Walkman

A–Z Vor 40 Jahren kam der erste Walkman auf den Markt. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde das Gerät zum Streitpunkt und ermöglichte große Romantik. Unser Wochenlexikon
Ausgabe 26/2019
Walkman

Foto: Dick Loek/Toronto Star via Getty Images

A

Andreas Pavel Sozialwissenschaftler, Philosoph mit Faible für zukunftsweisende Multimediaexperimente, Verteidiger geistigen Eigentums, Held im spannenden Wirtschaftskrimi seiner Zeit. In den 70er Jahren entwickelte der Deutsch-Brasilianer das Konzept einer „Taschen-Stereoanlage mit Kopfhörer“. Angemeldet zum Patent 1977 in Italien, 1978 in der BRD, den USA, Großbritannien und Japan, lehnte Sony 1977 Pavels Idee noch ab.

Doch 1979 trat der Konzern mit dem ersten Walkman den Welterfolg an, verdiente Milliarden, veränderte Hörgewohnheiten. Den Ideengeber Pavel wollte Sony 1986 mit 150.000 DM abspeisen. (Investition) Der blieb standhaft, trotz drohenden Ruins, Ausspähungen und Diebstahl von Prototypen seines „Stereobelt“. Sony-Gründer Akio Morita gerierte sich in dem jahrzehntelangen Rechtsstreit als Walkman-Erfinder, erst als Pavel drohte, vor US-Gerichte zu ziehen, ging er in die Knie. Die geheime Vergleichssumme – wohl enorm. Helena Neumann

B

Branding Das kleine Ding hat eine nomenklatorische Achterbahnfahrt hinter sich. Als Sony den „Walkie“ patentieren wollte (Andreas Pavel), stellte man fest, dass der Begriff bereits Toshiba gehörte. Also „Walkman“. Genauso hip, oder? Einspruch kam aus den Filialen in den USA und dem Vereinigten Königreich: ungrammatisch! Dort gingen der „Soundabout“ beziehungsweise der „Stowaway“ („blinder Passagier“) auf den Markt. Letzterer missfiel Sony Schweden: Um die Konnotation des Regelbruchs zu vermeiden, ersann man den „Freestyle“. Schließlich obsiegte doch der Walkman. Im deutschen Sprachraum sogar so sehr, dass Österreichs höchstes Gericht 2002 entschied, „Walkman“ sei kein geschützter Markenname mehr, sondern bezeichne allgemein portable Abspielgeräte. Die Marke starb den Generizid, den Tod durch Erfolg. Cornelius Dieckmann

I

Investition Das Begrüßungsgeld war gut investiert. Ein Wochenende nach Mauerfall kaufte ich mir meinen ersten Walkman. Das geschah in einem Herkules-Center bei Kassel – ich dachte natürlich, der Markt hieß wegen der Heldenstatue in Wilhelmshöhe so. Meine Eltern musste ich ganz schön beknien, die hielten das Kopfhörergerät nämlich für doof und gefährlich. Man schottet sich nicht einfach von seinen Mitmenschen ab! (Soziologie) Das klang ein wenig nach der kollektivistischen Kritik der DDR.

Dabei produzierte die selbst einen Walkman, der sauteuer war. Für meinen ging nur ein Teil des Begrüßungsgeldes drauf. Das waren so 20 D-Mark, wenn ich mich recht entsinne. Dass es ein No-Name-Produkt war, juckte nicht, mit Marken hatten wir es noch nicht so. Daher hatte ich Geld übrig für eine Bravo und eine Pop/Rocky. Eines der Hefte enthielt Sticker, sodass ich meinen in Grau-Weiß eher schlicht erscheinenden Walkman mit Roxette- und Ärzte-Aufklebern aufpeppen konnte. Rückblickend war das eine gute Investition. Das Teil hielt Jahre und prägte meinen Alltagssound – „Teenage-Rebell, sei laut – sei schnell“. Tobias Prüwer

