A–Z Kaufhäuser

Ausgeglänzt? Bei Karstadt demonstrieren Angestellte für höhere Löhne, der Geschäftsführer schmeißt hin, und Investor Nicolas Berggruen hat ein Problem. Das Prinzip Kaufhaus von A-Z
A–Z Kaufhäuser

Foto: Andreas Herzau/ LAIF

A

Aristide Boucicaut „Mouret hatte nur eine einzige Leidenschaft: sich der Frau unterwerfen.“ So steht es bei Emile Zola. In seinem 1883 erschienenen Roman Das Paradies der Damen beschreibt er den Glamour des neuen Einkaufens im Kaufhaus, seine Verklärung und Verführung. Vorbild für Zolas Kaufhausdirektor Octave Mouret war Aristide Boucicaut. Er ist der Urvater des Kaufhauses. Er begann seinen Aufstieg zum Großunternehmer 1852 bei einem kleinen Laden mit dem schönen Namen Bon Marché im Pariser Quartier Latin. Schon dort führte er nach und nach Neuerungen ein, die zum Modell für den Handel weltweit wurden: Fixpreise ersetzten das bis dahin übliche Feilschen, bei dem der soziale Status meist das Startangebot bestimmte. Die Gewinnspannen wurden gesenkt, was die Produkte günstiger machte. Dazu kam – völlig neu – das Umtauschrecht. 1869 baute Boucicaut sein Warenhaus Au Bon Marché. Zu seinen Angestellten zählten auch die späteren Gründer von Printemps und La Samaritaine. Mark Stöhr

B

Bund Drohnen kann man dort zwar nicht kaufen, aber es gibt tatsächlich ein „Kaufhaus des Bundes“. Es ist für den zentralen Einkauf staatlicher Institutionen zuständig, die über ein Beschaffungsvolumen von 250 Milliarden Euro verfügen. Weil man ja auf gar keinen Fall Steuern verplempern will, hat der Staat 2003 dieses Kaufhaus gegründet. Im Amtsdeutsch liest sich das Vorgehen so: Gespart wird, „indem die Behörden und Einrichtungen des Bundes elektronische Bestellungen aus Rahmenvereinbarungen tätigen können, welche die Zentrale Beschaffungsstellen abgeschlossen haben“. Durch einen einheitlichen Warenstandard wird dabei ausgeschlossen, dass bei den Beamten Bleistiftneid oder Büroklammermissgunst aufkommt. Tobias Prüwer

E

Elefant Der Brite William Whiteley war ein Unternehmer mit Leib und Seele. Der Kunde für ihn? Wichtiger als die Queen. Seine Kaufhäuser? Ein anderer Planet. Das Sortiment? Ein Universum mit allem von Menschen Gemachtem und Gewünschtem. 1963 eröffnete Whiteley im Herzen von Londons Notting Hill seinen ersten Laden. Nach und nach kaufte er immer mehr Geschäfte auf und baute sich ein regelrechtes Imperium mit allen erdenklichen Produkten und Dienstleistungen auf. Selbst Golfkurse gehörten zum Angebot. Whiteley nannte sich „The Universal Provider“. Alles könne er besorgen, „von der Nadel bis zum Elefanten“. Diesen Werbeslogan nahm ein Kunde offenbar wörtlich: Er bestellte einen Dickhäuter. Und Whiteley soll tatsächlich geliefert haben. Ein paar Stunden später stand der Elefant bereit. Wahrscheinlich ist die Geschichte aber erfunden. Der Einkaufskette Whiteley, die es heute noch gibt, hat sie nur bestimmt nicht geschadet. MS

Enteignung Für die Nazis waren die Kaufhäuser eine „jüdische Erfindung“. In ihrem Parteiprogramm forderten sie eine „Kommunalisierung“ der Groß-Kaufhäuser. Nach der Machtergreifung machten sie ernst und trieben die schrittweise Enteignung der Warentempel in jüdischem Besitz voran. Davon betroffen war auch Georg Wertheim. Er kam 1885 von Stralsund nach Berlin und eröffnete dort 1897 das Kaufhaus Leipziger Straße. Es war ein für die damaligen Verhältnisse stilbildendes Einkaufsparadies mit modernen Aufzügen, einem gigantischen Lichthof und einem Teesalon. 1912 erlangte es den Status als größtes Kaufhaus Europas mit 3.200 Angestellten. 1934 versuchte Wertheim sein Eigentum vor dem Diebstahl durch die Nazis zu schützen, indem er es per Schenkung seiner nicht-jüdischen Frau übertrug. Doch es half nichts. Die Firma Wertheim bekam den Stempel „rein jüdisch“ und ging 1937 in die AWAG – Allgemeine Warenhaus Gesellschaft AG – über. Aus anderen jüdischen Kaufhäusern wurden unter anderem Hertie und Kaufhof. MS

