Gastfreundschaft Das Geschäft mit privat vermieteten Ferienwohnungen boomt. Von Housesittern und Couchsurfern, von Parasiten und unheimlichen Filmstoffen: unser Lexikon der Woche
Airbnb Eigentlich eine gute Idee: Seine Bleibe zeitweise anderen überlassen und damit das eigene Portemonnaie entlasten. Doch jüngst gab es dabei häufiger Ärger mit dem Gesetz. Denn das Konzept der auch in Deutschland populären Webseite Airbnb ist an sich zwar nicht illegal, verletzt aber mancherorts die lokale Rechtsprechung. Vergangenes Jahr sorgte das in New York für negative Schlagzeilen: Dort sollte jemand, der seine Wohnung über Airbnb vermietet hatte, ein hohes Bußgeld zahlen. Der Grund: In der US-Metropole ist es nicht erlaubt, seine Wohnung kürzer als 30 Tage zu vermieten. In Barcelona muss die Onlineplattform nun selbst blechen: 30.000 Euro Strafe wegen des Verstoßes gegen regionale Tourismusgesetze. In Berlin soll ein neues Gese
In Berlin soll ein neues Gesetz das Vermieten von Wohnungen an Touristen erschweren. Seit Mai ist es dem jeweiligen Bezirksamt zu melden. Doch das Gesetz enthält viele Ausnahmeregelungen ... Katharina FinkeBBesetzung Die Eppsteiner Straße 47 in Frankfurt-Westend war im September 1970 vermutlich das erste im Nachkriegsdeutschland besetzte Haus. Es deutete voraus, wie in den nächsten Jahrzehnten vielerorts mit Leerstand umgegangen werden würde. Junge und politisch aktive Leute nahmen sich das Recht, in die leer stehenden Häuser einzuziehen und diese, so das neue Wort, zu besetzen. In den Großstädten der 70er Jahre wurden Altbauten von den Eigentümern wenig geschätzt. Marode genug, sollten sie abgerissen und durch profitable Neubauten ersetzt werden. So entstand die Hausbesetzerszene, die sich lautstark dagegen wehrte: „Ihr kriegt uns hier nicht raus/das ist unser Haus!“ Felix-Emeric TotaBesucher Friendship is magic. Und gute Freunde hat man ja gern zu Besuch. Doch „Besuch ist wie Fisch – nach drei Tagen fängt er an zu stinken“, schrieb schon Benjamin Franklin 1736 in seinem Poor Richard’s Almanack. Und manche Freunde beuten Gastfreundschaft schamlos aus. Ich zum Beispiel. Ich habe während eines Praktikums mal zwei Monate lang im Arbeitszimmer eines Freundes gewohnt. Harte Zeit für alle Beteiligten, aber: Ich würde dasselbe für ihn tun. TOTCCouchsurfing Zugegeben, Couchsurfing ist die zweifellos günstigste Art, in der Fremde unterzukommen. Nach dem Motto „Ich geb dir meine Couch, gib du mir deine!“ werden über eine Internetbörse unentgeltlich Übernachtungsmöglichkeiten getauscht. Der Australier Brian Thacker ist so um die Welt gereist und hat seine Erfahrungen in einem Buch verarbeitet. Sein Fazit: Wer auf Komfort verzichten kann und Lust auf neue Kontakte hat, ist auf der Wohnzimmercouch genau richtig. Neben wenigen skurril-negativen Erlebnissen überwog überschwängliche, völkerverbindende Gastfreundschaft. Wobei Thacker bemerkt: „Die Welt wird von Alkohol angetrieben! Egal, wo und bei wem ich wohnte, alle wollten sie feiern und sich betrinken.