A–Z Fankult

Hysterie Vor 20 Jahren hat sich Kurt Cobain erschossen. Er war eines der letzten großen Konsens-Idole der Jugendkultur. Unser Lexikon über die Fankultur
Ausgabe 14/2014
Kreisch, stöhn, seufz: leidenschaftliches Fantum
Kreisch, stöhn, seufz: leidenschaftliches Fantum

Foto: Steve Pyke/ AFP/ Getty Images

A

Animes Sie sind längst nicht mehr nur in Fernost beliebt: Animes sind in Japan produzierte Trickfilme, in ihrer quietschbunten Ästhetik ähneln sie den Mangas, japanischen Comics. Die ersten Anime-Serien im deutschen Fernsehen gab es schon in den siebziger Jahren. Serien wie Wickie und die starken Männer, Biene Maja und Heidi etablierten die Form, die mit Sailor Moon und Pokémon ihren Durchbruch erlebte. Der Kult um die Serien hat in Japan die Cosplayer hervorgebracht: Cosplay setzt sich zusammen aus „Costume“ und „Play“, gemeint ist das detailgetreue Nachahmen von Helden aus Filmen und Computerspielen, vor allem aber aus Animes und Mangas. Inzwischen ist es ein weltweites Phänomen geworden: Gegenwärtig gibt es in Deutschland mehr als 15.000 Cosplayer, die sich auf Messen tummeln und in der deutschen Cosplaymeisterschaft die besten Nachahmer küren. Dort zählt nicht nur das beste Kostüm, sondern auch die überzeugendste Präsentation in Disziplinen wie „Showkampf aufführen“ oder „Serien-Titellied vorsingen“. Maik Siegel

B

Boygroup Die Boygroups der Neunziger waren sicher nicht jedermanns Sache. Trotzdem fanden viele die Jungs von New Kids on the Block, Take That oder den Backstreet Boys ziemlich klasse. Die Mädchenschwärme landeten einen Bravo-Hit nach dem anderen und präsentierten ihre geölten Waschbrettbäuche auf Postern in den Teenie-Magazinen. Sie lösten Hysterie aus, füllten Hallen, trennten sich und sorgten so für noch mehr Hysterie. Die meisten Mitglieder verschwanden danach in der Versenkung. Dass aber trotz einer solchen Vorgeschichte noch ein Musikerleben möglich ist, bewiesen Robbie Williams und Justin Timberlake. Seit einiger Zeit erleben die inzwischen gealterten Boygroups nun ein Revival. Die Backstreet Boys und New Kids on the Block sind wieder auf Tour. Vor den selben mitgealterten Fans, die noch immer kreischen. Manche selbstironisch, viele aber auch nostalgisch. Benjamin Knödler

D

Depeche Mode „Band of the Universe“ preist eine Fanplattform Depeche Mode unverhohlen. Bis heute sind DM-Motto-Partys ein Publikumsgarant nicht nur für Dorfdiskos. 1981 aus der Alternativkultur geboren, sind die Synthie-Popper längst massenkompatibel. Dennoch taugen sie und ihre Konzerte paradoxerweise bis heute unzähligen Fans als Ausweis des Andersseins. Für viele, die in der DDR groß wurden, bedeutet Depeche Mode allerdings noch etwas mehr. Industrial-Musik und -Ästhetik spiegelten die Lebenswelt vieler Jugendlicher im Arbeiter- und Bauernstaat. Darüber hinaus boten die oft unbeabsichtigten, aber leicht hineininterpretierbaren DDR-Anspielungen eine ideale Projektionsfläche. Music for the Masses (1987) etwa zeigte auf dem Cover rote Megafone. Das wurde als Propagandakritik verstanden und in DDR-Werken klauten DM-Fans daraufhin die Lautsprecher als Fan-Utensil. Tobias Prüwer

G

Gender Bias Das Beatles-Konzert im Shea Stadium 1965, bei dem die Musik fast im Gekreisch unterging. In Ohnmacht fallende Fans, auf die Bühne geschleuderte Teddys. So ein Verhalten wird traditionell eher jungen Mädchen zugeschrieben. Ihre männlichen Altersgenossen sieht man selten derart aus sich herausgehen. Ist Ausflippen also Mädchensache? Nein, eigentlich ist das unabhängig vom Geschlecht eine Frage des Typs. Nicht jedes Mädchen kreischt gern, aber die extrovertiert jubelnden werden eben gezeigt. Und es gibt sicherlich auch Jungs, die bei einem Jonas-Brothers-Konzert gerne mal so richtig laut kreischen würden. Bei Metal-Konzerten tun sie das ja schließlich auch. Nur ist es im Teenageralter eben nicht ganz leicht, sich unter tausenden Zuschauern staubigen Rollenbildern zu widersetzen. Also wird von Mädchen oft zwanghaft gekreischt, von Jungs scheinbar uninteressiert im Takt gewippt. Schade eigentlich. BK

