A–Z Dispositionskredit

Schulden Kredite sind so alt wie die Menschheitsgeschichte. Im Alten Rom förderten sie den Handel - heute treiben deutsche Banken den Überziehungszins hoch. Das Lexikon der Woche
Ausgabe 35/2013
A–Z Dispositionskredit

Foto: Umit Bektas/ Reuters

A

Automat Wohl jeder, der schon mal von einem Geldautomaten das, wofür das Ding da ist, nicht bekam, wird die Nervosität beim Geldziehen nicht mehr los. Es ist jedes Mal ein Bonitätstest. Hält man der strengen Prüfung durch die Maschine stand und wird irgendwann mit dem schnarrenden Geräusch belohnt, das der Ausgabe der Scheine vorausgeht? Oder fällt man aus dem „Verfügungsrahmen“ und muss seinen Kundenberater anbetteln? Geldautomaten sind eine Art Orakel der Neuzeit. Wenn hier nichts geht, läuft wahrscheinlich auch sonst nicht mehr viel.

Der erste dieser Apparate wurde am 27. Juni 1967 in einer Filiale der Barclays Bank im englischen Enfield in Betrieb genommen. Die Kunden mussten Scheckkarten mit leicht radioaktiver Beschichtung hineinschieben. Abhebbarer Höchstbetrag: elf Pfund. Nach Deutschland kam der erste Geldautomat 1968. Während Studenten Go-ins und Sit-ins veranstalteten, steckten – immerhin technisch progressive – Bürger eine Lochkarte in ein Gerät der Kreissparkasse Tübingen. Mark Stöhr

B

Bestseller Der Anthropologe und Anarchist David Graeber erzählt in seinem Sachbuchbestseller Schulden – die ersten 5.000 Jahre die Menschheitsgeschichte anhand ihrer Verbindlichkeiten und Versprechen. Am Anfang des Tausches stand der Raub: Eine Gemeinschaft nahm von der anderen und vice versa. Als Handlungskette gedacht, ergibt sich ein Geben und Nehmen, aus dem sich die ritualisierte Tauschform herausbildete. An bestimmten Orten legte man Dinge für die anderen nieder, die hinterließen ihrerseits Gaben. Man wollte anderen nichts schuldig bleiben. Wie eng Diebstahl und Handel verknüpft waren, zeigt Merkur als Patron der Diebe wie Händler. Tauschen und täuschen haben dieselbe sprachliche Wurzel, Handel und Händel, Schuld und Sollen ebenso. Tobias Prüwer

C

Crowdfounding Schattenbanken und privater Geldverleih sind bestimmt kein Dispo-Ersatz. Hohe Zinsen und die Gefahr für die eigene Gesundheit bei nichtfristgerechtem Begleichen der Forderungen sind hinreichende Argumente dagegen. Da scheint Crowdfunding die bessere Alternative: Geld leihen mit dem Schwarm. Crowdfunding ist die Projektfinanzierung durch möglichst viele Menschen via Internetplattform. Eine Mindestkapitalmenge muss durch die Geldgeber erreicht werden, damit die Aktion starten kann. Die kollektive Finanzierung nimmt, von der Erfolgsbeteiligung bis zur Spende und nichtmonetären Erfolgsteilhabe – DVD bei Filmprojekt –, verschiedene Formen an. Nach Angaben des Crowdfunding Industry Report waren im Frühjahr 2012 exakt 452 Crowdfunding-Plattformen weltweit aktiv – die Mehrheit in Nordamerika und Westeuropa. Zusammen haben diese Plattformen knapp anderthalb Milliarden US-Dollar eingeworben und über eine Million Projekte finanziert. TP

D

Deckeln Schon das Wort: deckeln. Etwas nur begrenzen oder festschreiben, ist was für Weicheier. Deckeln aber, das klingt nach Schluss mit lustig, nach basta, nach durchgreifen. Gerade in Wahlkampfzeiten soll landauf, landab immer irgendwas gedeckelt werden. Die CSU will die EEG-Umlage deckeln, der NRW-Justizminister die Managergehälter, das Land Hessen seinen Beitrag zum Finanzausgleich und der Bund die Abfindung von zwei Commerzbank-Managern. Ein großer Freund des Deckelns ist auch Peer Streinbrück. Nach dem Mietpreis sind jetzt die Dispozinsen dran. Die sollen nach dem Willen des SPD-Manns auf acht Prozent gedeckelt werden. Gute Idee. Aus Erfahrung kommen Deckelungen nach der Wahl aber meistens auf den Deckel – der uneingelösten Versprechen. MS