“ Quod erat demonstrandum. Sophia HoffmannFFilmstoff Auch jenseits mondäner Hotelkulissen dient das Fremdwohnen gelegentlich als Filmstoff. Klar, berühmt ist die Komödie Der Untermieter von 1977 (➝ Untermieter): Paula hasst den titelgebenden Elliot zunächst, verliebt sich dann aber und will ihn nie wieder ziehen lassen – ein klassisches Gefühlsturnover. Ungewöhnlicher ist da die Handlung der Tatort-Folge „Der Fremdwohner“ (2002): In München wird eine junge Frau tot aufgefunden. Sie hatte sich von einem Unbekannten bedroht gefühlt, der sich während ihrer Abwesenheit in ihrer Wohnung aufhielt. Komplett zum Albtraum macht es Hostel (2005): In diesem Torture-Porn gerät eine Gruppe Rucksackreisender in die brutalstmögliche Absteige. Nach und nach verschwinden hier die Bettgäste. Denn perverse Reiche zahlen viel Geld, um die ahnungslosen Touristen zu quälen und zu töten. Der Film wurde kontrovers diskutiert. Unbestreitbar: Unter der eigenen Kuscheldecke ist das subjektive Sicherheitsgefühl höher. Tobias PrüwerHHaustausch Das Konzept, auch im Urlaubsland zu Hause zu sein und nicht in eher spartanischen Ferienwohnungen zu hausen, gibt es schon länger als die heute gehypten Internetportale – in Form des Haustausches. Das Prinzip ist einfach: Man sucht sich eine Wohnung im Urlaubsland und stellt deren Bewohnern im Gegenzug das eigene Zuhause zur Verfügung. Eine pädagogisch durchaus wertvolle Idee, fördert sie doch das Vertrauen in die Mitmenschen. Und ein Tausch, der ohne Geld vonstattengeht, ist auch eine reinigende Erfahrung. Die ersten, die dieses Konzept umsetzten, waren übrigens international tätige Unidozenten.In Hamburg greift das Projekt „Hotel Hamburg“ die Idee auf: Unter dem Motto „Eine Stadt besucht sich selbst“ können Hamburger ihre Wohnungen bis zum 20. Juli mit anderen tauschen, für eine Nacht oder länger. Statt Elbblick auf St. Pauli Alsterpanorama in Havestehude: So lernt man die eigene Stadt aus einer anderen Perspektive kennen. Info: das-hotel-hamburg.de. Benjamin KnödlerHousesitting In Australien, dem Land der ständig wechselnden Jobs und Wohnorte, ist Housesitting etwas ganz Normales. Hierzulande sind es vor allem junge Leute und Senioren, die sich als Housesitter verdingen. Ihre Aufgaben reichen von der Gartenpflege einer Ferienvilla auf Mallorca bis zur Haustierfütterung und Einbrecherabschreckung in Eimsbüttel. Vergütet wird die Tätigkeit entweder sehr gering oder nur in Form der Mietfreiheit. Etwas für Menschen, die einfach mal raus wollen – oder ihr immer gleiches Homeoffice leid sind. Und die keine Scheu haben, in wildfremden Küchenschubladen zu wühlen. Mit vollstem Einverständnis der Hausbesitzer, versteht sich! SHLLoslassen Fremdwohnen ist für mich keine Ausnahme, sondern mein Alltag. Einen festen Wohnsitz habe ich nicht. Auch keinen festen Arbeitsplatz oder Möbel. Seit mehr als zwei Jahren besitze ich gerade mal so viel, wie ich auf einen Flug mitnehmen darf: einen Koffer und eine Reisetasche. Wechselklamotten stehen bei meinen Eltern, wo ich auch gemeldet bin. Pro forma. Denn als freie Journalistin reise ich um die Welt, um von verschiedenen Orten zu berichten. China, Indien, USA – alle paar Wochen oder Monate eine neue Stadt. Dort wohne ich dann bei Freunden oder zur Zwischenmiete. Einen Schlüsselmoment oder einen philosophischen Überbau für dieses Existenzmodell gab und gibt es nicht.Dieser Lebensstil verstärkt allerdings etwas, was ich sehr wichtig finde: sich zu beschränken und bewusst zu konsumieren. Materielle Dinge brauche und vermisse ich absolut nicht. Bei Immateriellen sieht das schon ganz anders aus. Denn obwohl ich diese absolute Freiheit und alle kostbaren Erfahrungen, die mir dadurch ermöglicht werden, unglaublich schätze, führt sie hin und wieder zum Verlust meiner Privatsphäre. Wie ich damit umgehe und warum Freiheit und Einsamkeit für mich ganz viel miteinander zu tun haben, ist ausführlich nachzulesen unter: freitag.de/loslassen. KFPParasiten Es gibt zwei Formen des Fremdwohnens in der Natur. Bei der Symbiose leben verschiedene Arten nicht