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Justin Trudeau
Kanadischer Premier
Kanada gilt oft als bessere Version der USA – nicht so waffenvernarrt, mit funktionierender Sozialversicherung, kurz: europäischer und dennoch mit dem Charme eines Einwanderungslandes ohne allzu viel historischen Ballast. Der neue Premier Justin Trudeau gibt diesem positiven Bild einen weiteren Schub. Während sein konservativer Vorgänger kaum Flüchtlinge ins Land ließ, kündigte Trudeau gleich an, 25.000 Syrer aufzunehmen – und eilte zum Flughafen, um die ersten persönlich willkommen zu heißen. Und als der 43-Jährige gefragt wurde, warum er bei der Besetzung seines Kabinetts so sehr auf Geschlechtergerechtigkeit geachtet habe, antwortete er knapp: „Weil es 2015 ist.“ You are damn right, Mr. Prime Minister! Jan Paff

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Anja Reschke
Journalistin
Als sich im Januar die Befreiung von Auschwitz zum 70. Mal jährte und viele Deutsche fanden, es sei Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, sagte Anja Reschke in einem Kommentar in den Tagesthemen klipp und klar: „Dieser Teil unserer Geschichte ist in seiner Abartigkeit so einzigartig, dass er nicht vergessen werden kann.“ Als im Sommer Asylbewerberheime brannten und im Netz immer offener gegen Flüchtlinge gehetzt wurde, war es wieder Reschke, die das zur zweitbesten Sendezeit anprangerte und einen neuen Aufstand der Anständigen forderte. Wenige Wochen später wütete der Mob in Heidenau. Reschke wird uns 2016 noch viel öfter sagen müssen, was Sache ist. Christine Käppeler

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Christian Streich
Fußball-Coach
Gut, jeder, der ein bisschen den deutschen Fußball verfolgt, kennt den Trainer des SC Freiburg. Allein schon weil Christian Streich sich wunderbar am Spielfeldrand aufregen kann. Wenn man ihm und seinem Verein aber 2016 unbedingt den direkten Wiederaufstieg und damit noch viel mehr Aufmerksamkeit wünscht, hat das nicht nur etwas mit Sport zu tun. Erstens macht man beim SC die Sachen grundsätzlich gern etwas anders als bei den hyperkapitalisierten Konkurrenten. Und zweitens sind Streichs Pressekonferenzen in breitem Alemannisch immer auch Exkurse ins Allgemeingesellschaftliche, durchdrängt von tiefer Lebensweisheit. So erinnerte er in der Flüchtlingsdebatte mal kurz an die deutsche Geschichte: „Wir waren alle mal Flüchtlinge.“ Jan Pfaff
Till van Treeck
Sozialökonom
Deutschlands Ökonomen stecken in der Vergangenheit fest, reden der zerstörerischen Sparpolitik das Wort und bedienen nur Interessen Vermögender? Nicht Till van Treeck, Jahrgang 1980, Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Ungleichheit, Wirtschaftspolitik und ökonomische Bildung sind seine Themen. In einem Fach, dessen Mainstream Modelle von effizienten Märkten und nutzenoptimierenden Individuen bastelt, hat van Treeck sich das keynesianische Rüstzeug durch ein Studium in Frankreich geholt. Er besitzt Charisma und ist anschlussfähig. Daher sollte er schleunigst in den neoliberal dominierten Rat der Wirtschaftsweisen berufen werden. Sebastian Puschner

