Entspannen Die Stoibers taten es vor Lupinenstauden, die Kennedys in Hyannis Port, Ulla Schmidt ließ sich dabei den Dienstwagen klauen. Was Politiker im Urlaub erleben: Ein Lexikon
Abbruch „Die Bundeskanzlerin muss ihren Urlaub beenden“, forderte im Sommer 2011 die SPD, „bevor sie von den Märkten dazu gezwungen wird“. Die CDU sah keine Notwendigkeit. Sie und FDP schossen 2008 gegen Verdi-Chef Frank Bsirske: Er müsse wegen einer Flug-Affäre vorzeitig aus der Karibik zurückkehren. Der Abbruch des Politikerurlaubs zeigt sich in erster Linie als Forderung des politischen Gegners. Eine direkte Pflicht dazu besteht nicht, wenngleich plötzliche Krisenereignisse oft zum frühen Handeln zwingen. Die Öffentlichkeit wird einem Politiker seine Sonnenstündchen nie verzeihen, wenn zeitgleich die Katastrophe tobt. Politiker müssen nur dann abbrechen, wenn sie der Bundestag direkt zurückbeordert – wie im
stag direkt zurückbeordert – wie im Juli 2012, als zur Sondersitzung über den Rettungsschirm geblasen wurde. Tobias PrüwerAnwesenheit Können Politiker das ganze Jahr lang Urlaub machen? Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind nur ihrem Gewissen verpflichtet, und wenn sie den Urlaub mit ihrem Gewissen vereinbaren können... Wer sich nie im Parlament blicken lässt, muss zwar mit Strafen rechnen, die jedoch für ein Politikergehalt bescheiden ausfallen. An jedem Sitzungstag müssen sich die Abgeordneten in eine Anwesenheitsliste eintragen – wer nicht kommt, zahlt im Normalfall 50 Euro. Wer sich im Plenum zu Wort meldet oder anderweitig auffällig wird, braucht sich nicht in der Liste zu verewigen. Was ist dran an dem Vorwurf, dass sich die Politiker einen schönen Lenz machen? Die Bilder vom nahezu leeren Plenarsaal sind jedenfalls trügerisch, denn vernünftigerweise sitzen dort in der Regel bloß die Fachpolitiker der Fraktionen. Und wenn die Abgeordneten ständig in ihre Heimat fahren? Dann sind sie oft im Wahlkreis unterwegs. Sie führen ein Doppelleben und werden sowohl in Berlin als auch zuhause die Hälfte des Jahres vermisst. Dafür brauchen sie nicht mal Urlaub zu nehmen. Felix WerdermannDDienstwagen Dass der Dienstwagen eines Politikers gestohlen wird, ist schon an sich ungewöhnlich. Dass der Diebstahl aber im Urlaubsort passiert, ist ein Fauxpas für Fortgeschrittene. Aus der kriminalistischen Frage „Wo ist der Wagen?“ wurde 2009 ein Politikum: Was machte der überhaupt in Alicante? Ulla Schmidt, die damalige Gesundheitsministerin, war in argen Erklärungsnöten. Von dienstlichen Treffen mit in Spanien lebenden deutschen Rentnern war die Rede. Am Ende stellte sich heraus, dass die Leerfahrten ihres Chauffeurs – Frau Schmidt hatte selbstverständlich das Flugzeug nach Spanien genommen – auf Steuerzahlerkosten gingen. Wenigstens tauchte der Wagen wieder auf. Mark StöhrFFotografien Der Begriff Politiker schließt den Privatier ja qua Bedeutung eigentlich schon aus. Trotzdem tragen Politiker ab und zu kurze Hosen. Manchmal nicht einmal das. Dann sind sie Mensch, im Urlaub zum Beispiel. Um dieses temporäre Menschsein zu dokumentieren, werden Hoffotografen zum jeweiligen Erholungsort bestellt. Die Ergebnisse sind eigentlich immer entsetzlich: Helmut und Hannelore mit einem Rehkitz oder Edmund und Karin Stoiber vor einer Lupinenstaude. Die Softpornovariante dieses privat perforierten Heimatfilmstreifens lieferte 2001 Rudolf Scharping, als er für die Bunte völlig außer sich vor Liebe und Leidenschaft mit seiner damals noch relativ frischen Lebensgefährtin in einem Pool planschte. Erstmals aktenkundig wurde die politische Urlaubsfotografie 1919 mit einem Bild von Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske in Badehose bis zu den Oberschenkeln in der Ostsee. Die oppositionelle Rechte benutzte die Abbildung damals für eine extrem ätzende Postkartenkampagne gegen die Demokratie. MSKKennedys Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war Hyannis Port in Massachusetts ein Rückzugsort berühmter Zeitgenossen. Die US-Präsidenten Ulysses S. Grant und Grover Cleveland verbrachten ihre Sommermonate gerne im pittoresken ehemaligen Fischerdorf unweit von Boston. 