A
Airline Der Kapitalismus hat ja so einige Möglichkeiten, auf den Körper der Konsumenten abzuzielen. Diese mag eine der direktesten sein: Seit Jahresbeginn berechnet „Samoa Air“ als erste Fluglinie der Welt den Ticketpreis nur noch nach dem Gewicht der Passagiere. Marktwirtschaftlich gesehen völlig plausibel, denn schwere Passagiere bedeuten höheren Spritverbrauch, also mehr Ausgaben. Hinzu kommt, dass Samoa Air, wie der Name verrät, hauptsächlich Passagiere aus Samoa transportiert – und der Inselstaat hat eine der dicksten Bevölkerungen weltweit. Laut Weltgesundheitsorganisation sind dort 86 Prozent der Menschen übergewichtig. Deshalb begrüßte die Leiterin des Gesundheitsamtes die Preispolitik. Das sei ein guter Weg, um mehr Menschen zum Abnehmen zu bewegen, sagte sie. Eben das wollen Kritiker nicht. Sie beharren auf einem Grundrecht aufs Dicksein, das nicht durch diskriminierende Preise eingeschränkt werden dürfte. Jan Pfaff
B
Biene Maja Sie musste abspecken, statt Bienenplautze nun Wespentaille. Dabei hatte Maja bisher so souverän ihre Querstreifen getragen. Die neue ZDF-Serie soll nun moderner wirken, sagt der Sender. Sie sei eine Antwort auf die „geänderte Dynamik heutiger Sehgewohnheiten“. So lässt sich computergenerierter Schlankheitswahn auch umschreiben.
Man muss solch gesellschaftlichem Druck aber nicht nachgeben, wie die Hummel zu beweisen scheint. Bis heute hält sich ja der Mythos, der dicke Brummer würde im Widerspruch zu den thermodynamischen Gesetzen schweben, das pummelige Insekt sich der Aerodynamik zum Trotz von Blüte zu Blüte bewegen. Seit den Neunzigern ist das aber wissenschaftlich widerlegt: Hummeln erzeugen durch ihren Flügelschlag genug Wirbel für den nötigen Auftrieb.
Besondere Aufmerksamkeit hat auch die seit Jahrhunderten sprichwörtliche Wespentaille gefunden. Immer wieder wird sie als Ideal heranzitiert, weshalb sich manche Dame bis zur Kurzatmigkeit einschnürte. Zeichentrickfigur Maja muss immerhin nicht leiden. Gendermäßig ist es auch kein Aufreger. Willi wurde ebenso entkurvt. Tobias Prüwer
D
Definitionssache Dicksein ist kein Spaß heutzutage. Der ehemalige britische Gesundheitsminister Alan Johnson sagte einmal, Dicke seien für das Gesundheitssystem, was der Klimawandel für die Umwelt sei. Dicksein gilt nicht nur als unschön, sondern auch als unnatürlich. Maßstab dafür ist noch immer die Steinzeit, als Menschen hinter Mammuts herrannten und sich nur so viel von ihrer Beute herunterschnitten, wie sie kalorienmäßig für deren Erlegung verbraucht hatten. Das hält schlank. Aber ab wann genau ist man dick? Als Bestimmungsmethode hat sich der Body-Mass-Index (BMI) durchgesetzt. Der BMI eines 1,85 Meter großen Mannes mit 90 Kilogramm beträgt 27,9. Er ist damit leicht übergewichtig. Eine Adipositas, also Fettleibigkeit, dritten Grades beginnt ab einem BMI von 40. Spätestens dann macht Dicksein aber wirklich keinen Spaß mehr. Mark Stöhr
F
Feeding Bei den Philien gibt es ja nichts, was es nicht gibt. Zu ihnen gezählt wird auch „Feeding“, eine psychische Störung, die sich durch eine besonders seltsame Verhaltensweise äußert. Der Feeder (Fütterer) mästet eine andere Person, den Feedee (Gefütterten), bis diese ein merkliches Übergewicht erreicht und erst so für ihn sexuell attraktiv wird. Dabei empfinden meist beide sexuelle Erregung beim Feeding. Die Ergebnisspanne reicht von leichtem Übergewicht bis hin zu extremer, lebensgefährdender Adipositas.