nur im Einklang, sondern ergänzen sich. Beeindruckendes Beispiel: Moräne und Putzergarnele. Letztere säubert als mobile Zahnbürste dem Raubfisch das Gebiss und steht dafür unter dessen Schutz. Ganz anders die Parasiten. Ihnen geht’s nur um den Eigennutz. So profitiert der Mensch ganz und gar nicht vom Flohbiss – oder vom Bandwurm. Selbst temporäre Parasiten, also Kurzzeitfremdwohner wie etwa Mücken, sind lästig. Und dann ist da noch die Schlupfwespe. Völlig harmlos für den Menschen, zählt auch sie zu den Parasiten: Sie legt nämlich in Läusen und Motteneiern ihre eigenen Eier ab. Die betroffenen Tiere freut das nicht – das Gärtnerherz dafür umso mehr. TPSSchüleraustausch Er diente einst der Völkerfreundschaft, dem Spracherwerb und der individuellen Horizonterweiterung. Heute ist der Schüleraustausch fast Pflicht geworden im Lebenslauf. Wie kann man die Schlüsselqualifikation Interkulturelle Kompetenz besser nachweisen als mit ein paar Wochen oder einem Jahr im Ausland? Für den Schüler ist das auch jenseits vom Curriculum-Vitae-Design ein Gewinn, macht er doch unschätzbare Erfahrungen. Leider zementiert der Austausch aber auch die Ungleichverteilung der Bildungschancen: Wer ins Ausland darf, entscheidet vor allem das Konto. TPUUntermiete So ein Untermietvertrag hat für beide Seiten – Untermieter wie Untervermieter – auch Nachteile. Wohnen sie beispielsweise beide in derselben Wohnung und dem Untervermieter missfällt, dass sein Untermieter müffelt oder nie, nie, nie die Klobürste benutzt oder sich als Soziopath (➝ Filmstoff) entpuppt, dann darf ihn der Untervermieter Mitte des Monats ohne Angabe von Gründen zum Monatsende vor die Tür setzen. Danke, tschüss. Unpraktisch für den Untervermieter: Der ungeliebte Untermieter wohnt anschließend noch zwei lange Wochen in der eigenen Wohnung. CSCHWWalz Ach, die Walz! Eine sehr romantisierte Vorstellung von Abenteuer: Der Zimmermannsgeselle, jahrelang auf Wanderung, um Berufs- und Lebenserfahrung zu sammeln – ein spätmittelalterlicher Work-and-Travel-Prototyp also. Und dann auch noch dieser coole Bannkreis von 50 Kilometern um den Heimatort! Eine junge Journalistin geht diesen Sommer nun auf Wortwalz – eine Gesellenwanderung durch den deutschen Lokaljournalismus und seine Redaktionen. Klingt nicht romantisch, aber spannend. Mehr auf: wortwalz.de TOTZZweitwohnung In Zeiten des Wohnungsmangels und explodierender Mietpreise klingt das Wort Zweitwohnung zunächst vor allem nach Luxus, nach Schickeria mit Privatresidenz in jeder angesagten Metropole. Das mag häufig so sein – gleichzeitig kann die Zweitwohnung aber auch eine Krux sein. So manche Bundestagsabgeordneten können ein Klagelied davon singen, welchen Ärger ihre beruflich bedingte zweite Bleibe mit sich bringen kann. Manuela Schwesig etwa, die das Geld lieber sparte und in ihrem Büro nächtigte. Prompt wurde ihr vorgeworfen, sie knausere auf Steuerkosten. Oder Anton Hofreiter, der „vergaß“, seine Zweitwohnungssteuer in Berlin zu zahlen, und dafür Hohn und Spott erntete.Aber auch sonst ist das mit den Zweitwohnungen eine zweischneidige Sache. Freiwillig nimmt man sich die schließlich auch nicht immer. Man denke etwa an all die Menschen, die von ihrem Arbeitgeber einfach versetzt werden. Und zwar so weit von zu Hause weg, dass Pendeln unmöglich ist. Dann ist man da, in einer fremden Stadt, auf die man sich nicht richtig einlassen kann und will, in einer Zweitwohnung, die eines eben doch nie so richtig wird: ein Zuhause. BK
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