G

Grüne Wiese Die Shopping-Meile in der Innenstadt ist bedroht. Von der Konkurrenz im Internet und auf der grünen Wiese. So sehen es zumindest viele Politiker und denken sich Gesetze aus, um die Fußgängerzonen in den Stadtzentren zu schützen. In Baden-Württemberg beispielsweise soll private Gentrifizierung unter gewissen Umständen staatlich verordnet werden können. Wenn 15 Prozent der Gewerbetreibenden vor Ort eine selbstfinanzierte Initiative zur Stadtverschönerung anstoßen, dürfen die Kommunen eine Satzung erlassen. Dann werden auch die anderen Geschäftemacher, insbesondere die großen Kaufhausketten, zur Kasse gebeten. Damit die Innenstädte nicht veröden – und der Konsum dort weitergehen kann. Felix Werdermann

K

Karstadt Mit dem Konzept „Karstadt 2015“ wollte der Milliardär Nicolas Berggruen das Unternehmen konsolidieren. Seine Strategie: eine Ausdifferenzierung des Sortiments und eine Profilschärfung. Die Karstadthäuser sollen, je nach Standort, auf die Labels „Premium“, „Warenhaus“ oder „Sport“ gebürstet werden. Hinzu kam ein Personalabbau sowie eine Lohnpolitik, die auf Opfer der Angestellten setzt. Das fällt der Kaufhauskette nun auf die Füße. So war eine Aussetzung des Tarifvertrags beschlossen worden, um das Unternehmen zu retten. Damit müsse aber nun Schluss sein, fordert Verdi. Erste Warnstreiks gab es vergangene Woche. Berggruen reagierte darauf mit Gewerkschaftsschelte. Und am Wochenende wurde nun bekannt, dass auch der Geschäftsführer Andrew Jennings nicht mehr will. Mitten in der Krise muss Karstadt sich einen neuen Chef suchen. TP

L

Literatur „Die Uhren schlagen sieben. Nun gehen überall in der Stadt die Geschäfte aus. /Aus schon umdunkelten Hausfluren, durch enge Winkelhöfe aus protzigen Hallen drängen sich die Verkäuferinnen heraus“, besang der Expressionist Ernst Stadler kurz vor dem Ersten Weltkrieg den Ladenschluss. Den „kleinen Ladenmädchen“, die am Feierabend „ins Kino gehen“, setzte aber erst Siegfried Kracauer ein Denkmal. Kein sonderlich vorteilhaftes, denn er rückte sie – dem zeitgenössischen Klischee folgend – in die Randzone des leichten Gewerbes. Kaufhaus-Romane gab es in der Weimarer Republik zuhauf. Und sie handelten nicht nur von Verkaufspüppchen mit Ambitionen à la Irmgard Keun oder Vicki Baum. Der bekannteste männliche Protagonist ist Pinneberg aus Hans Falladas Kleiner Mann, was nun?, der, gerade Ende 20, dem Kaufhaus zu teuer und entlassen wird. Willi aus Werner Türks Konfektion dagegen liefert doppelt Stoff: Rund um den Berliner Hausvogteiplatz gab’s zu den hochfliegenden Aufsteigerträumen des Romans die passenden Klamotten. Ulrike Baureithel

O

Online-Shopping „Wir müssen mehr online“ ist wohl die am häufigsten gedroschene Phrase in den Chefetagen großer Handelsunternehmen. Das als Kaufhauskiller gescholtene Online-Shopping soll nun auch für Karstadt der Heilsbringer sein. Immerhin kaufte 2012 jeder zweite Deutsche online ein. Knapp 90 Prozent sind es gar unter den 25- bis 44-Jährigen. Klar, dass da alle mitverdienen wollen. Nur sollte ein Kaufhaus nicht seine ureigene Stärke vergessen: Man kann die Produkte anfassen und anprobieren, gegeneinander abwägen, ihnen mit allen Sinnen begegnen. Wohl daher hat Karstadt eine seltsame Option in seinem Online-Angebot: Man kann die Waren statt nach Hause auch in einzelne Filialen zum Abholen schicken lassen. TP