I

Idole Der Begriff des Idols ist nicht mit dem des Vorbilds zu verwechseln. Ein Freudianer würde es so erklären: Ein Idol wird bedingungslos verehrt und – ohne die rationale Kontrolle des Freud’schen Ichs – blind angebetet. Ein Vorbild hingegen wird verehrt und gewählt, indem das Ich nur positive Eigenschaften in der Person findet und sich darüber mit ihr identifiziert. Idole sind also gewissermaßen moderne Rattenfänger für Jugendliche. Historisch gesehen waren Idole Abgötter. Im Altertum und in der Antike waren sie Götzenfiguren aus Ton, Holz- oder Knochenschnitzereien, denen kultische Bedeutung zugesprochen wurde. Sie dienten der häuslichen Anbetung. Heute sind Idole meistens Stars oder andere Personen des öffentlichen Lebens. Populäre Idole: Sokrates, Julius Cäsar, The Beatles, Juri Gagarin, Mutter Teresa, R.A.F., Winston Churchill, Lenin, Franz Liszt, John Peel, Sid Vicious, Zinédine Zidane. Felix Tota

Imitation „Are you lonesome tonight?“ Auf gar keinen Fall. Jeder 3.400ste Amerikaner ist ein Elvis-Imitator. Man könnte sie als eigene Subkultur oder gar kulturelle Minderheit bezeichnen. Die Anhänger der schwingenden Hüften haben sich eine eigene Stellung in der Popkultur verschafft. Das Elvis-Imitat ist Sinnbild für das temporäre Ausbrechen aus der Bürgerlichkeit geworden, für bedingungslose Fan-Liebe und für Las Vegas selbst – wo man sich selbstverständlich von Elvis-Imitatoren trauen lassen kann. Die Imitation ist in der Fankultur der größte Ausdruck von Wertschätzung. Ob als Solo-Imitator oder als Garagen-Coverband, man hat sich ganz und gar einer Passion verschrieben. TOT

J

Jesus Freaks Ein quasireligiöses Element wohnt dem Fantum ja allgemein inne. Bei den Jesus Freaks tritt es offen zutage. Ursprünglich bezeichnete der Name in den sechziger Jahren eine religiöse Bewegung innerhalb der Hippie-Kultur. Love and Peace wollten sie durch Jesus-Verehrung in die Welt bringen.

Auf Elemente der Jugend- und Subkultur setzt auch die gleichnamige deutsche Glaubensbewegung. Die evangelikale Strömung wurde 1991 in Hamburg gegründet. Ob Punk oder Techno-Jünger, gezielt werden jugendliche Szenen angesprochen. Das passiert mit bewusst lässiger Wortwahl, etwa wenn man bei Jesus-Abenden „abhängen“ soll. Ihr Organ nennen die rund 5.000 Freaks „Der Kranke Bote“. Soll heißen: Christsein ist der heiße Scheiß. Nur gehen Individualismus und Hedonismus nicht reibungslos mit fundamentalistischer Frömmigkeit zusammen. Homosexualität oder vorehelicher Sex werden daher oft abgelehnt. TP

