Je mehr Abgeordnete man fragt, desto absurder wird diese Geschichte. Öffnet sich die Mauer gegen die PDS? Gibt es zaghafte Vorboten eines crossovers? Die PDS meint: ja, eindeutig. Die unterschiedlichen Äußerungen von SPD und Grüne kann man zum "jain" bündeln. Bei der CDU klingt aus mehreren Kehlen unisono und unmissverständlich "nein". Paradoxerweise haben alle recht.
Die Geschichte beginnt mit einer Pressemitteilung von Christa Luft (PDS): "Gewachsene Kraft der PDS spiegelt sich im Haushalt wieder". Verwunderlich, stellt doch die PDS die kleinste Fraktion und ist noch dazu in der Opposition. - Nein, an diese Sache solle man besser nicht rühren, rät Antje Hermenau, für die Grünen nun im sechsten Jahr Mitglied des Haushaltsausschusses. Zu gro
es. Zu groß sei die Gefahr, dass eine konstruktive Arbeitsebene parteipolitisiert werde, auf der immerhin Entscheidungen zur Sache über Fraktionsgrenzen hinweg möglich seien. Insbesondere eine kleine Oppositionspartei solle diese nahezu einzige Möglichkeit, konkret Politik zu machen, nicht aus Imagegründen aufs Spiel setzen. - Droht diese Geschichte - aufgeschrieben - zum "Es war einmal ..." zu werden?Der Hintergrund: Über den Haushalt wird nacheinander auf drei Ebenen beraten: Berichterstattertreffen, Haushaltsausschuss, Bundestag. Die einzige Ebene, auf der auch die Abgeordneten der Opposition mit etwas Aussicht auf Erfolg selbst initiativ und konstruktiv arbeiten können, sind die Vorbereitungsgespräche der Berichterstatter. Jede Fraktion schickt einen Vertreter dorthin. Die Einzelpläne (Haushalte der einzelnen Ressorts) werden gesondert im jeweiligen Ministerium mit Fachbeamten diskutiert.Es treffen sich also fünf Parlamentarier, wobei die beiden Koalitionsvertreter die anderen drei überstimmen können. Manchmal werden in einem Gruppenprozess ad hoc neue Lösungen für ein Problem gesucht. Wenn sich die kleine Gruppe erstmal menschlich-politisch kennengelernt hat, zählt in dieser Runde insbesondere der Sachverstand. Die Haushälter betonen über Parteigrenzen hinweg ihr besonderes "überideologisches" Selbstverständnis, sie seien Pragmatiker, zu gemeinsamen Lösungen fähig. Häufiger einigen sich auch tatsächlich alle fünf Berichterstatter auf einen Antrag, jüngst beispielsweise in Bezug auf den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) und bei der Förderung der Entwicklungszusammenarbeit der Kirchen. 90 Prozent aller Fragen werden bereits auf der Ebene der Berichterstatter geklärt.Der unausgesprochene Deal der Haushälter besteht darin, dass die Regierungsfraktionen gute Vorschläge kleiner politischer Gegner aufnehmen, sie aber über einen ungeschriebenen Kodex dazu verpflichten, den Mund zu halten. Wenn keiner der Berichterstatter Widerspruch eingelegt hat, wird der Antrag im Haushaltsausschuss, der ersten "politischen" Bühne, so die Terminologie der Haushälter, als Vorschlag der Berichterstattergruppe präsentiert. Der Haushaltsausschuss tagt zwar auch noch nichtöffentlich, ist aber schon sehr viel stärker von Parteipolitik instrumentalisiert. Und im Bundestag, unter dem Licht der Fernsehkameras, ist es für eine kleine Oppositionsfraktion wie ehemals die Grünen oder heute PDS und FDP vollends unmöglich, gegen die anderen Fraktionen etwas durchzusetzen.Auf der Ebene der Berichterstatter ist Christa Luft, ehemals Professorin für Ökonomie und Wirtschaftsministerin der DDR, erfolgreich: Sie findet politische Schwachstellen des Haushalts - beispielsweise den Umstand, dass zwar etliche Initiativen und Selbsthilfeorganisationen über das Ministerium für Arbeit und Soziales gefördert werden, aber keine Arbeitsloseninitiativen. Also formulierte Luft einen Antrag, die zur Linken der SPD gehörende Konstanze Wegner und Antje Hermenau signalisierten Unterstützung. 