Ein paar Wochen ohne Handy sein? Für manchen geht da ein Traum in Erfüllung. Diesen Luxus bietet derzeit das fest in deutscher Hand befindliche Alternativ-Urlaubs-Eldorado Valle Gran Rey auf Gomera. Militante Elektrosmog-Gegner haben den Mobilfunk-Mast so oft beschädigt, dass die Betreiberfirma sich weigert, das Ding zu reparieren. Die Maßnahme könnte von der hippiesken Kurverwaltung initiiert worden sein, wenn es sie denn gäbe. Aber hier funktioniert alles nach dem Prinzip der Selbstorganisation. Zum Beispiel das Umziehen.
Wer nicht gebucht hat, und das tun bei der Light-Variante des Do-It-Yourself-Urlaubs die wenigsten, findet ein Apartment für zwei dann für drei Tage. Vier mal umziehen in zehn Tagen? Kein Problem. Da lernt man Land und Leute kennen. Etwa den 85jährigen Don Pedro, der ständig in atemberaubender Lautstärke die Glotze laufen lässt und den Eindruck vermittelt, als wäre er schon zu Francos Zeiten Quartiermeister gewesen. Zur Siesta sitzt er mit versonnenem Blick unter einem Bouganvillestrauch und hört das Taschenradio in der Hand schmissigen Merengue. Oder man begegnet dem jungen, schmerbäuchigen Carlos, der mit einem jovialen „Hola, Señor“ auf den Lippen im knallorangen Van-Nistelrooy-T-Shirt das Treppenhaus rauf- und runterrast. Auf seiner Dachterrasse gibt es eines der wenigen Nicht-Funklöcher, das den ordnungspolitischen Maßnahmen der Anti-Elektrosmog-Hippies in ihrem Kampf um den hiesigen Funkwellen-Luftraum entgangen ist.
Die Freaks sitzen derweil am Strand und klampfen mit Flötenunterstützung Simon-And-Garfunkel-Songs. Die Crowd reicht von der gediegen in leuchtendes Weiß gekleideten Hamburger Personal-Control-Managerin aus einem börsennotierten Kreativ-Unternehmen über den subkulturell authentisch wirkenden Drogenberater aus Brunsbüttel bis zum früher mal linken Münchner Steueranwalt mit 70er-Jahre-Tolle. Das ganze konsumorientierte Friede-Freude-Eierkuchen-Getue kann nicht über das geschlossene kapitalistische Weltbild hinwegtäuschen, unter dem diese notorisch gut gelaunten Langhaar-Macker und die hyper-feminin gekleideten Frauen leiden. Aber es kommt noch schlimmer.
Konsumfreude der Alternativ-Touristen
In einer Kneipe hörte ich kürzlich jemanden am Nebentisch mit bedeutungsvoller Stimme erzählen, dass er heute „Karten gelegt“ habe und zwar das Keltenkreuz. Und bei größter Hitze in der Mittagszeit sitzt vor dem kleinen Dorfsupermarkt eine „Ave Maria“ singende Hippiefrau und röhrt jedem Vorbeikommenden entrückt ihre fundamentalistisch-katholische Patchuli-Esoterik entgegen. Die Konsumfreude der Alternativ-Touristen – vor Alkoholgehalt fast blind machende Caipirinhas in der von deutschen prekarisierten Party-People betriebenen Szenegastronomie - und der fortwährende Rückgriff auf revanchistische Kulturversatzstücke wird nur von den Leistungsschwaben getoppt, die in High-End-Wanderkleidung mit dem Tornister auf dem Rücken den Steilhang hinauf rasen.
Den Höhepunkt des Tages bildet das Sonnenuntergangs-Trommeln an einem Strandabschnitt im playmobilartigen Ortsteil Playa, dessen Leerstand die hiesige Immobilienkrise noch mal fesch in Szene setzt. Spätestens wer hier die in wallende Schlaghosen gekleideten und glücklich in den Postkarten-Sonnenuntergangs-Himmel lächelnden Freaks sieht, während einige Chef-Hippies auf dem Niveau eines Percussion-Anfänger-Workshops der Bochumer Volkshochschule in die Felle hauen, muss zum anti-deutschen Hippiehasser werden. Aber was soll's! Auf Gomera ist es gute 25 Grad wärmer als in Berlin. Und außerdem klingelt hier wochenlang kein Handy.
Kommentare 8
Gute Glosse - leider verkürzt und irreführend.
Zunächst gibt es dort schon längst keine Hippies mehr, sondern vielleicht solche, die sich dafür halten, weil sie die Haare länger und bunte Kleidung tragen. Denn da sie, wie richtig dargestellt, kapitalistisch funktionieren, können sie keine Hippies sein.
Die früheren Hippies bewohnten die "Playa Arenas" (sog. Schweinebucht), etwas südlich vom Hafen; um dahin zu kommen, muß man über felsiges Terrain.
Der Ortsteil Playa ist inzwischen an der Strandpromenade boulevardisiert und die Legende "Casa Maria", wo der Sonnenuntergang zelebriert wird, ist nach dem Tode von Maria auch nicht mehr das, was es mal war.
