Rausch Synthetische Substanzen dominieren weltweit den Markt. Mit Sisa entfliehen Griechen der Krise - Crystal Meth ist auch die Droge deutscher Neonazis. Das Lexikon der Woche
Anginamittel Viele Designerdrogen waren „Wundermittel“, bis man ihre Gefährlichkeit erkannte. Auf Poppers trifft das nicht zu: Diese avancierten vom Anginamedikament zum Kurzzeitberauscher. Poppers ist ein Sammelbegriff für nitrithaltige Substanzen, die man früher in Herz- und Geburtsmitteln und zur Bekämpfung von Angina pectoris eingesetzt hat. Weil die Wirkung nur kurz anhält, verwendete die Medizin bald effektivere Medikamente.
Die Flüchtigkeit des Rausches macht Poppers – der Name stammt vom Aufploppen der einst verwendeten Glasampullen – für viele zum idealen Rauschmittel. Man inhaliert die flüssige, in einem Fläschchen enthaltene Substanz. Die nur Minuten anhaltende Wirkung setzt sofort ein. Poppers senken die Schme
anhaltende Wirkung setzt sofort ein. Poppers senken die Schmerzempfindlichkeit und fördern die sexuelle Lust. Physisch abhängig machen sie aber nicht. In Deutschland ist der Handel verboten – in Onlineshops kann man sie allerdings als angebliche Raumbedufter bestellen. Tobias PrüwerBBreaking Bad Superlative sind ja meist maßlos übertrieben, aber Breaking Bad als die beste Fernsehserie der Welt zu bezeichnen, ist es ausnahmsweise nicht. Die Geschichte um einen krebskranken Chemielehrer in Albuquerque, New Mexico, der beschließt, für seine Familie finanziell vorzusorgen, indem er in der Wüste Crystal Meth kocht und es anschließend verkauft, besticht vor allem durch ihre dramaturgische Raffinesse.Mit der Entscheidung, Geld mit der Drogenproduktion zu verdienen, begibt sich Walter White (Bryan Cranston) auf eine Reise, auf der er sich immer tiefer in Verbrechen und Schuld verstrickt. Die Handlungsfäden sind dabei so miteinander verknüpft, dass das Geschehen über bisher fünfeinhalb Staffeln und 54 Folgen völlig zwangsläufig aufeinander aufzubauen scheint. Nebenbei erzählt die Serie von Vince Gilligan viel über gescheiterte Träume und das Aufrechterhalten von Fassaden in US-Vorstädten – und darüber, wie Crystal Meth eine desillusionierte Gesellschaft noch weiter zersetzt. Jan PfaffDDoku-Roman Ohne Drogen sind antideutsche Partywellen nicht zu haben – zumindest wenn man dem Doku-Roman Raven wegen Deutschland von Torsun und Kulla glaubt. Mit dem im Ventilverlag erschienenen Rauschbeschreiber manövriert Egotronic-Kopf Torsun die Leser durch den Partysommer 2007. Dabei lässt er keine Afterhour aus, ob sie nun im Berliner Club Berghain oder irgendwo in der Provinz stattfindet.Dass man sich bei dieser Tour de Force gar nicht erst mit Cannabis und Bier aufhält, versteht sich dabei von selbst. Also wird hübsch synthetisch zu Pep und LSD gegriffen. So reiht sich Anekdote an Anekdote – und man kann nur erahnen, wie viel in dem Buch Wahn oder Wirklichkeit ist, wenn sich das überhaupt unterscheiden lässt. „Aber erst checke ich mir noch ’ne Fahrt, damit ich morgen so zeitig wie möglich in die Pötte komme. Ich brauche unbedingt mal wieder ’nen anständigen Rausch.