K

Kiss Den Superhit von Prince hat Vivian Ward (Julia Roberts) in Pretty Woman auf dem Ohr und trällert – süß im Wasser planschend – „I just want your extra time and your ... kiss“. Ach, wie rührt sie damit Edward Lewis’ (Richard Gere) merkantile Seele. Der legendäre Walkman (Farbe: Gelb) – hier wird er zum „Pretty Walkwoman“ – ist eine stimmige Requisite für Vivians lebensfrohe Selbstvergessenheit und ihr gleichzeitiges „Ganz bei sich sein“ in den Schaumwellen der Wanne eines Badezimmers, das „mindestens so groß wie das Blue Banana“ (Originalfilmtext) ist. Eine poetische Szene (La Boum), die – mit Walkman-Requisite – auch im Musical zu sehen sein wird, das im Herbst in Hamburg anlaufen soll. Magda Geisler

L

La Boum 1980 kam La Boum in die Kinos – ein Jahr nachdem der erste Walkman vorgestellt wurde. Eine Szene ist zur Legende geworden: jene Partysekunden, in denen Vic Richard Sandersons Dreams Are My Reality über Kopfhörer auf dem Walkman hört, während die restlichen Teenager zu Rock ’n’ Roll zappeln (Mixtape). Die 13-jährige Marceau steht an der Bar. In diesem Moment setzt Mathieu ihr von hinten Kopfhörer auf. Sie sinkt in seine Arme – und die beiden setzen zum Engtanz an. Der Moment ist die totale Abkapslung, die auch den Zuschauer mit Wucht ergreift: denn der hört nur, was Vic hört, die ihn, den Zuschauer, also uns, anblickt. Marc Peschke

M

Mixtape Mit 14 bekam ich meinen ersten Walkman geschenkt. Danach waren wir viele Jahre unzertrennlich. Die ganze Pubertät durch war er mein Schallschutz vor elterlichen Nervattacken. Mit den ersten ernst zu nehmenden Romanzen bekam er eine wichtigere Aufgabe: das Durchhören von musikgewordenen Liebesbriefen – Mixtapes. Heimlich zugesteckte Kleinode, die liebevoll mit Filzstiften (Zurückspulen) und Bildern aus Musikzeitschriften gestaltet wurden und bedeutungsschwangere Titel wie „the melancholy of dying too soon“ trugen.

Und wie sie im Walkman hoch und runter gedudelt wurden. Alleine oder mit geteiltem Kopfhörer, um die Bedeutung der Musikauswahl bis auf die letzte Note durchzudiskutieren. Mit 18 kam mit dem Führerschein die Ablösung des Walkmans durch das Auto-Kassettenradio. Und damit das große Sterben der Mixtapes, die auf Festivalfahrten ihren langsamen Tod im Bandsalat fanden. Diana Gevers

N

Nachfolger Der Geh-Mann (Walkman) tat es nicht mehr, klapperte und rauschte und wurde durch den Scheibenmann (Discman) ersetzt. Nie mehr spulen (Vorspulen), nie mehr drehen! Per Knopfdruck zum Song! Aber er war viel zu groß und durfte oft nicht mit raus, weil er nicht in die Jackentasche passte. Außerdem war er zu empfindlich für mich. Falsche Bewegungen vertrug er nicht, da sprang gleich der Laser aus der Rille. Schnell verlor ich das Vertrauen zum Scheibenmann.

Ein paar Jahre verbrachte er noch in meiner Technikschublade, dann nahm ich Abschied. Mit MP3-Playern hatte ich meist kurze Beziehungen, bis ich auf meine große Liebe, den ersten weißen iPod traf. Er war so kühl und glatt. Außerdem: das große Display! Das Click Wheel! Das Klackergeräusch beim Bedienen! Wir hatten eine schöne Zeit zusammen. Nun brauche ich ihn nicht mehr. Jetzt wird alles per Handy gestreamt. Wir kommen gut miteinander zurecht. Ruth Herzberg

R

Rollschuhe Auf Rollschuhen verbrachte ich in meinem Leben knapp 30 Sekunden. Dann folgte der Sturz. Das andere, bis heute für mich untrennbar mit dem beräderten Schuhwerk verbundene Phänomen: Musikhören mit Kopfhörern und tragbarem Kassettengerät. Bis heute bleibt es mir durch alle technischen Wandlungen hindurch (Nachfolger) ein Mittel der Weltflucht. Wenn es mir nicht vergönnt sein soll, den Passanten dank gut geschmierter Kugellager lautlos aus dem Alltag zu entgleiten, so habe ich immerhin noch die Musik in meinen Kopfhörern, welche mich in eine Welt jenseits des täglichen Weltlärms führt; oder auch nur weg von den Stimmen der Legionen zu laut labernder US-Girls & -Boys auf Europareise. Marc Ottiker

