A
Abgefahren „Der Zug ist abgefahren“: Das ist eindeutig ein negatives Statement. Keinesfalls darf man es als Lob ans Eisenbahnwesen verstehen. Ist eine Strecke abgefahren, gilt sie als erledigt, bekannt und eher unaufregend. Auch abgefahrene Reifen sind unschön, sie machen das Rad schlimmstenfalls lebensgefährlich, weil der Grip fehlt, die Bodenhaftung. Vielleicht sind es genau diese Eigenschaften – dass sich eine Sache nicht so leicht in den Griff kriegen lässt –, die das Attribut „abgefahren“ in einen Stempel für Beeindruckendes verwandelten. Außergewöhnlichem jenseits der Norm, Skurrilem und Schrägem jedenfalls wird diese Eigenschaft gern zugeschrieben.
Der Begriff „abgefahren“ ist ein prima Beispiel für den Bedeutungswandel, den ein Wort durchlaufen kann: Schillernde Nuancen schleichen sich als Neu- oder Nebenbedeutung ein. Wird etwa ein abenteuerlicher Wochenendausflug „abgefahren“ genannt, passt das auf alle Beteiligten: auf diejenigen, die von der Tour erschöpft sind, es aber wenigstens hinter sich haben – und auf jene, die sich prächtig amüsiert haben. Tobias Prüwer
C
Cool Der Ausdruck ist selbsterklärend. Er bedeutet kalt, gelassen, lässig, einen kühlen Kopf bewahrend. Coole Menschen sind selbstsicher, nicht aus der Ruhe zu bringen, trinken Whiskey on the rocks. Als Miles Davis 1957 das Album Birth of the Cool veröffentlichte, eröffnete er mit seinem Cool Jazz eine neue musikalische Ära. Dabei hatte die Coolness auch mit einer Haltung zu tun: mit der Idee einer Emanzipation. Es waren Afro-Amerikaner, die den Begriff in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten. Ihre Coolness trugen sie wie eine Rüstung gegen rassistische Angriffe. Wie kein anderer Begriff prägte „Cool“ in den folgenden Jahrzehnten die Popkultur: Musiker wie Kool&The Gang, LL Cool J oder Coolio zogen sich das kalte Jäckchen an, Schauspieler wie Steve McQueen und Stilikonen wie Jane Birkin wurden mit dem Prädikat geadelt. 2000 veröffentlichte Ulf Poschardt ein gleichnamiges Buch. Das Kühle ist nicht totzukriegen. Sophia Hoffmann
E
Easy Das englische „easy“ meint „zwanglos“ oder „zwangsfrei“. Von der Suche nach dem Leben in absoluter Freiheit und deren Scheitern erzählt der US-amerikanische Film Easy Rider (1969). Das Road-Movie von Dennis Hopper gibt das Daseinsgefühl der späten 1960er-Jahre am Beispiel einer Odyssee auf dem Motorrad wieder. Mittlerweile ist das Easygoing ein Allerweltsversprechen. Ob Faith No More, Lionel Richie oder Cro: In zig Songs wird die (angestrebte) Leichtigkeit des Seins besungen. Unternehmen wie Fitness-Center oder Fluglinien, Apotheken oder Kreditgeber tragen das „easy“ gleich im Namen. Die Substantivierung von „easy“ lässt sich mit „Chance“ und „Komfort“ übersetzen. Auch „Convenience“ gibt das Wörterbuch als Bedeutung an. Entsprechende Fertigprodukte aus dem Segment Conveniencefood reihen sich regalmeterlang in Supermärkten – weshalb das Wort „easy“ in einem Spot für eine Handelskette durchaus Sinn macht. TP
F
Fail Nicht alles im Leben läuft sehr, sehr geil. Manches ist, nun ja, eher ein Fail. Eine Fünf in Mathe? Fail! Freundin hat Schluss gemacht? Fail! Oma gestorben? Epic fail! Der Verwendung des schicken F-Wortes sind in manchen Kreisen keine Grenzen gesetzt. Wo man früher „Scheiße!“ rief, greift immer öfter das englische Pseudo-Pendant. 2011 schaffte es „Fail“ sogar auf Platz zwei des Rankings zum Jugendwort des Jahres. Wie kommt es, dass Menschen sich auch im echten Leben mit amputierter Chatspracheverständigen? Und wann ist die Ver-wendung von „Fail“ wirklich angebracht? Das Netz wimmelt von Fragen, wannund warum das Wort benutzt wird. Aufschluss bietet die Seite failblog.org.Sie zeigt, wann „Fail“ so richtig gut passt. Eine Gelegenheit: Wenn Sie einenRattenschwanz in ihrem Burger finden. Na dann ... Lina Verschwele