“ TPEEcstasy Als Anton Köllisch bei der Firma E. Merck in Darmstadt 1912 erstmals MDMA synthetisierte, ahnte er nicht, einen Stoff gefunden zu haben, der Symbol für eine ganze Dekade werden würde. Unter dem Namen Ecstasy eroberte die pillenförmige Droge ab den Achtzigern die Clubkultur. Der Smiley, eins von vielen auf die bunten Pillen gepressten Bildern, stand bald emblematisch für die pumpende Acid-House-Musik. Ein Jahrzehnt später wurde Ecstasy zum Synonym für die Techno-People und Rave-Exzesse, die mit Loveparade & Co. in der Massenkultur angekommen waren. Friedhelm Böpple und Ralf Knüfer gossen das Lebensgefühl der Zeit 1998 mit Generation XTC in Buchform, da waren Techno und Ekstase eigentlich schon wieder abgeflacht – aber in aller Munde. Zuletzt machte der Ex- Gute-Zeiten-Schlechte-Zeiten-Mime Rainer Meifert von sich reden, als er Ende Juni in einer „Drogenbeichte“ (Bild) gestand, auch auf Ecstasy abgefeiert zu haben. TPFFotografie Wie es aussieht, wenn Crystal Meth eine ganze Stadt zurichtet, zeigt die Arbeit Trona. Armpit of America von Tobias Zielony. Der Berliner Fotograf ist 2008 in die kalifornische Wüstenstadt gefahren, die im Zuge der Deindustrialisierung vor die Hunde gegangen war. Zielony zoomt nicht auf verfaulte Zähne und Ödeme, er zeigt: einen jungen Mann, der neben einem Fahrrad am Rande eines Sportplatzes liegt, ein Mädchen, die Hände wie betend, den Blick zum Himmel, weggetreten an zwei brennenden Zigaretten ziehend. Die Fotos sind ästhetisch – und beschönigen doch nichts.Wer der Chemie ins Auge schauen will, wird bei The Drug Series von Ashkan Sahihi fündig: Er hat Porträts von elf Menschen unter Einfluss verschiedener Substanzen gemacht: Ecstasy, Ketamin, Amphetamin, LSD. So unterschiedlich die Erlebnisse gewesen sein müssen, das Ergebnis sieht in hartem Licht in jedem Fall ernüchternd aus. Christine KäppelerGGriechenland Den Konsumenten von Crystal Meth bleibt irgendwann einfach die Spucke weg. Am Ende fallen ihnen die Zähne aus. Crystal Meth ist ein Albtraum, doch was ist dann Sisa? Die Hölle. Es ist die Droge der griechischen Krise, und sie verbreitet sich vor allem in Athen rasend. Sisa ist Crystal Meth gemischt mit Batteriesäure. Oder mit Strychnin. Oder mit Kerosin, Chlor oder Schwefelsäure, also dem, was gerade da ist. Es ist leicht herzustellen und sehr billig. Ein bis zwei Euro kostet eine Dosis, die Wirkung ist verheerend. Sisa frisst die Junkies wie im Säurebad auf und nimmt ihnen den Verstand. Das Letzte also, was ihnen die Krise noch gelassen hat. Mark StöhrLLSD „Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene den Menschen alles, wie es ist: unendlich.“ Zum Teil auf diesem William-Blake-Zitat fußt der legendäre Status von LSD. Aldous Huxleys danach benanntes Buch Die Pforten der Wahrnehmung wurde ab den Sechzigern zur einflussreichen Rauschlektüre. Huxley auf dem Meskalintrip beschreibt darin seine intensivsten Erfahrungen unter dem Eindruck eines Blumenstraußes, und auch die LSD-Glückskinder hatten eindringliche Empfindungen. Lysergsäurediethylamid, wie das Halluzinogen ausgeschrieben heißt, wurde 1939 erstmals hergestellt und sollte eigentlich den Kreislauf antreiben. Ein paar Jahre später wurde die tripentfachende Wirkung entdeckt, man setzte LSD in der Psychiatrie ein, und das Militär versuchte, es als Wahrheitsserum zu verwenden. In der Hippie-Bewegung feierte man LSD als politisches Mittelchen, um mittels Bewusstseinserweiterung die Welt zu verändern. Immerhin macht es nicht abhängig und ist daher für Dealer auch kaum lukrativ. Nach dem US-Verbot 1966 kam LSD ab den späten Achtzigern dann als Partydroge zurück. TPNNazis Sie wettern gegen Dealer und Junkies und können doch selbst nicht vom Stoff lassen. Mehrfach sind sächsische Neonazis beim Schmuggel und Verkauf von Crystal Meth erwischt worden. Unter Drogeneinfluss begingen sie auch Straftaten. Im Herbst flog in Delitzsch ein ganzer Ring auf, Crystal im Wert von 40.000 Euro wurde gefunden. Einer der Ertappten war NPD-Kandidat. Beim