Suppe

A–Z Aus einem Arme-Leute-Essen wurden feinste Bouillons. Eine kurdische Pansensuppe ist besser als Hipsterbrühe und „Struwwelpeter“ out. Darf man vor Wettkämpfen keine Asia-Nudeln schlürfen? Unser Lexikon
Ausgabe 05/2022
Suppe

Foto: Sven Krobot/Eyeem/Getty Images

A

Asiatisch In den Asia-Märkten gibt es sie in unübersichtlicher Anzahl. Mit Rind, Schwein oder Garnelenflavor. Quietschbunt, portionsweise in Plastiktütchen verpackt, darin die Pülverchen und gefriergetrockneten Gemüsestückchen ebenfalls eingetütet. Heißes Wasser drüber und fertig ist die Illusion, eine asiatische Suppe für 1,50 Euro zu schlürfen. Früher, als ich genauso arm wie heute, aber weniger anspruchsvoll war, kaufte ich sie in rauen Mengen. Bis mir der Appetit verging. Waren die Geschmacksrichtungen (➝ Warhol) doch zu eintönig? Wahrscheinlicher ist, dass der Körper begann, den Giftcocktail abzustoßen. Von den Geschmacksverstärkern über die Pestizide bis zu den Bedingungen der Haltung der aromabringenden Tiere werden wohl kaum irgendwelche Grenzwerte oder Standards eingehalten. Es gibt Gerüchte, dass die Suppen vor offiziellen Wettkämpfen nicht eingenommen werden dürften, da sonst die Dopingkontrollen beeinflusst würden. Marc Ottiker

B

Bouillon Eigentlich ist das Restaurant auch nur eine Suppenküche. Ein Wirt namens Boulanger, der Vorname ist in der Geschichte verloren gegangen, gilt als sein Erfinder. Er hatte in Paris ein Lokal namens „Champ d’oiseau“ mit allerlei „Bouillons restaurants“ übersetzt: kräftigende Brühen. 1765 erstritt er sich das Recht, auch kleine Gerichte anzubieten. Das war wie generell die feine Küche bis dahin der Zunft der Traiteurs vorbehalten. Boulanger dachte sich noch weitere Neuerungen aus, er setzte die Gäste an Einzeltische und schrieb die Gerichte, aus denen sie auswählen konnten, auf eine Tafel, auch die restaurierenden Suppen (➝ Herkunft). Das Adjektiv setzte sich bald als Name für ein neues gastronomisches Genre durch. 1789, zu Beginn der Revolution, existierten in Paris bereits Hunderte Restaurants, die Bouillons oder Consommés anboten. Jörn Kabisch

D

Dauerware Es klingt wie eine sagenhafte Geschichte, so wie die vom Zaubertrank der Gallier, der nie zu versiegen scheint. In den Kessel plumpste Obelix als Kind. Ein Koch aus Bangkok bietet an seinem Essensstand eine Suppe an, die seit 45 Jahren kocht. Seine Familie bereite die Brühe seit mehreren Generationen zu, erzählt Nattapong Kaweenantawong. Ein Rezept (➝ Fasolada) gebe es nicht. Wer die Suppe kocht, schmecke ab und improvisiere. Manche Zutaten aber sind gesetzt: Neben chinesischen Gewürzen kommen Knoblauch, Zimt, schwarzer Pfeffer, Korianderwurzel und Rindfleisch in den Topf mit etwa 1,5 Meter Durchmesser. Dann kocht die Suppe insgesamt drei Stunden lang, bevor sie in kleineren Töpfen weiterbrodelt. Ein kleiner Rest dient als Ansatz für den nächsten Tag. Ein Ende ist nicht in Sicht – auch Kunden schlürfen hier seit Generationen. Und Nattapong Kaweenantawongs Tochter signalisiert, sie möchte die Tradition weiterführen. Wer weiß, vielleicht lässt sich sogar Depardieu inspirieren, der Obelix im Kino verkörpert hat. Bei Wetten, dass ..? kochte er nach einer verlorenen Wette die Suppe „Gärtnerin Art“. Maxi Leinkauf