G
Geil Etwas besonders gut finden bzw. stark begehren: Das verbinden wir heute mit dem Wort „geil“. Es geht also um einen Trieb. Im ursprünglichen Gebrauch des Wortes ging es allerdings nicht um den Trieb der Menschen, sondern um den der Pflanzen. In der Botanik steht das Geile für alles, was „üppig nach oben wächst“, weshalb der Fachmann die nach oben stehenden Triebe von Bäumen als „Vergeilung“ bezeichnet. Durch die Assoziation mit dem erigierten Geschlechtsteil des Mannes wurde der Begriff dann auf den Menschen übertragen und im Sinne von Lüsternheit verwendet. Doch das hat sich inzwischen auch schon wieder verändert. Als Adjektiv wird es seit knapp 30 Jahren, bevorzugt von Jugendlichen, verwendet, um etwas als positiv zu beschreiben. Spätestens seit der „Geiz ist geil“-Kampagne eines Elektromarktes wirkt es aber doch recht abgedroschen. Katharina Finke
H
Hammer Das Allzweckmittel schlechthin. Mit keinem anderen Wort kann man so schön Begeisterung ausdrücken und sich gleichzeitig auf gar nichts festlegen. Klar, was „hammer“ ist, ist immer auch irgendwie eindrucksvoll und schlägt ein. Abgesehen davon kann es aber Gutes wie Schlechtes bedeuten. Diese wunderbare Universalität birgt die Möglichkeit, etwas im einen Moment ganz großartig zu finden und hinterher trotzdem sagen zu können: „Ich fand das ja auch schon immer hammer ... also, äh: hammerschlimm!“ Die perfekte ➝ Easygoing-Diplomatie für ➝ Coole und Wankelmütige gleichermaßen. Man kann das Wort auch mit „a“ am Ende aussprechen: „Hamma“. Die Berliner Dancehall-Band Culcha Candela nannte einen ihrer hammerrhythmischen Songs so. Benjamin Knödler
K
Knorke Parole Emil! Der Junge mit der Hupe dachte nach. Dann sagte er: „Also, ich finde die Sache mit dem Dieb knorke.“ Ganz große Klasse, dieses kleine Wort. Auch der etwas dämliche Klang: knorke. Damit ist doch alles schongesagt! Jedenfalls in Erich KästnersBerliner Kinderroman Emil und die Detektive (1929). Kurt Tucholsky beschrieb 1924 unter seinem Pseudonym Peter Panter feuilletonistisch den Aufstieg des Wortes: „Eines Tages war das Wort da. Auch ,schnieke‘ war sehr beliebt, das hieß wieder mehr ,fein, elegant, gut ausstaffiert‘. Aber knorke war doch das schönste von allen. Knorke ist: bunt, laut, glänzend, ersten Ranges, über das Maß zufriedenstellend, imponierend, die Erwartungen eines guten Hausvaters voll erfüllend. (...) Auch kam das Wort als Substantiv wild vor: ,Justav is eine Knorke‘.“ Tucholsky schilderte auch den Niedergang des damaligen Modewortes: „Lebe wohl, Knorke. Ruhe sanft.“ Zum Glück läuft es einem hin und wieder auch heute noch über den Weg. Oda Hassepass
P