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Ska Keller
EU-Politikerin
Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa? Nee, bei Ska Keller ist das anders: Mit 27 Jahren wurde die Grüne 2009 ins Europäische Parlament gewählt und suchte sich gleich die Themen, die heute die Agenda bestimmen: Flüchtlinge und Freihandel. In Brüssel gehört Keller mittlerweile zu den einflussreichsten Politikerinnen. Sie ist migrations- und handelspolitische Sprecherin der Fraktion, kämpft gegen Frontex und TTIP. Sie wurde zur Berichterstatterin für den Flüchtlingsverteilungsschlüssel gewählt und vertrat das Parlament in Verhandlungen mit Kommission und Mitgliedsstaaten. Dabei achtet sie darauf, dass die Interessen der Flüchtlinge berücksichtigt werden. Auch 2016 ist das dringend nötig. Felix Werdermann
Bryan Stevenson
US-Bürgerrechtler
Wenn er seine Arbeit erläutert, spricht Bryan Stevenson oft über die US-Geschichte. Der Jurist verteidigt Angeklagte von ganz unten, viele sehr jung, viele Afroamerikaner. Der Weg zu Gerechtigkeit führe über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, betont der 56-jährige Chef der NGO „Equal Justice Initiative“ in Alabama. Das weiße Überlegenheitsdenken sitze als Folge der Sklaverei noch heute tief, sagt Stevenson. Besonders in der Justiz und im Strafvollzug. In manchen Innenstädten ist fast die Hälfte der jungen Afroamerikaner vorbestraft oder im Gefängnis. Was Stevenson vorschwebt, ist eine Art „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ zu den Auswirkungen der Sklaverei auf das Heute. Konrad Ege
Straßengezwitscher
Twitter-Duo
„Reportagen und Liveticker von dort, wo es brennt“ – darum geht es bei dem Twitter-Projekt Straßengezwitscher (@streetcoverage) von Johannes Filous und Alexej Hock, zwei jungen Männern aus Dresden. Sie verbreiten in 140-Zeichen-Nachrichten, was sie sehen, hören, erleben, wenn sie dorthin gehen, wo sich manche Journalisten nicht mehr hintrauen. Dorthin, wo Rassisten gegen Geflüchtete wüten – in Freital, Heidenau, bei Pegida. Mehr als 9.000 Menschen folgen den Echtzeitnachrichten. Von rechten Drohungen lassen sich die zwei nicht abschrecken. Eigentlich sollte man hoffen, dass sie künftig keine größere Rolle mehr spielen müssten. Doch solange ständig Flüchtlingsunterkünfte brennen, gilt es: hinschauen und den Mund aufmachen! Felix Werdermann
Fiona Brunk
Schulgründerin
Sie saß in der Schule in Ostafrika und wusste nicht mehr wozu. Ein Drittel der Menschen hier sind Analphabeten. Der ideale Ort, um Entwicklungshilfe zu leisten. Dachte sich Finona Brunk, 34, Doktorin der Mathematik. Bis ein Lehrer zu ihr sagte: „Bei euch im reichen Deutschland ist das bestimmt ganz anders.“ In diesem Moment beschloss sie zurückzugehen. Nach Berlin-Wedding, wo sechs von zehn Drittklässlern nicht richtig lesen können. Hier gründete sie die Quinoa-Schule, eine Privatschule. 24 Kinder fingen im August 2014 an. Aber nur drei mussten zahlen, bei den anderen verdienten die Eltern zu wenig. Quinoa ist die erste Privatschule für Arme. Jeder, der ausgewählt wird, darf Schüler sein. Ein Beispiel, das Schule machen könnte. Christian Füller
Büşra Atmaca
Theater-Enthusiastin
Büşra Atmaca spielt auf der Bühne frech, dominant, selbstbewusst. In einem Drama über den Arabischen Frühling und revoltierende Jugendliche in Kreuzberg hatte die 18-Jährige ihre erste große Rolle. Auch bei der Stückentwicklung war sie beteiligt. Das Stück 90/60/90 Rollenscheiß über Geschlechterrollen beginnt mit einem Furz von ihr. Atmacas Ensemble des Theater X aus Berlin-Moabit tourte damit und gewann Preise. Atmacas Stärken sind ihre Verwandlungsgabe und der Mut, sich auch hässlich zu zeigen. Ihr Kopftuch nimmt sie nie ab. Auf eine Dauerbesetzung als stereotype Muslima hat sie aber keine Lust. Bleibt zu hoffen, dass sie noch viele verschiedene Rollen findet. Kerstin Ewald

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Bodo Ramelow
Rot-Rot-Grün-Vorreiter
Man kann ja verstehen, dass sich Bodo Ramelow nach seinem Regierungsantritt vor einem Jahr zunächst darum kümmern musste, seinen Laden auf Trab zu bringen. Aber dass man jenseits der Thüringer Landesgrenzen seitdem kaum etwas von ihm gehört hat, ist schon schräg. Schließlich ist seine rot-rot-grüne Koalition die erste der Republik und steht für ein Projekt, das eine neue Machtperspektive eröffnet. Nicht nur in den Ländern, auch im Bund. Ramelow macht mit seiner Truppe und deren erfolgreicher Arbeit ja vor, dass es geht. Deshalb kann man sich mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 nur wünschen: Lieber Herr Ramelow, seien Sie in Zukunft nicht mehr so zurückhaltend! Philip Grassmann
Sama Maani
Religionskritiker
„Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun!“ – „Den Islam gibt es nicht.“ Unser Reden über den Islam steckt voller Abwehrmechanismen. Wenn ein Psychoanalytiker das sagt, sollte man da vielleicht genauer hinhören. Sama Maani sagt das. Als Kind iranischer Eltern in Graz aufgewachsen, lehrt er in Österreich. Sein Buch Respektverweigerung (Drava) ist kein Elaborat eines Islamphobikers, sondern eines Aufklärers, den die neue Heiligsprechung der Religionen in unserer postreligiösen Gesellschaft fasziniert und der „kulturelle Rassismus“ der Wohlmeinenden abstößt. Die Psychoanalyse ist ja fast verstummt heute. Gut, dass es einen wie Sama Maani gibt. Sein nächstes Buch gehört in die Bestenliste. Michael Angele
Schnipo Schranke
Musikerinnen
Das Jugendmagazin Bento hat diese Woche eruiert, wonach wir untenrum schmecken. Illustriert war der Text mit einem Strauß aus Blumen, Fischen und Lauch. Dabei haben Schnipo Schranke die Frage längst beantwortet: nach Pisse. Das Album Satt, das Daniela Reis und Friederike Ernst im Sommer veröffentlichten, ist mindestens so wichtig wie die erste Staffel der TV-Serie Girls, weil Schnipo Schranke nichts zu peinlich ist, um einen Song darüber zu machen. „Karriereziel Matratze“, behaupten die beiden – was man ernst nehmen muss, wie alles, was sie singen, auch wenn es wohl gelogen ist. Hoffentlich. Christine Käppeler
Illustrationen zu dieser Ausgabe
Die Bilder der Ausgabe sind illustrierte Zukunftsvisionen von Klaus Bürgle aus dem letzten Jahrhundert: „90 Prozent waren Forscherwissen, das andere Fantasie und Konstruktion.“ Mehr über den extraterrestrischen Grafiker erfahren Sie im Beitrag von Christine Käppeler
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