P

Patina GUM, KaDeWe, Lafayette: Viele Metropolen können historische Kaufhäuser vorweisen oder besser: historisierte. Im Gegensatz zum echt historischen „Kaufhaus“ in Freiburg, das einst mittelalterlicher Warenumschlagplatz war, erfüllen diese Häuser heute aber auch immer noch ihren ursprünglichen Zweck. Wobei gern betont wird, dass sie ein wenig Patina und Konsumgeschichte mit sich rumschleppen. Nüchtern betrachtet ist das Berliner Kaufhaus des Westens zwar flächenmäßig das größte Warenhaus Kontinentaleuropas, aber sonst nichts anderes als die ausgewalzte Version der Karstadt-Premium-Rubrik. Ebenfalls höherpreisigen Produkten gewidmet, ist das GUM in Moskau: Heute residiert es als Shoppingcenter gegenüber dem Lenin-Mausoleum und erinnert emblematisch an den Kampf der Systeme. TP

U

Unordnung der Dinge Die Unordnung der Dinge hielt bei Karstadt Einzug, seit Berggruen am Zug ist. Vorstandsvorsitzender Andrew Jennings formulierte die Idee wie folgt: „Karstadt erweitert das Angebot im Bereich Fashion mit mehr als 50 neuen internationalen und deutschen Marken, die sich an einen moderneren Kunden richten und gleichzeitig dem bestehenden Kundenstamm Neuheiten bringen.“ Die gravierendste Neuerung bestand darin, dass der Kunde nicht mehr fand, was er suchte. Statt Bedarfsrefugien zu schaffen, in denen man nach Schuhgröße und Schuhart alle Sandalenmodelle in Größe 43 durchprobieren oder alle Stabmixer vergleichen konnte, muss man Inseln der einzelnen Markenhersteller abklappern, um eventuell zum glücklichen Konsument zu werden. TP

V

Verkäuferinnen Die junge Denise aus der Provinz ist Protagonistin von Emil Zolas Roman Paradies der Damen (Aristide Boucicaut). Sie ergattert eine Anstellung im Kaufhaus. In ihrer Figur spiegelt sich die erstarkende Berufsgruppe der Verkäuferinnen. Dass die Berufstätigkeit für Frauen bis dato als verpönt galt, änderte sich mit der Zunahme ökonomischer Begehrlichkeiten: Die Zahl der angestellten Frauen in Handel und Büro verdreifachte sich zwischen 1882 und 1907. Berufstätigkeit barg plötzlich die Chance zum sozialen Aufstieg. Das änderte nichts daran, dass die Verkäuferinnen unter widrigen und fast sklavenähnlichen Verhältnissen leben mussten und sich oft von Männern aushalten ließen. Heute können Frauen zwar die Rechnung beim Abendessen übernehmen, aber sie verkaufen meist noch immer: Kauffrau im Einzelhandel, Verkäuferin und Bürokauffrau waren 2010 die von Frauen am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe. Juliane Löffler

Z

Zielscheibe „Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben.“ Als Ulrike Meinhof 1968 Fritz Teufel zitiert, sind vier Mitglieder der Außerparlamentarischen Opposition (APO), unter ihnen Andreas Baader, für ihre Brandanschläge in zwei Kaufhäusern bereits zu Haftstrafen verurteilt. Dass ihr „politisches Happening“, mit dem sie gegen Konsumterror und die Gleichgültigkeit der Deutschen gegenüber dem Vietnamkrieg protestieren wollten, als profane Kriminalität behandelt wird, ist ihnen unverständlich.

Wer dagegen Sympathien in der Bevölkerung einfuhr, war Arno Funke, der in den Neunzigern als Kaufhauserpresser „Dagobert“ bei zahlreichen Geldübergaben die Polizei narrte. Nach seiner Haftentlassung vermarktete er die Geschichte erfolgreich in Buchform. Jutta Zeise

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