S

Soziologie Wirkten sie nicht furchtbar, die Kinder mit portablen Endgeräten und riesigen Kopfhörern, autistischen Micky-Mäusen gleich? Bekanntermaßen züchtete der Walkman eine Generation narzisstischer, isolierter Jugendlicher. Nein, war es doch eher Instagram? Jede Mediengeneration erzeugt die immer gleichen Ängste der Alten. Aber der Walkman war kaum eingeführt, da wurde bereits der nach ihm benannte Effekt beschrieben: nicht nur entzieht sich der Hörer seinem Geräuschumfeld. Die abgespielte Musik wird zu seinem Geheimnis, während jedwede Kommunikation unterbunden wird. Das freilich ist ja das Grandiose am Walkman, jedenfalls für uns Introvertierte. Die Musik gehört uns ganz allein, niemand mischt sich ein (Kiss). Und wehe dem, der es versucht! Marlen Hobrack

U

UKW Sommer 1997, die Sonne knallte vom Himmel, der Wind wehte vom Meer. Sonnenbrand galt noch als cool, Kassetten auch. Aber wer ganz vorne dabei sein wollte, der hatte einen Walkman mit integriertem UKW-Radio (Investition). Klingt heute abwegig, aber es war ein Traumurlaub mit knarzendem Radio, die Frequenz unzuverlässig am Drehrad einstellend. Endlich war der Kassettenvorrat irrelevant, eine schier unendliche Auswahl an fremden Radiostationen war hinzugekommen. Aber das Formatradio war bis nach Zypern vorgedrungen. Mit hoher Verlässlichkeit spielten drei jugendliche Brüder immer wieder ihren Sommersong: die Hansons mit MmmBop. Jan C. Behmann

V

Vorspulen Ah, die Kunst des Spulens! Nie wird die Generation der nach 1990 Geborenen verstehen, wie viel Fingerspitzengefühls es bedurfte, beim Spulen auf Anhieb die richtige Stelle der Kassette zu finden. Vorspulen-Taste gedrückt halten, innerlich bis drei zählen, rrriiiiritsch, loslassen, abspielen! Verdammt, die ersten Takte von Hells Bells verpasst. Noch mal zurückspulen. Auch im Schlaf könnte der Daumen flink zwischen zweiter und dritter Taste von links hin und her wechseln, so oft hat er sie ertastet.

Länger anhaltendes Spulen übrigens veränderte den Sound. Ratterratterritsch. Wo war noch mal Sweet Child O’Mine? Noch mal (Zurückspulen) und dem grantigen Surren des Bandes lauschen, immer in der Hoffnung, der voreilige Finger möge das fragile Gleichgewicht von Band und Gerät nicht stören, auf dass zuletzt alles in Bandsalat ende. Vielleicht war der Walkman am Ende kein tragbares Abspielgerät, sondern die fortgeschrittene Variante des anderen Hits der 80er, des Zauberwürfels? Marlen Hobrack

Z

Zurückspulen Rewind, rewind, stets mit der Hand: Die Rückspultaste blieb immer unangetastet. Denn wer will schon den kostbaren Akku mit sinnloser Tätigkeit schwächen? Darum war das Spulen mit der Hand normal. Meistens nahm man dazu einen Stift, am besten gingen Blei- und Buntstifte, oder die Point-88-Fineliner, weil deren Kanten gut ins Zahnrad der Kassette passten.

Perfekt rastete die zahnradartige Kappe eines Tintenkillers ein. Profis drehten nun nicht den Stift in der Kassette, sondern ließen diese am Stift rotieren. Der richtige Handgelenksschwung war eine Trainingsfrage. Es fühlte sich ein bisschen an wie bei jenen Artisten, die Teller auf Stäben tanzen lassen. War die Technik gemeistert, ließt sich das Rad der Musikkonserve ziemlich fix zurückdrehen – und man konnte sich beim Spulen in der Öffentlichkeit lässig vorkommen. Tobias Prüwer

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