50.000 Mark sei nun für die Arbeitsloseninitiativen veranschlagt, nicht viel, aber es entspreche der Förderung anderer Organisationen. Vor allem werde es ein Politikum, wollte irgendwer irgendwann diese Förderung wieder streichen. Oder: Die Mittel für innovative Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sollten gestrichen werden, nachdem CDU-Abgeordnete diesen Topf in der Vergangenheit gezielt ihren Wahlkreisen zugutekommen ließen. Christa Luft setzte sich für den Erhalt und für zweckgebundene Verwendung ein, die SPD-Berichterstatterin erreichte dann sogar eine Aufstockung.Christa Luft erklärt sich solche zunehmend gelingenden Kooperationen auch damit, dass die anderen Parteien nach dem 98er Wahlergebnis nicht mehr behaupten könnten, die PDS werde ohnehin bald aus dem Parlament verschwinden, deshalb brauche man sich auch nicht ernsthaft mit ihr abzugeben. Antje Hermenau dagegen antwortet auf die Frage, ob dies Ergebnis größerer Akzeptanz der PDS sei, mit einer Gegenfrage: Sei es nicht mehr der Kompetenz von Christa Luft geschuldet? Im übrigen hätten auch die Grünen aus der Opposition heraus Erfolge auf der Berichterstatterebene gehabt, so ungewöhnlich sei das nun auch nicht. Aber um die weitere Zusammenarbeit nicht zu gefährden, schweige man besser. So habe sie das damals, zu Beginn ihrer Abgeordnetenzeit, als sie noch in der Opposition war, auch ihrem Wahlkreis erklärt. Die empörte Reaktion der sächsischen Grünen hat sie noch im Ohr: "Dann weiß ja keiner, dass du das warst!"Die Situation kleiner Oppositionsparteien wie heute der PDS, früher der Grünen, und insbesondere ihrer Abgeordneten ist äußerst misslich: Vor den Medien werden sie bei Redeschlachten im Parlament an die Wand gedrängt, häufig diffamiert und scheinen nahezu einflusslos. Inoffiziell können manche Abgeordnete aber sogar erfolgreich im Konsens mit Kollegen anderer Fraktionen ihre Ideen in Regierungshandeln umsetzen, ohne selbst in der Exekutive zu sein - müssen dafür aber der eigenen, nach Erfolgsmeldungen gierenden Partei trotzen und ihr Licht unter den Scheffel stellen. Vor dem Wähler bleiben sie nackt. Im Extremfall schmückt sich nachher sogar der politische Gegner mit den fremden Federn vor den Wählern. Womöglich findet der eine Bürger oder die andere Bürgerin diese einzelne Maßnahme der Regierung so gut, dass sie beim nächsten Mal die Koalition wählen. Die Mediendemokratie ist unerbittlich: Erfolgreich ist nur, wer seine Beute vor die Kameras hängen kann.So ist die Pressemitteilung Christa Lufts erklärlich: In den "Beschlussempfehlungen des Haushaltsausschusses (werden) mehr als 20 PDS-Vorschläge berücksichtigt", zum Beispiel die Förderung von Arbeitsloseninitiativen, 82 Millionen für innovative Wege der Arbeitsmarktpolitik, 20 Millionen für Friedens- und Konfliktforschung, Mehreinnahmen von 100 Millionen Mark aus Kartellverfahren, der Verkauf der Bundesrohölreserve (630 Millionen Mark).Karl Diller, haushaltspolitisches Schwergewicht der SPD und inzwischen Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, bewertet Christa Lufts Erfolgsmeldung als "Unfug", als "Versuch, aus etwas Honig zu