Phat Erstmals ist mir das Wort „phat“ in einem Musikmagazin aufgefallen, in den Neunziger Jahren. Dabei gibt es den Begriff schon viel länger. Als Abwandlung der Schreibweise „fat“ meint es so viel wie wirklich fett, üppig, überbordend – und das nicht nur im physischen Sinne. HipHopper, die die abgewandelte Schreibweise für sich adaptierten, gaben ihr nachträglich verschiedene Bedeutungen. Sie nutzen das „phat“ wie ein Akronym, etwa für „pretty hot and tempting“, also: ziemlich heiß und verführerisch. Oder für „pussy hips ass tits“, dessen Übersetzung sich wohl erübrigt. Viele Frauen empfanden die Titulierung „phat“ zunächst als beleidigend, obwohl es dem Sinn nach genau das Gegenteil ausdrücken sollte: Wird eine Frau im HipHop als „phat“ bezeichnet, gilt sie als sehr attraktiv. Es ist und bleibt aber ein riskantes Kompliment, da sich beides phonetisch nicht unterscheiden lässt. Heute bedeutet phat oft schlicht: großartig. Jutta Zeise
S
Stark Menschen, die ihre Begeisterung mit dem Ausruf „stark!“ ausdrücken, gibt es fast nicht mehr. Und wenn doch, sind sie im Rentenalter. Das „stark“ war das „geil“ der Nachkriegsjugend, in Ost und West. In den 1950er-Jahren stand ja weder die Mauer, noch gab es eine Popkultur im heutigen Sinne. In beiden Teilen des Landes erprobten junge Leute eigene Stile, Rituale und Codes, und im Westen orientierte man sich dabei auch an den Leinwandhelden aus Hollywood: So wie James Dean und Natalie Wood 1955 in Denn sie wissen nicht, was sie tun gefährlichen Unfug anstellten, so spielten es Horst Buchholz und Karin Baal es ein Jahr später in Die Halbstarken nach. Wer „halbstark“ war, fand sich selbst und seine Kumpels sozusagen „vollstark“. Katja Kullmann
Ü
Übelst Als Jugendlicher in den Neunzigern steigerte man jedes Adjektiv dadurch, dass man „total“ davorsetzte. Die jungen Studenten der Nullerjahre ersetzten dieses Wort durch „übelst“. Dieser Superlativ war äußerst flexibel einsetzbar: „übelst kacke“ oder „übelst hübsch“. Linguistisch zweifellos interessant: die Verwendung des Superlativs eines negativ wertenden Adjektivs zur ultimativen Steigerung positiver Bewertungen. „Die Party gestern war übelst geil.“ Inzwischen scheint die Jugend zur Vernunft gekommen zu sein und wählte 2010 „übelst“ unter die „20 uncoolsten Wörter“. Andrea Wierich
Y
Yolo Die lustig klingenden vier Buchstaben stehen für „You only live once“, was so viel wie „du lebst nur ein Mal“ bedeutet. Das mag sehr belesene Menschenan den entsprechenden Ausspruch inJohann Wolfgang von Goethes Clavigo erinnern. Doch das Wort dient heute vor allem als Abkürzung für ein im weitesten Sinne jugendliches Lebensgefühl. Das überaus beliebte „Yolo“ ist quasi das „Carpe diem“ des 21. Jahrhunderts. Es fordert einen auf, die Chancen, die sich bieten, auch zu nutzen. Im positiven Sinne steht es also für Tatendrang,Lebensfreude und Risikobereitschaft. Wird es negativ ausgelegt, kann es aber für unverantwortliches Verhalten stehen, für Bummelei, Prokrastnation, Schlunzerei. Deswegen verwenden es manche Jugendliche auch als entschuldigendeFloskel. „Sorry, Yolo.“ Populär wurdedas Wörtchen im Jahr 2011, als der HipHopper Drake es in seinem Song „The Motto“ besang. Schnell wurden die vier Buchstaben zu einem beliebten Twitter-Hashtag. Graffitis und Tattoos folgten. Inzwischen werden T-Shirts und Kaffeetassen damit bedruckt. KF
Z
Zerstäubt Die ➝ übelst engagierte Suche nach ➝ geilen Wörtern kann einen ➝ phat wuschelig im Kopf machen. Insbesondere der Buchstabe „Z“ ist gar nicht ➝ easy. Auch beim Scrabble ist er ja sehr unbeliebt. Bei diesem Buchstaben möchte man immer nur ➝ „Fail!“ rufen! Ein Kollege kommentierte das mit den Worten: „Mensch, du wirkst ja schon ganz zerstäubt ...“. Ich sprang ihn an – vor Begeisterung! „Zerstäubt“ ist das nächste heiße Topshit-Wort – isch schwör‘! KK
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