A–Z Volkswagen

Brumm-Brumm Vor 75 Jahren legte Adolf Hitler den Grundstein für das Volkswagen-Stammwerk. Seitdem gelten die Autos aus Wolfsburg immer wieder als Symbol des Zeitgeists. Unser Lexikon
Ausgabe 21/2013

A

Auto, das Der Spruch ist natürlich eine Frechheit, aber er sitzt: „Volkswagen – Das Auto“ lautet seit 2007 der Konzernslogan. Er löste den faden Claim „Aus Liebe zum Automobil“ ab, der nach dem Eklat um mit Prostituierten bestochene Betriebsräte im Jahr 2005 eine ziemlich unappetitliche Note bekam. „Volkswagen – Das Auto“ ist wie eine Flagge auf dem Mond. VW erhebt damit einen Machtanspruch, der absolut ist und in dem die Konkurrenz nicht mehr vorkommt. Volkswagen, so der Subtext, braucht keinen einprägsamen Claim mehr, der die Marke bekannter macht und emotionalisiert – kein „Nichts ist unmöglich“ (Toyota) oder „Die tun was“ (Ford) mehr. Volkswagen sei wie Coca-Cola oder Tempo, sagte Konzernchef Martin Winterkorn damals in einem Interview: ein Gattungsbegriff. Mark Stöhr

B

Bulli T3 Der Gedanke an eine lange Fahrt Richtung Meer in einem älteren Bulli (der T3 wurde bis 1992 produziert) löst bei einigen Menschen ein sehr starkes Freiheitsgefühl aus. Ein kleines bisschen anders ist es, wenn man dann tatsächlich drin sitzt. Die Gedanken sind frei – allerdings nur mit einer ADACplus-Mitgliedschaft und einem großen Werkzeugkoffer an Bord. Dennoch: Außen ist der Bulli kaum größer als ein schnöder Kombi, innen kann man sich fühlen wie in einer Villa, morgens gibt es den Kaffee praktisch im Bett. Von Nerds gehegt, als Surfer-Bus beliebt, lässt es sich mit Heckantrieb herrlich durch die Landschaft zockeln und irgendwann irgendwo ankommen. Bulli-Fahrer auf der ganzen Welt grüßen sich, wenn sie sich auf der Straße sehen: „Uns gibt es noch“. Es wird sie weiter geben, denn selbst ein elektromagnetischer Anschlag könnte dem Bulli aufgrund seiner nicht existierenden Elektronik nichts anhaben. Oda Hassepass

G

Generation Golf Das Buch von Florian Illies ist nun zwölf Jahre alt. Hab’s sehr gerne gelesen damals, obwohl ich mich in dieser Generation nicht so recht wiedererkannt habe. Sie war mir zu wild, wollte die „bestehenden Verhältnisse“ ändern. „16 Jahre Kohl waren genug“, lautete noch einer ihrer harmloseren Slogans. In der Pädagogik hieß es Gudrun Pausewang hoch zwei. Das zeigte sich dann auch äußerlich mit Irokesenfrisuren zu Armani-Anzügen oder schweren Cowboystiefeln an zarten Frauenbeinen. Mir war das zu extrem, das konnte nur böse enden. „I saw the best minds of my generation destroyed by madness“, so fing Generation Golf ja auch an. Oder? Nun bin ich mir doch etwas unsicher, ist schon so lange her. Michael Angele

H

Hippies Schon in den fünfziger Jahren gingen die ersten Modelle des VW-Busses in Serie (Bulli). Schnell wurde der Kleintransporter nicht nur zum beliebtesten Reisemobil der Deutschen, sondern auch zu einem Symbol der Wirtschaftswunderjahre. In den Sechzigern und Siebzigern erfreute sich der VW-Bus großer Beliebtheit innerhalb der Hippiebewegung. Er wurde farbenfroh mit psychedelischen Mustern bemalt und ausgebaut, um damit nach Indien oder einfach nur zum nächsten Musikfestival zu reisen. The Who widmeten ihm 1971 den Song „Going mobile“. Der VW-Bus wurde eins mit der gesellschaftlichen Vorstellung vom fahrenden Hippie-Volk, dem Traum von grenzenloser Freiheit und Abenteuerlust. Das Management von Volkswagen befürchtete allerdings einen Imageverlust.