gemeinschaftlichen Totschlag eines Obdachlosen im sächsischen Oschatz im Mai 2011 stand einer der beteiligten Rechtsradikalen unter Meth-Einfluss. Solche nazi-induzierten Crystal-Nächte reihen sich ein in eine deutsche Traditionslinie. Denn Meth ist keine US-imperialistische Droge, sondern puschte und euphorisierte im Zweiten Weltkrieg als sogenannte Panzerschokolade Wehrmachtssoldaten. Name des Wachhaltemittels: Pervitin. TPPPsychonauten Auch sie möchten an Grenzen kommen, nicht im All, sondern in ihrem inneren Weltraum. Mitunter tun sie es ganz legal. Manche Psychonauten testen Designerdrogen aus „Forschungszwecken“. Auf der Webseite erowid.org sammeln sie Erkenntnisse, schilderndie Folgen der Einnahme vonJWH-018 oder Dimethocaine, reihen Inhaltsstoffe der Drogen auf und verweisen auf Gefahren falscher Dosierung. „Psychonaut Project“ ist sogar eine EU-geförderte Studie, im Namen der Gesundheit. Der Begriff geht auf Ernst Jünger zurück. Der Philosoph, Dichter und selbst ernannte Psychonaut unternahm Rauschfahrten durch Mexiko mit Surrogaten wie Meskalin oder LSD. Er hat sie im Kapitel „Mexico“ in den Annäherungen beschrieben. Meskalin wird ursprünglich aus einem Kaktus, dem Peyotl, gewonnen. Heute stellt man es nur noch synthetisch her. Maxi LeinkaufRRegeneration „The bill of the pill“ – die Quittung nach dem ausschweifenden Konsum von Partydrogen in flüssiger, pulveriger oder Pillenform kann furchtbar sein. Der Körper ist platt, das Nervenkostüm zerrissen. Ein Ratgeber aus der Schweiz mit dem Titel PartyFood 2.0 zeigt Wege aus dem Tal der Vergiftung. Beispiel MDMA oder Ecstasy. Dessen Wirkung beruht vor allem auf der Ausschüttung des Hormons Serotonin, unseres Euphorie- und Glücksmachers. MDMA ist ein äußerst großzügiger Serotonin-Spender, hat aber auch die perfide Eigenschaft, dass es den Körper zugleich daran hindert, den Serotonin-Speicher wieder aufzufüllen. Und nach ein, zwei Tagen folgen Ängste, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen. Der eidgenössische Ratgeber empfiehlt zur Linderung dieser Symptome 100 Gramm Cashewnüsse pro Tag, möglichst zwischen den Mahlzeiten und über mehrere Tage. Dazu „Power Banana Drinks“. Und nach LSD-Genuss sollte das positive Geruchsgedächtnis mit ätherischen Ölen aktiviert werden. MSZZufall Als der Chemiker Albert Hofmann am 16. November 1938 zum ersten Mal Lysergsäurediethylamid herstellte, hoffte er auf ein Kreislaufmittel. Das Projekt entpuppte sich als Fehlschlag, zumindest in therapeutischer Hinsicht. Erst fünf Jahre später, am 19. April 1943, entdeckte der Schweizer im Selbstversuch dann den überwältigenden Psychoeffekt von LSD. Der Tag ging in die Drogengeschichte ein als „Bicycle Day“: Hofmann fuhr damals im LSD-Rausch mit dem Fahrrad nach Hause.LSD wurde in den Achtzigern von der Partydroge ➝Ecstasy abgelöst. Sie gehört zur Familie der Amphetamine, einer Substanz, die schon Ende des 19. Jahrhunderts synthetisiert wurde und wie LSD als Zufallskick mit eigentlich anderem Ziel auf dem Betäubungsmittelindex landete. Amphetamine haben eine Bronchien erweiternde Wirkung und wurden gegen Asthma eingesetzt. Später schluckten sie Fernfahrer als Aufputschmittel, um bei längeren Entfernungen wach zu bleiben. Soldaten bekamen sie während des Zweiten Weltkriegs verabreicht. Da Amphetamine auch den Appetit hemmen, wurden sie Teil des Schlankheitssystems. Es ist schon eine merkwürdige Karriere, die dieser Stoff nahm – vom Heilmittel für Kurzatmige zum Treibstoff einer entgrenzten Partykultur. MS
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