F

Fehlfarben Dass ein Dispositionskredit auch Künstlern zu Kreativität verhelfen kann, das weiß man spätestens seit dem Revival-Album von Fehlfarben. Ob die Düsseldorfer Punks damals jedoch wirklich so knietief im Dispo steckten und deshalb ein neues Album aufnehmen mussten, ist nicht erwiesen.

Untereinander kannten sie sich alle aus dem legendären Ratinger Hof und machten schon seit 1979 Musik. Fünf Jahre später war schon wieder Schluss, nachdem sie sich mit ihrem Label zerstritten hatten. Erst nach 18 Jahren kam dann mit Knietief im Dispo die Rückkehr. In Düsseldorf war mittlerweile nicht mehr viel von der damaligen Punkszene übrig. Die Stadt hatte sich zu einer High-Society-Metropole entwickelt. Den Ärger der Band darüber kann man ihr auf dem Album eindeutig anhören: „Nicht nur die Kö ist doch völlig fürn Arsch, Tussis entliftet, Ludenhunde vergiftet. Straßen gesäubert, ach komm doch, vergiss et.“ Finanziell brachte das Album weniger ein als erwartet. Benjamin Zimmermann

K

Kultur Europa ist gnadenlos verschuldet. Im Grunde nichts Neues, denn schließlich haben Schulden hier eine lange Tradition. Schon der Sonnenkönig stand hoch in der Kreide. Gut, würde der Deutsche wohl sagen, Südländer leben nun mal auf Pump. Und für Deutsche zählen Franzosen eben auch zu den Südländern. Doch auch der „deutsche Sparer“ kommt beim geschichtlichen Rückblick nicht gut weg. Das Kaiserreich war vor dem Ersten Weltkrieg hoffnungslos verschuldet. Und selbst die deutschesten Deutschen hatten im „Tausendjährigen Reich“ so viele Schulden angehäuft, dass der Weg nur in den Weltkrieg führen konnte. Auch Revolutionen wurden durch zu hohe Staatsschulden ausgelöst. Jeder Umsturz beginnt mit Schulden, die die Gesellschaft nicht mehr bezahlen kann, sagt einer der Gründerväter der Occupy-Bewegung, David Graeber, ➝ Bestseller. bez

P

Pump Sparen oder reinbuttern, das sind die divergierenden Konzepte von EU und USA, den Staatsschulden beizukommen. Wer richtigliegt, das wird die Zeit zeigen. Ein Leben auf Pump muss auch individuell nichts Schlechtes sein, wenn man sich der Hauptgefahr bewusst ist: Man verliert gerade beim andauernden Schuldenmachen leicht den Überblick über Soll und Haben. Zudem ist es schwierig, das wirkliche Risiko einzukalkulieren: Wird der Geldstrom aus Lohn auch die nächste Zeit anhalten, um die Forderungen zu deckeln?

Eine Verschuldung der Privathaushalte kann sich negativ auf die Volkswirtschaft auswirken. So schwächelt in Irland, Spanien oder Portugal der Konsum vor allem aufgrund klammer privater Haushaltskassen. Das kann zur schädlichen Kumulation führen. Wenn Staat und Bürger sparen, wird die Konjunktur schwerlich nach oben gehen. TP