E

Eintopfsonntag Am Küchentisch werden Fahrradketten und Rohre verzehrt, und allen schmeckt es. „Hurrah, die Butter ist alle“, überschreibt John Heartfield 1935 seine Fotomontage über Sonntagsvöllerei im Familienkreis. Das deutsche Volk unter Adolf Hitler braucht Kanonen statt Butter. Seit Oktober 1933 trifft man sich deshalb einmal im Monat zum „Eintopfsonntag“. Die Devise: „Erbsen statt Braten“, auf dass die „Fettlücke“ nicht durch Fleischimporte – die sind zu teuer –, sondern Panzer und Geschütze gefüllt werden kann. Innerlich wahrlich gestählt, ist die Volksgemeinschaft gerüstet für das, was noch alles zukommt auf ein Volk ohne Raum. Das will nicht fett, sondern stark sein. Lutz Herden

F

Fasolada Großer Frieden kehrt ein, wenn mein griechischer Freund die in seiner Heimat populäre Bohnensuppe Fasolada kocht. Sie besteht vor allen Dingen aus getrockneten weißen Bohnen, die einen halben Tag eingeweicht und anschließend gekocht werden. Das Rezept ist denkbar einfach. Früher ein verbreitetes Arme-Leute-Essen (➝ Zuppa) ist sie heute ein Nationalgericht, weil sie für die meisten vermutlich nach Kindheit schmeckt. Griechisches Soulfood. Obacht: Die Griechen haben ein Sprichwort für die Fasolada, welches sinngemäß davor warnt, dass nach dem Verzehr der Suppe bei jedem Schritt ein Pups entweicht. Elke Allenstein

H

Herkunft Zuppa und soup, soep und sopa: In vielen Sprachen Europas klingt die Bezeichnung für Suppe ähnlich. Der gemeinsame Wortstamm der Löffelspeisen wäre nicht erstaunlich, wenn die Herkunft des Wortes im Lateinischen läge. Tatsächlich liegen hier lauter gegenseitige Beeinflussungen vor. Belegt ist ein entsprechendes westgermanisches Wort, das im Frühmittelalter ins Romanische als Lehnwort einging. Im Französischen ist „soupe“ ab dem 13. Jahrhundert nachweisbar – wahrscheinlich als eine Entlehnung aus dem Niederdeutschen. Dort steht „supen“ parallel zu „saufen“ als Aufnahme von Flüssigkeiten – vielleicht auch als schlürfen. In deutscher Hochsprache ist Suppe im Sinne von „etwas Flüssiges mit dem Löffel essen“ erstmals im 14. Jahrhundert überliefert. Von der Suppe leitet sich auch das englische „Supper“ ab, welches das leichte feine Abendmahl bezeichnet. Schlürfen sollte man dort unterlassen. Tobias Prüwer

I

İşkembe çorbası Liebe Veganer*innen und die, die es mal werden wollen: Jetzt wird’s hart. Sie ahnen es schon, es geht um Fleisch, um genauer zu sein İşkembe çorbası oder auch Pansensuppe. In Großstädten werden Suppen verschiedenster Länderküchen (Ramen, Pho oder auch ganz klassisch italienische Minestrone) gerne zu neuen Trendgerichten erklärt. Das zeigt sich vor allen Dingen am Preis. Extra-Gentrifizierungspunkte gibt es, wenn Restaurantbetreiber, -personal und -köche Bio-Deutsche* sind. Dabei hat die Pansensuppe alles, was die Trendsüppchen versprechen: nahrhaft, glutenfrei, Low-Carb. Head-to-tail ist sie außerdem (Kutteln kommen sonst selten in den Topf). Außerdem hilft sie: gegen Hunger, Erkältung, depressive Verstimmungen, auch Liebeskummer. Also, werden Sie zum Lokal-Aktivisten (Bouillon), gehen Sie zum türkischen/kurdischen Imbiss, bestellen Sie eine Suppe für fünf statt 15 Euro und sorgen Sie dafür, dass Ihr Viertel multikulturell bleibt. Clara von Rauch

K

Kishon In Immer viel zu heiß beklagt der Satiriker Ephraim Kishon (1924 – 2005) den „vulkanischen Ursprung der Suppe“. Nur einmal sei ihm eine wohltemperierte Minestrone serviert worden. Sofort sei ein Kellner auf ihn zugesprungen – „Entschuldigen Sie, Signor“ – und habe den Teller in die Küche getragen. „Als er sie zurückbrachte, konnte ich sein Gesicht nicht sehen, weil es von dichten Dampfwolken verhüllt war.“ Kishon schwört, seinen „Kampf gegen die allgemeine Übereinkunft“ (Dauerware) fortzusetzen. Wenn auch beim nächsten Restaurantbesuch die Bedienung wieder einmal „hinter einer Feuersäule“ verschwindet und „aus Rauchschwaden“ eine Stimme an Kishons Ohr dringt: „Heiß? Das nennen Sie heiß?“ Dorian Baganz