1929 erwarben dort Joseph P. Kennedy und seine Ehefrau Rose ein stattliches Anwesen, das fortan zum Sommersitz des gesamten Kennedy-Clans wurde. Neben den 14 Schlafzimmern gab es auch einen Kinosaal, man legte großen Wert auf sportliche Wettbewerbe im Schwimmen, Segeln und Tennis. Laut Zeitzeugen glichen diese Urlaube einem regelrechten Familien-Bootcamp. Ab 1956 residierten auch John F. und Jackie Kennedy dort und verhalfen dem Örtchen zu einer glamourösen Aura, die bis heute spürbar geblieben ist. Sophia HoffmannOObama Der amtierende amerikanische Präsident ist nicht der erste seiner Gattung, der auf Martha’s Vineyard südlich von Cape Cod im US-Bundesstaat Massachusetts Urlaub macht. Auch Präsident Bill Clinton genoss in den neunziger Jahren die breiten Strände der Insel. Martha, so hieß die Tochter des englischen Seefahrers Bartholomew Gosnold, der 1602 an der Insel vorbeifuhr. In der Gastroszene spricht man heute nur noch verkürzt von „the vineyard“, vom Weinberg. Und natürlich haben sich dort schon immer Politiker getummelt. Präsident John F. Kennedy zum Beispiel und dessen Sohn John F. Kennedy Junior, der 1999 bei einem Flugzeugabsturz auf der Insel starb. Obama führt nun die Tradition der Strandurlaube weiter. In den letzten Jahren mieteten er und Michelle einen Landbesitz für schlappe 25 Millionen Dollar direkt am Strand. Im Winter geht es dann klimasensibel wieder in Obamas Geburtsstaat, nach Hawaii. Ben KochmanPPicknick Französischen Präsidenten war der Urlaub im eigenen Land immer heilig. Sarkozy, der Outsider, brach damit. Man nannte ihn nicht nur „Sarko, l’americain“ – er tat auch alles, um einer zu werden. So fuhr er im August 2007 nicht an die Loire oder in die Provence, sondern nach Wolfeboro, New Hampshire – für viele Franzosen ein Fauxpas. Noch mehr Häme schürte ein Treffen mit dem Bush-Clan, der sich da gerade auf der Sommerresidenz Kennebunkport erholte: Auf dem Menü des Samstagpicknicks standen Hamburger und Hotdogs. Sollte alles ganz familiär wirken, geradezu banal das Date mit George W. Bush. Hinterher machten sie noch eine Bootstour, redeten über „das Land der Freiheit“. Nur welches war da gemeint? George W. Bush, der auch als Präsident lieber auf seiner Ranch in Texas als im Ausland urlaubte, brachte es 2010 zu einem tollen Rekord: Er nahm sich fünf Wochen frei. Maxi LeinkaufRRelevanz Achtung, Achtung! Haltet die Druckmaschinen an! Es gibt brisante Neuigkeiten aus Mecklenburg-Vorpommern. Ministerpräsident Erwin Sellering wird die Weihnachtsfeiertage zu Hause bei seiner Familie verbringen. Seine überraschende Erklärung: „Mein wichtigster Wunsch zu Weihnachten ist ein bisschen Ruhe und Erholung.“ Als ich im vergangenen Jahr genötigt wurde, diese Meldung zu schreiben, habe ich mich gefragt, ob die Welt das wirklich wissen muss. Wer sich für Politiker interessiert, will doch erfahren, welche Politik sie vertreten. Zu Urlauben befrage ich nur Freunde. FWSSee Hannelore Kohl wäre viel lieber ans Meer gefahren. Sie hasste die Urlaube am Wolfgangsee, wie sie einem späteren Biografen gestand. Doch ihr Mann bestand auf die vierwöchigen Aufenthalte in Österreich. Jahr für Jahr, von Beginn der Siebziger bis ins Jahr 2000. Helmut Kohl machte aus dem Ferienhaus in St. Gilgen für diese Zeit einen Ersatz-Regierungssitz mit Arbeitsstab – und prominenten Gästen. 