S

Sammlerobjekte Früher diente das „Notgeld“ als lokaler Dispo – heute ist es ein Sammlerobjekt. Im Ersten Weltkrieg wurden Reichsgoldmarkmünzen, Silbernominale und Metallkleingeld für die Kriegswirtschaft eingezogen. Es kam zu einer rasanten Entwertung der Nationalwährung – Geldersatzmittel wurden also notwendig, weshalb Gemeinden mit dem Notgeld lokale Währungssysteme schufen und ihren Bürgern damit Geld zur Verfügung stellten. Es war aus Leder oder Stoffen, oft verteilte man Papp- und Papierscheine. Nach einer ersten Notgeldausgabe 1914 hat man sich in darauf folgenden bei der grafischen Gestaltung der Scheine mehr bemüht und kleine Bilderbücher geschaffen. Sagen wie der Sängerkrieg, Anekdoten aus der Stadtgeschichte und anderes Lokalkolorit, etwa Sehenswürdigkeiten, waren auf den Scheinen zu sehen, die bald Sammlerbegehr weckten. Mit der Hyperinflation 1923 verschwanden sie aus dem Zahlungsverkehr. TP

R

Römische Republik Das Leben der Eliten im Alten Rom war geprägt von Pomp und Pump. Übertrieb man es mit dem Schuldenmachen, empfahl es sich, ein politisches Amt anzustreben. Dann konnte man – etwa mithilfe der Proskription – seine Gläubiger um die Ecke bringen. Fiel man bei der Wahl zum Konsul oder Prätor durch, hatte man ein Problem, das heißt noch mehr Schulden, da Wahlkämpfe schon damals teuer waren. Der insolvente Catilina machte diese Erfahrung und putschte, um schuldenfrei zu werden. Doch auch echte Größen steckten knietief im Dispo (➝ Fehlfarben): Bei seiner Abreise nach Gallien wurde Caesar von Gläubigern fast vom Pferd geholt. MS

U

Unwort Das Unwort des Jahres zeichnet sich meist durch größtmöglichen Zynismus aus. Sozialverträgliches Frühableben (1998), Humankapital (2004) oder Entlassungsproduktivität (2005). 1994 war ein Begriff in der Verlosung, der im internen Bankenjargon für die Abweisung sozial schwacher und damit unlukrativer Kundschaft steht: Schalterhygiene. Klingt wie die Übertragung ansteckender Krankheiten. Das Virus Armut sollte nicht auf die zahlungskräftige Klientel übergreifen. Offiziell benutzt diese Bezeichnung natürlich keine Bank. Das Rennen um das Unwort machte 1994 allerdings eine andere Entgleisung aus dem Bankenmilieu: Peanuts. Damit bezeichnete der damalige Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper den 50-Millionen-Mark-Verlust durch die Schneider-Pleite. MS

V

Verfügungskredit „Die Unhöflichkeit dieser Bank ist unerträglich. Noch ein Wort, und ich kündige meinen Dispo!“ Der Bankkunde, der sich in einer Karikatur im Punch-Magazin von 1917 echauffiert, hat genau erkannt, wozu der Dispo auch dient. Der unkomplizierten Zinseinkunft zugunsten der Bank. Dabei erweist sich so ein Verfügungskredit ja als sinnvoll, er garantiert den Zahlungsverkehr, wenn sich Eingang und Abbuchung kurzfristig überschneiden. Den Vorteil hatte zuerst der Kaufmann William Hog in Edinburgh erkannt und schloss in den 1720ern mit der Royal Bank of Scotland einen individuellen Deal, um den Finanzfluss seines Geschäftes zu gewährleisten. Daraus wurde ein allgemeines Geschäft, das selbst der philosophische Bankenskeptiker David Hume schätzte. In Deutschland verbreitete sich der Privat-Dispo ab Mitte der fünfziger Jahre, als Überweisungen langsam die Lohntüte ablösten. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard persönlich soll die Einführung angeregt haben. TP

Z

Zins Man hat es auf seinem Kontoauszug womöglich selber schon entdeckt: Nun hat eine Untersuchung der Stiftung Warentest von 1.538 Banken und Sparkassen ergeben: Mehr als 100 der Geldhäuser in Deutschland zocken ihre Kunden ab – indem sie einen Dispozins von 13 Prozent und mehr nehmen. Die teuersten Banken bitten ihre Klienten mit bis zu 14,75 Prozent zur Kasse, wenn sie ihr Konto überziehen. Also doch lieber Schulden bei den Eltern machen. Maxi Leinkauf

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