S

Suppenkaspar „Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess’ ich nicht.“ So zetert der „Bub“, der wie auch die anderen Gestalten aus dem Bilderbuch Struwwelpeter von Heinrich Hoffmann (1809 – 1894) Kindern ein abschreckendes Beispiel sein sollte, denn nach fünf Tagen war er tot. Und keine Trauer darüber, nur Häme: Was auf den Tisch kommt, wird gegessen, tust du es nicht, dann stirbst du. Den Autor, der ein bekannter Psychiater war, interessierten die Gründe für Kaspars Verhalten nicht. Krankheit? Wut als Hilferuf? Von Essstörungen wusste man damals schon. Und was war mit der Suppe? Wie autoritäre Erziehung viele Generationen geprägt hat, können die Struwwelpeter-Geschichten immer wieder vor Augen führen. Es waren Drohungen ohne Erbarmen. Irmtraud Gutschke

T

Terrine Der Sonnenkönig Ludwig XIV. (1638 – 1715) soll die Suppenterrine zum Tafelaccessoire gemacht haben. Lebemann war er jedenfalls und zu seiner Zeit wurde die bäuerliche Terrine – eine steinerne Schüssel mit Deckel, in der Pastete zubereitet wurde – nachweislich zu einem aufwendigen Schmuckstück. Meist war gar keine Suppe (➝ Herkunft) drin. Die ausladenden Suppenterrinen aus Porzellan waren üppig mit Wappen und Figurinen verziert und standen inmitten der kulinarischen Kostbarkeiten. Im 18. Jahrhundert wurde Terrine auch im Deutschen zur gepflegten Bezeichnung der Suppenschüssel. Sie diente auch hier neben der Speiseaufbewahrung dem Zurschaustellen von Besitz und Status. Tobias Prüwer

W

Warhol Wenn es wirklich stimmt, was Andy Warhol behauptete, dass er nämlich 20 Jahre lang jeden Mittag eine Dose Campbell’s Tomato Soup gelöffelt hatte, dann müsste die Pop-Art-Geschichte etwas anders geschrieben werden. Denn seine ikonischen Bilder der Suppendose entstanden womöglich mehr aus einem Müssen heraus, sind also nicht popartmäßig-ironisch zu verstehen, sondern eher so: Hilfe! Ich kann diese Suppe nicht mehr essen! Und dann muss sie eben an die Wand: 1962 begann Warhol damit, die Siebdrucke und Gemälde seiner Campbell-Suppendosen auszustellen. Blechdosen als Sujet, das war neu, das war populär, jung und sexy. Und statt den Inhalt der Dosen mittags zu futtern (Warhol blieb allerdings zeit seines Lebens Fast-Food-Fan und ein Verächter der verfeinerten Küche), variierte er von nun an das Thema mit Suppendosen von Campbell in 32 verschiedenen Geschmacksrichtungen (➝ Asiatisch). In Wiederholung war Warhol Meister. Kunst ist Ware und Ware ist Kunst. Marc Peschke

Z

Zuppa Die italienische Sprache kennt viele Begriffe und Rezepte für flüssige Speisen, darunter Bazzoffia, Burrida, Ginestrata, Ribolitta, Minestrone (➝ Kishon) oder Stracciatella, der Überbegriff ist Minestra. Zuppa hingegen bezeichnet nur selten eine echte Suppe. Darunter versteht man klassisch in Flüssigkeit eingeweichtes Brot oder Getreide. Der daraus entstehende Brei gehört zu den ältesten Gerichten, seitdem der Mensch angefangen hat, Essen zuzubereiten. In der italienischen Küche sind sie, wenn nicht als Müsli, dann vor allen Dingen als Pappa al pomodoro (wörlich: Tomatenbrei) oder Aquacotta (wörtlich: gekochtes Wasser) präsent. Wenn man aber süßes Biskuit einweicht, und das auch noch in Alkohol, etwa Dessertwein, dann hat man die Grundlage für Zuppa inglese oder Zuppa romana, diese edlen Schwestern des Tiramisu. Jörn Kabisch

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