K

Kurt Cobain Der Schutzpatron der Generation X und der ungewaschenen Haare ist jetzt seit 20 Jahren tot. Der Fankult um seine Person jedoch lebt – und wird von einer Generation an die nächste weitergegeben. Irgendwann während der Pubertät kommt man nicht umhin, gegen irgendetwas zu rebellieren. Der beste Soundtrack dazu ist immer noch Nirvana. Ihren Durchbruch hatte die Band 1991 mit ihrem zweiten Album Nevermind. Sänger Kurt Cobain verband die Generation X, die Jugend, die zwischen 1965 und 1977 geboren wurde, eine Generation, die eigentlich nichts miteinander verband. Kein Weltkrieg, keine Erneuerung, keine Perspektive. Vier Akkorde reichten ihm, um die Stimmung der Jugend zusammenzufassen. Wir befinden uns im Intro von Smells like Teen Spirit. Ein Lied, das nach einem Deodorant für Teenagermädchen benannt wurde. Der Song und das dazugehörige Video, in dem die Band in einer Schulturnhalle auftritt und Cheerleader mit Anarchiezeichen am Trikot PomPoms schwingen, brachen mit der hochpolierten Tristesse der prätentiösen MTV-Realität rund um Madonna, Roxette und Bon Jovi – die die Band trotzdem noch fressen sollte. Nirvana wurden Mainstream, kollektiver Ungehorsam, Goldesel. Kurt Cobain sah sich nicht in der Rolle des Gedankenvaters und Posterboys. Eine Überdosis Heroin, ein Abschiedsbrief, eine Flinte und einige hartnäckige Verschwörungstheorien, die den Mythos Kurt Cobain nachhaltig und unangreifbar machten – bis heute. Dieses Jahr wäre er 47 Jahre alt worden. Mögliches Szenario? Er hätte wohl vermutlich noch ein paar Jahre Musik gemacht, der Erfolg hätte abgenommen, dann wäre es ruhig um ihn geworden. Er hätte seiner Tochter Frances Bean nur noch beim Aufwachsen zugesehen und wäre ein ganz normal gealterter Musiker geworden. Vielleicht wäre er ihr heute sogar ein bisschen peinlich. Stattdessen ist er jetzt eine ewige Ikone der Popkultur. TOT

M

Morrissey Als Morrissey – seine Vornamen Steven Patrick nutzt er nicht – 1983 in Manchester als Sänger der Smiths erstmals die Bühne betritt, ahnt niemand den Hype voraus, den seine Person lange über die Existenz der Band hinaus auslösen wird. Morrissey verkörpert ein zur damaligen Zeit ungewöhnliches Männerbild, zeigt sich weich, verletzlich und zerrissen, Gesang und Texte polarisieren. Seine Solokarriere nimmt nur langsam Fahrt auf. Er hat Probleme mit Plattenfirmen, findet jahrelang kein Label. Seine Auflagen für Veranstalter sind hart: Kein Fleisch für niemanden während der Konzerte, fordert der überzeugte Vegetarier und Tierschützer. Seine Fangemeinde aber ist ihm treu: Das letzte Album bewarb er mit Tattoofotos seiner Anhänger, die ihre Körper mit seinem Namen und Liedtexten wie „Meat is murder“ schmücken. Ich liebe ihn für seine Authentizität, auch ohne Tattoo-Beweis. Jutta Zeise

S

Stalking Hier kommt der Fanatismus im Fan wirklich zu sich selbst, was von Belästigung und Verfolgung bis hin zu Mord führen kann. Man denke nur an John Lennon. Manchmal sind die Grenzen fließend. So versuchte eine Stalkerin von Sandra Bullock, deren Ehemann zu überfahren. Nicht minder invasiv, aber auf den eigenen Körper gerichtet sind besessene Versuche, das eigene Erscheinungsbild an das des angebeteten Stars anzupassen. Für Brust-OP und Fettabsaugen gab ein Fan mehr als 20.000 Euro aus, um wie US-Sternchen Kim Kardashian auszusehen. Ähnlich gaga: Ein Fan der Boyband One Direction drohte, ihren Chihuahua zu töten, wenn sie ihm nicht bei Twitter folgen würden. TP

Z

Zauberlehrlinge Wenn erwachsene Menschen komische Hüte aufsetzen und sich gegen Mitternacht in Buchhandlungen Nonsenswörter um die Ohren hauen, dann deutete das bis zum Ende der Saga auf das Erscheinen eines neuen Harry-Potter-Bandes hin. Aber nicht nur Kinderbuchfans zelebrieren ihre Wertschätzung mit einem etwas eigenen Enthusiasmus. Manche schlagen leuchtende Plastikspielzeuge gegeneinander (Star Wars), andere gehen im Kettenhemd ins Kino (Herr der Ringe) und wieder andere tragen zweifarbige Schlafanzüge und benutzen so oft wie möglich das Wort„logisch“ (Star Trek). Selten treibt der Eskapismus schönere Blüten als bei Mitternachtsfilmpremieren. Das nächste Nerdfest ist gebucht: 2015 läuft der neue Star-Wars-Film an. Julian Heißler

Die Texte stammen von der Redaktion

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