Mittlerweile ist der Kultstatus so manifestiert, dass VW zu Imagezwecken selbst zu alternden Hippies greift und sie in einem Werbespot auftreten lässt, um den VW Routan einzuführen. Nach dem Motto: Was gestern gut war, ist heute noch besser ... Sophia Hoffmann

K

KdF-Wagen Die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ versuchte sich in der Gleichschaltung der Freizeitgestaltung. Eines ihrer wichtigsten Projekte war der KdF-Wagen, aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg der VW Käfer hervorging. Für unter tausend Reichsmark sollte der Wagen für die Massen erschwinglich sein. Ab 1938 konnten Kaufwillige Sparmarken erwerben, bei Erreichen des Endpreises sollten diese gegen ein Fahrzeug eingetauscht werden. Die Sparer allerdings gingen allesamt leer aus, denn nach dem deutschen Überfall auf Polen wurde die zivile Pkw-Produktion am späteren Standort Wolfsburg dem Rüstungsbedarf angepasst. Afrikakorps, Behörden und Luftwaffe wurden mit dem Pkw für alle versorgt. Hitlers Versprechen erwies sich als Luftnummer. Die Anteilsscheine, über 300.000 Menschen hatten das Ansparen begonnen, verloren nach 1945 massiv an Wert. Allerdings wurden sie unter Abstrichen für den Kauf eines Käfers angerechnet. Tobias Prüwer

L

López-Effekt 1993 war kein gutes Jahr für Volkswagen. Fast zwei Milliarden Mark betrug der Verlust. Ferdinand Piëch sollte als neuer Vorstandsvorsitzender die Talfahrt stoppen. Und er landete gleich einen Coup: Er lotste den spanischen Manager José Ignacio López von GM zu VW und machte ihn zum Einkaufs- und Produktionschef. López galt als beinharter Sanierer. In seiner Zeit bei Opel hatte er sich den Beinamen „Der Würger von Rüsselsheim“ erworben. Ohne Kompromisse zwang er Zulieferer und eigene Werke, billiger zu produzieren. Man sprach vom „López-Effekt“, allerdings in zweierlei Hinsicht: Einerseits löste die Schockbehandlung tatsächlich verkrustete Strukturen. Andererseits litt die Qualität. Die Folge waren bessere Zahlen, aber auch Rückrufaktionen im großen Stil. So auch bei Volkswagen in den drei López-Jahren. MS

P

Porsche Die Geschichte von VW ist durch die komische Wechselbeziehung zu Porsche geprägt. An ihrem Anfang steht die Entwicklung des KdF-Wagens durch Ferdinand Porsche, der auch zur effizienten Produktionsorganisation des neu zu bauenden VW-Werks beitrug. Dieses stand unter der Leitung seines Schwiegersohns Anton Piëch, Vater des langjährigen VW-Aufsichtsrats Ferdinand Piëch, unter dem auch NS-Zwangarbeiter beschäftigt waren. Unter dem Vorwand, die Konzernleitung kriegsbedingt nach Zell am See zu verlegen, reiste Piëch im April 1945 mit zehn Millionen Reichsmark zum dortigen Anwesen der Familie Porsche. Dort wurde das Geld dann für die Finanzierung der Porsche KG benutzt, die aus Ferdinand Porsches Stuttgarter Konstruktionsbüro hervorging. Als sich Volkswagen also im vergangenen Jahr die Marke des Sportwagenherstellers einverleibte, konnte man das auch als späte Rache ansehen. TP

S

Sondereditionen Eines Abends, es war Mitte der Neunziger, fuhr sie mit dem neuen Wagen vor. Es war ein VW, und er sah aus wie ein VW. Meine Mutter trug eine rote Lederjacke und zeigte auf eine der Wagentüren. PF stand dort, ein weißes Logo. Pink Floyd. Welche Botschaft sollte das sein? Wish you were here? Meine Mutter strich die Haare zurück, setzte ihre Sonnenbrille auf, und wir drehten ein paar Runden um die Plattenbauten unseres Viertels. Das Audio-System solle besser sein bei diesen Musik-Modellen, erklärte mein Vater, aber das beschäftigte nur ihn. Ein Jahr später kam die Rolling-Stones-Collection auf den Markt, in den Voodoo-Lounge-Album-Farben Rot-Gelb. VW war der Sponsor der Tour. Kommerz statt Keith. Meine Mutter hatte da den Pink-Floyd-VW längst als „unerotisch“ abgestempelt und ging mit meinem Vater zum Stones-Konzert ins neurenovierte Olympiastadion. Maxi Leinkauf