Aber was turnt Feeder an? Es entsteht dabei eine Abhängigkeitsbeziehung, in der der Fütterer die dominante Position innehat. Das reicht von psychischer bis hin zur körperlichen Abhängigkeit des „Gefütterten“ ab dem Zeitpunkt, ab dem jener sich aufgrund extremen Übergewichts kaum noch bewegen kann. Im Internet gibt es zahlreiche Portale für Menschen mit entsprechender Neigung. Geht man nach den Einträgen dort, gibt es aber weitaus mehr männliche potenzielle Feeder als Frauen, die von ihnen gemästet werden wollen. Sophia Hoffmann
H
Hauskater Fühlen Sie sich zu dick? Dann lassen Sie sich scheiden! Das ist nicht zynisch gemeint, sondern wissenschaftlich belegt: Menschen, die in einer Partnerschaft unglücklich sind und über Trennung nachdenken, nehmen ab. Und wer nach einem Pendant Ausschau hält, achtet auf seine Figur. Das besagen jedenfalls Studien, die sich mit dem Zusammenhang von Ehe und Gewicht befassen und der gängigen Annahme, glückliche Zweisamkeit halte gesund und schlank, entgegentreten. Es gibt nämlich das sogenannte Hauskater-Syndrom: Hat er seine Liebste eingefangen, neigt er, unterstützt durch gute Küche dazu, nachlässig zu werden und in die Breite zu gehen. Und auch sie achtet weniger auf ihr Äußeres und taucht im Schlabber-Shirt am Frühstückstisch auf, mit ausladenden Hüften und sichtbaren Bauchfalten. Also alle zwei Jahre eine neue Partnerschaft? Nein, führen Sie doch eine Ehe von anderem Gewicht. Ulrike Baureithel
I
Ideal Erst mit der fortschreitenden Globalisierung breitete sich das westliche Schlankheitsideal auch zunehmend in anderen Kulturkreisen aus. Im historischen und interkulturellen Vergleich bildete es aber eine Ausnahme. Lange galt Körperfülle als Statussymbol (➝Zwangsernährung). Die Logik dahinter: War die Versorgung schwierig und das Essen knapp, bedeutete Fett Luxus. In einer Überflussgesellschaft wird Fettleibigkeit dagegen häufig mit Attributen wie mangelnder Disziplin und Krankheit besetzt (➝ Soziale Distinktion). SH
K
Komik Wenn eine übergewichtige deutsche Ex-Köchin ein Porträt in der New York Times bekommt, muss da schon was dran sein. Ilka Bessin alias Cindy von Marzahn ist die zurzeit populärste deutsche Komikerin. Das hat sich bis in die USA herumgesprochen. In der Figur von Cindy verbinden sich Pfunde, Prekariat (➝Soziale Distinktion) und Pfiffigkeit. Sich selbst stellt sie die Diagnose Alzheimer-Bulimie: „Ich fresse und vergesse hinterher zu kotzen.“ Ist das lustig? Schon.
Wie überhaupt Dicke im komischen Fach Tradition haben. Sancho Pansa etwa, der kleine, runde, mit einem gesunden Menschenverstand und damit auch einer gesunden Angst ausgestattete Stallmeister von Don Quijote, ist einem viel näher als sein idealistischer und furchtloser Herr. Die deutsche Fernsehgeschichte ist voll mit fülligen Faxenmachern: Heinz Erhardt, Heinz Eckner oder natürlich Dirk Bach. „Die Dicken“, schreibt die Welt, „sind bequeme Seelensofakissen, auf denen man alle Komplexe und Ärgernisse als befreiendes Lachen abladen kann.“ Das gilt wohl auch für Ex-Köchinnen. MS
M
Markt Es ist ein fettes Geschäft: Die Zunahme dicker Menschen kurbelt einen ganzen Teilbereich der Wirtschaft an. Denn auf die neu entstehenden Bedürfnisse übergewichtiger Konsumenten antwortet der Markt mit einer Reihe findiger Produkte. Und davon macht die Diätindustrie noch den kleinsten Teil aus.