1984 reiste Margaret Thatcher an, Bundesminister gingen ohnehin ein und aus. Die deutsche Politik und die Seen – diese merkwürdige Allianz zieht sich durch die gesamte Republiksgeschichte. Konrad Adenauer verlegte Bonn zweimal im Jahr an den Comer See. Ludwig Erhard hinterließ seine Rauchzeichen am Tegernsee. Und Kurt Georg Kiesinger rief die Granden der Großen Koalition regelmäßig im beschaulichen Dörfchen Kressbronn am Bodensee zusammen. Mit Blick aufs Wasser, weitab vom normalen Politikbetrieb, lässt sich offenbar entspannter debattieren und autonomer beschließen. Im „Kressbronner Kreis“ wurden etwa die Notstandsgesetze erörtert. Dafür brauchte es offenbar ein Wasser mit sichtbarer Begrenzung. Kein offenes Meer. MSSpion Nie war der Sommerurlaub eines deutschen Kanzlers so folgenschwer wie der Willy Brandts im norwegischen Hamar 1973. Brandt hatte während der Nazizeit in norwegischem Asyl gelebt, seine Frau Rut stammte aus Hamar, man fühlte sich wohl. Wäre nicht der persönliche Referent Günter Guillaume dabei gewesen, der ein Dreivierteljahr später öffentlich als DDR-Spion enttarnt wurde. Letztlich musste Brandt eingestehen, dass er schon vor Antritt der Reise über den Spionageverdacht informiert worden war. Die Reise als Grund für den Rücktrittsentschluss wurde damals in den Vordergrund gerückt, um von Gerüchten um Brandts Privatleben abzulenken. Bis heute ist nicht klar, wie viele Informationen Guillaume damals wirklich an die DDR weiterleitete. Überliefert ist aber, dass Brandt Guillaume nicht wirklich mochte und den Kanzleramtschef bereits beauftragt hatte, nach einer neuen Verwendung für den Referenten zu suchen. SHTTitanic Im Finanzkrisen-Sommer 2007 tat man als Politiker gut daran, sich bei der Wahl des Urlaubsortes bodenständig zu geben. Den Vorreiter dieses Trends machte das Satiremagazin Titanic ausfindig: Auf dem Cover der Juli-Ausgabe hechelte ein Dalmatiner mit orangefarbenen Schwimmflügeln an den Vorderläufen und gelber Sonnenbrille auf der Schnauze kokett vom gekachelten Beckenrand eines Freibads in die Kamera: „Hundespräsident Horst Köter macht’s vor: Urlaub in Deutschland“. Allein, die Welt ist nicht fair: Laut einer Emnid-Umfrage im Auftrag von Bunte wären die meisten Bundesbürger in jenem Jahr am liebsten mit Angela Merkel verreist. Horst Köhler verbrachte seine Ferien 2007 übrigens nicht in Badehosen – er wanderte in Osttirol. Christine KäppelerZZuhause Am 22. September ist Bundestagswahl, und da der Wahlkampf spätestens ab Mitte August in die heiße Endphase geht, haben viele deutsche Politiker sich entschlossen, dieses Jahr gar nicht zu verreisen. Sie machen Urlaub auf Balkonien, wobei davon auszugehen ist, dass es sich in den meisten Fällen um ein großzügiges Einfamilienhaus handelt. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will, bis auf einen kurzen Wahlkampf-Abstecher nach Bayern, wo schon am 15. September der Landtag gewählt wird, zu Hause in Bonn lesen, Fahrrad fahren und Familienfeiern wahrnehmen. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth erholt sich in Süddeutschland, und auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen bleibt im niedersächsischen Beinhorn. Wenn man bedenkt, dass sie alle sowieso das ganze Jahr unterwegs sind, erscheint es ganz entspannend, einfach mal ein paar Tage nur die Blumen zu gießen und im eigenen Bett zu schlafen. SH
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