Symbol „Er läuft und läuft und läuft.“ In den Werbekampagnen der Sechziger wurde der VW Käfer als Symbol des Fortschritts zelebriert. Unmittelbar in der Nachkriegszeit begann sein Erfolg und vermittelte den Deutschen: Es geht voran. Über Jahrzehnte war der Käfer mit mehr als 21 Millionen Stück das meistverkaufte Automobil der Welt und stand daher für persönlichen Wohlstand dank technischer Entwicklung. Kein Wunder, dass es ein VW Käfer ist, dessen Motor zu Beginn des Kraftwerk-Albums Autobahn aufheult.

Die E-Musiker der Band Welle erschufen 2011 auf ihrem Langspieler Die Wunderwelt der Technik geradezu eine Ode für den Käfer. Und selbst Woody Allen, nicht gerade als Optimist verschrien, erlag diesem Symbol. Im Film Der Schläfer dient ein 200 Jahre alter Käfer als Fluchtfahrzeug – er startet auf Anhieb. TP

W

Westauto Wenn die Westverwandtschaft keine Pakete packen wollte, konnte sie zu Zeiten des realexistierenden Sozialismus auch aus dem Katalog der Geschenkdienst- und Kleinexporte GmbH bestellen, kurz: GENEX. Wenn das Geschenk etwas größer sein durfte, konnte man sogar Pkws verschenken, auch Modelle von Ford, Volvo und natürlich VW. Beim Golf konnte man zwischen mehreren Typen und vier Farben wählen. Nur wenige Wochen nach der Bestellung stand der Wagen zur Abholung bereit – ein Traum von mobiler Freiheit, auch noch als der Neuwagengeruch verflogen war. Trotz farbiger Lackierung und 75 PS signalisierte der Golf ein gewisses Understatement, da der Wagen zwischen den hohen Dächern der Ostautos kaum zu sehen war. Irgendwann hätte man wohl vergessen, dass man in einem Westauto saß, wenn man nicht ab und zu mal wieder im Trabi mitgefahren wäre. Ulrike Bewer

Wolfsburg „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ sollte der urbane Aufwurf im östlichen Niedersachsen heißen, der nach dem Zweiten Weltkrieg auf Drängen der Alliierten in Wolfsburg umgetauft wurde. Als eine Art Eisenhüttenstadt der Nazis war die Stadt ganz dem Automobil gewidmet, denn die Stadtgründung erfolgte, weil hier 1938 das Volkswagenwerk für den KdF-Wagen entstand. „Golfsburg“ lautet ein inoffizieller Name der heute 220.000 Einwohner zählenden Stadt. Denn bis heute prägt der Autobauer deren Gesicht und Geschicke. VW ist Wolfsburgs größter Arbeitgeber und hat sich mit der zwischen City und VW-Werk angesiedelten „Autostadt“ einen eigenen Erlebnispark eingerichtet. Kunden können das Abholen ihres Neuwagens mit Emotionen à la Disneyland aufladen. Die Stadtverwaltung residiert konsequenterweise in der Porschestraße ( Porsche).

Seltsamerweise fehlt aber ein Auto im 1952 kreierten Wappen der Stadt. Dort steht ein Wolf auf den Zinnen einer Burg – Kraft durch Geheule? TP

Z

Zeitgeist Anfang der Nullerjahre benannte Florian Illies in seinem gleichnamigen Buch die Generation Golf, eine vom Konsum geprägte Generation, begrifflich festgemacht am Markennamen des beliebten VW-Modells. Heute würde das nicht mehr so funktionieren: Denn im Jahr 2013 haben Autos als identitätsstiftende Statussymbole ausgedient. Stattdessen bevorzugt der junge, kaufkräftige Deutsche alles, was einen angebissenen Apfel ziert: MacBook, IPod, Iphone und IPad. Sozial-mediale Vernetzung ist wichtiger als der eigene Schlitten.

Zur Fortbewegung dienen heute – zumindest beim urban-hippen Teil der Zielgruppe – das stylische Fixie-Fahrrad, umweltverträgliches Carsharing und Elektroautos, aber auch das alles andere als umweltverträgliche Billigfliegen. SH

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