Die neuen Geschäftszweige beinhalten etwa XL-Transporte und Krankenbetten in Übergröße, stahlverstärkte Großsärge, schwer belastbare Möbel und unzählige Alltagshelfer für Bewegungseingeschränkte. In letztgenannten Bereich fallen Strumpfanzieher mit Verlängerungsstäben und PVC-Gurtgreifer, die das Anschnallen im Auto erleichtern. Extralange Armbänder befestigen Uhren auch an etwas stämmigeren Handgelenken, selbstöffnende Scheren mit großen Fingerlöchern schnippeln mit wenig Kraftaufwand. Den größten Batzen am XXL-Markt erwirtschaftet aber das Modesegment. Bis zu 20 Prozent des Gesamtumsatzes entfallen hier je nach Schätzung auf das Übergrößensegment. Skurril mutet trotz aller maximalen Normalität jedoch ein anderes Produkt an: ein stabiler Fahrradsitz, der bis zu 360 Kilo tragen soll. TP
S
Soziale Distinktion Faul, undiszipliniert, Hartz IV: Das Gleichsetzen von Dicken mit sozialer Unterschicht ist nicht nur für bestimmte Medien ein beliebtes Mittel, gesellschaftliche Unterschiede darzustellen und festzuschreiben. Dicksein gilt besonders im Boulevard als doof, ist ein Kennzeichen für das Scheitern durch eigenes Unvermögen und Unwillen. Selbst zur Zubereitung gesunder Nahrung sind die noch zu blöd, wie man ja an den Fettschürzen sehe. So konnte Thilo Sarrazin etwa verbreiten, dass Untergewicht das „kleinste Problem“ von ALG-II-Beziehern sei. Komischerweise gelten Peter Altmaier oder Patrick Döring in ihren Parteien trotz beträchtlichen Körperumfangs aber als potente Macher.
Als Mittel der sozialen Distinktion wird das Abwatschen der Leibesfülle zudem gern vom Bildungsbürgertum eingesetzt. Erfolg wird hier wie eh und je über den Körper zum Ausdruck gebracht. Im Gegensatz zur in Wirtschaftswunderzeiten angesagten Ludwig-Erhard-Figur muss heute mindestens nach Halbmarathonläufer aussehen, wer als Siegertyp durchgehen will. Wahre Leistungsträger, so will es der calvinistische Zeitgeist, übernehmen für sich Verantwortung und schaffen damit allgemeinen Nutzen. Denn, auch so kann sich bürgerlicher Sozialneid gerieren, die hohen Gesundheitskosten könnten ja teils auch auf die Unterschichts-Dicken mit ihren ganzen Folgekrankheiten zurückgeführt werden. TP
W
Westernhagen Bevor er mit Ina Müller im Duett gesungen hat, war Marius Müller- Westernhagen noch nicht der Sänger für alle. 1978 hat er eiskalt eine Minderheit vergrault: „Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin/denn Dicksein ist ’ne Quälerei/Ich bin froh, dass ich so’n dürrer Hering bin/Denn dünn bedeutet frei zu sein.“ Er meinte das gar nicht feindselig, sondern hat es einfach mal festgestellt. Der Song war direkt, wild und brachte Leute zum Tanzen. Auf Konzerten war er zur Hymne geworden, Radiosender boykottierten den Song. Wenn man das Lied auf einer Party gespielt hat, sahen einen die Leute angewidert an. So diskriminierend! Doch Westernhagen wollte sich gar nicht über Fettleibige lustig machen, sondern er hielt denen, die Vorurteile gegenüber Dicken hegen, den Spiegel vor. Mona Stein
Z
Zwangsernährung In manchen Teilen Mauretaniens steht unser Schönheitsideal auf dem Kopf. Oder auf sehr dicken Beinen. Frauen, so diktiert es dort die Tradition, sind attraktiver, je mehr Gewicht sie auf die Waage bringen. Ein Mann habe so mehr, was er lieben könne, lautet die Begründung. Das führt aber zu furchtbaren Misshandlungen. Mauretanische Mädchen sollen idealerweise mit zwölf Jahren schon 100 Kilo wiegen. Dafür werden sie rund um die Uhr zwangsernährt. Die Zielgröße sind 10.000 Kalorien am Tag. Erst wenn die Beine zu brechen drohen, wird mit der Mästung ausgesetzt. Viele Mädchen sind aber auch schon an Organversagen gestorben. MS
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.