So richtig deutsch wird es aber in den Ortsteilen Puntilla und Vueltas, wo sich inzwischen seit einiger Zeit auch entsprechendes Publikum eingefunden hat, denn früher kam man mit der Fähre von Teneriffa nur nach San Sebastian, wo man dann mit dem Bus zum Valle fuhr. Nur wenn der Abflug von Deutschland nach Teneriffa am frühen Tag gewesen ist, hatte man die Chance, am gleichen Tag dort zu sein. Es sind in Vueltas sehr viele deutsche Rentner mit einer wie inzwischen fast überall auf den Inseln entsprechenden Weltanschauung. In Vueltas gibt es jetzt mehrfach Currywurst, usw.. In der Tat, alles in deutscher Hand.
Am besten, man sucht sich etwas im Ortsteil La Calera. Da ist es noch ruhig, besonders, wenn man wandern will, ist man hier richtig. Leider gibt es auch hier die Traditionsrestaurants "Descansillo" und "La Orquidea" mit Ausblick aufs Meer nicht mehr.
Positiv ist im Valle Gran Rey, das nicht hoch gebaut werden darf, sodaß keine Wohnmaschinen wie andernorts entstehen.
Leider konnte nicht verhindert werden, daß die Fähren bis zum Hafen fahren. Naja, "Fred Olsen" ist nun mal der ungekrönte König von La Gomera. Ihm gehören Fähren, Hotels und andere Immobilien.
Herrlich. Schon lange nicht mehr so geschmunzelt hier :-)
Na, da hat sich ja seit den Siebzigern des letzten Jahrhunderts gottseidank nicht so richtig viel verändert. Weil ein damals auffällig steigender Drogenkonsum in diesem Beitrag keine Erwähnung findet, scheint sich ja zumindest dieses nervige Problem erledigt zu haben ;-)
@Meyko:
Doch, doch. Da hat sich schon im Vergleich zu den den 90ern sehr viel verändert.
Da die Fähre hier anlegt, kommt halt jeder. Die Rentner kamen eben früher nur bis nach Teneriffa.
Hier sind bestimmte Leute unter sich. Da können sie sagen, was sie denken, gell...
Auch die Straße waren nicht befahrbar, weil es überwiegend nur Schotterwege gab.
Letztlich werden diese Inseln doch alle kaputt gemacht.
Ich kann es von Gomera nicht sagen, da war ich nur zwei Mal, aber auf Lanzarote verläuft es ähnlich. Mindestens die Hälfte der Insel ist schon in deutscher Hand und selbst die ehemaligen aus Deutschland Ausgewanderten wenden sich angewiedert ab und wollen mit ihren Landsleuten nix zu tun haben.
@Exilant:
Sie haben sicherlich recht. Auch Gomera wird nach und nach "erobert".
Ich habe in den siebziger und achtziger Jahren einige Monate in Valle gelebt und könnte mit wenigen Zitaten aus der obigen Glosse meine damaligen Aufenthalte im „Alternativ-Urlaubs-Eldorado Valle Gran Rey auf Gomera“ relativ gut beschreiben. Drum kam ich auf „nicht so richtig viel verändert“.
Eine Zitatauswahl:
„Wer nicht gebucht hat, und das tun bei der Light-Variante des Do-It-Yourself-Urlaubs die wenigsten, findet ein Apartment für zwei dann für drei Tage. Viermal umziehen in zehn Tagen? Kein Problem.“
„Die Freaks sitzen am Strand und klampfen mit Flötenunterstützung Simon-And-Garfunkel-Songs.“
„… die fundamentalistisch-katholische Patchuli-Esoterik…
„…in den Postkarten-Sonnenuntergangs-Himmel lächelnden Freaks…“
„Auf Gomera ist es gute 25 Grad wärmer als in Berlin.“
Aus dem damaligen, hochdosierten „Tequila-Sunrise“ wurde allerdings mittlerweile wohl „der fast blind machende Caipirinha“, usw.
Seinerzeit waren es überwiegend die fünfzig- bis siebzigjährigen „Neckermannurlauber“, die sich verständnislos oder auch leicht überheblich zu diesen „Rucksacktouristen“ äußerten, die damals vorwiegend aus England, den Niederlanden und Deutschland kamen. Ich habe dort zudem sehr nette Kanadier, Franzosen und Amerikaner kennengelernt. Da hat sich, zumindest laut Glosse, wohl allerhand verändert…
"...die fünfzig- bis siebzigjährigen Neckermannurlauber..."
Wo sollten denn die herkommen - mit mindestens 12 Std. ab Abflug bis Ankunft - und Hotels gab es auch nur ein oder zwei.
Dort waren eben nur eine bestimmte Sorte von Leuten, die ganz gezielt hierher kamen, weil sie keinen "Neckermann-Urlaub" machen wollten.
In den Winterferien sehr viele Lehrer, die aufgrund der Entwicklung auch nicht mehr kommen.
Nee, nee.
Ja, ja die Lehrer...