottiker

Z

Zeppelin, Led Dass er einst gerne dem Jazz-Drummer Joe Morello zuhörte (legendär in Dave Brubecks Take Five, 1959), hätte man bei Led Zeppelins John Bonham nicht unbedingt gedacht. Wurde seiner Grundgewalt von einigen zunächst der Groove abgesprochen, gilt der (ebenso wie Keith Moon Revolte) früh Verstorbene heute als bester Rock-Drummer aller Zeiten. Und wer die verzögerten Attacken in Black Dog oder No Quarter, das psychedelische Solo in Whole Lotta Love oder das Dauerbreaking am Ende von Stairway to Heaven hört, versteht auch sofort, warum. Und wie das groovt! Doch schon sein erster Angriff auf Led Zeps erstem Album, „Good Times Bad Times“ (1969), hatte das Rock-Drumming für immer revolutioniert. Sein polterndes Basstrommelfeuer ließ viele glauben, er spiele zwei Bass Drums gleichzeitig – es war aber nur eine. Tom Wohlfahrt

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