saugen". "Was hat sie denn durchbekommen? Es hat verschiedene Anträge gegeben, manche sind deckungsgleich." Allerdings will er die Arbeit von Christa Luft dann doch nicht als Aufspringen auf einen fahrenden Zug interpretiert wissen.Dietrich Austermann, für die CDU im Haushaltsausschuss, kommentiert die Erfolgsmeldung der PDS so: "Das ist ja zum Totlachen. Rot-Grün hat sich in allem rigoros durchgesetzt. Vielleicht hat die PDS ähnliche Anträge vorgestellt. Aber in einer Demokratie entscheidet die Mehrheit." Allerdings beobachte die CDU/CSU, dass die neue Koalition und die PDS mitunter im Haushaltsausschuss gemeinsam stimmten; das werde dann immer mit höhnischem Gelächter quittiert.Auch Austermanns Parteifreund Dankward Buwitt will von keinem Antrag der PDS wissen, der ausreichende Zustimmung bekommen habe. Da der Antrag zur Förderung der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung aber definitiv nur von der PDS gestellt wurde, lenkt er schließlich auf den pragmatischen Satz ein, die CDU respektiere selbstverständlich die Grundsatzentscheidung, politische Stiftungen zu fördern. - Das allerdings war nicht immer so.Das Klima hat sich leicht geändert und manches klingt im Wandel der Zeiten geradezu kurios. Christa Luft erklärt, sie habe als erste 1995 die Bundesrohölreserve, die sich die Bundesrepublik während der Ölkrise einbunkerte, als überflüssig identifiziert und den Verkauf vorgeschlagen, um den Erlös für Jugendausbildungsprogramme zu verwenden. Dankward Buwitt, CDU, hingegen sieht sich selbst als Erfinder dieser Einnahmequelle. Weitere Recherchen bei verschiedenen Haushältern kristallisieren schließlich heraus, dass wohl doch Luft recht hat. Sie konnte mit dieser Idee aber nicht direkt und vor allem nicht persönlich reüssieren. Günstig erwies sich allerdings der Umstand, dass in der vergangenen Legislaturperiode mit Manfred Hampel (SPD), Antje Hermenau (Grüne) und eben Christa Luft (PDS) erstmals drei Parlamentarier aus dem Osten in der Berichterstattergruppe zusammentrafen. Ihnen gelang es in beharrlichen Gesprächen, den westdeutschen Kollegen ihre Urängste aus der Zeit der Ölkrise zu nehmen. So dass am Ende Einigkeit herrschte - und in Vergessenheit geriet, wer zuerst diese Idee hatte, die Dietrich Austermann 1995 noch mit der Entgegnung bedachte, das sei "nun wirklich typisch PDS": Erst hätten die Sozialisten die DDR wirtschaftlich ruiniert, und nun wollten sie die Sicherheit der BRD untergraben. Zwei Jahre später entdeckte der von Finanznöten geplagte Theo Waigel die Bundesrohölreserve als gefundenes Fressen - der glücklosere Guido Westerwelle fand damals zum Veräußern bloß die weniger lukrative Bundeserbsenreserve. Austermann jedenfalls, von Beruf Rechtsanwalt, inzwischen Befürworter des Verkaufs, bewies immerhin so viel Rückgrat, seinen ideologischen Ausrutscher von damals bei Nachfrage nicht zu leugnen.Interessant sind die Positionswechsel der alten Koalition. Christa Lufts aktuelles Projekt ist es, die Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen zu reduzierten (der letzte Tagesordnungspunkt der Bundestagssitzung am 20. Januar). Das würde Anreize fürs Reparaturgewerbe geben - damit Ressourcen schonen und gleichzeitig dezentral Arbeitsplätze schaffen - und zugleich Schwarzarbeit unattraktiver machen. Helmut Kohls Koalition hat dies bereits einmal vehement zurückgewiesen. Jetzt in der Opposition will aber die CSU die Mehrwertsteuer für das in Bayern wichtige Beherbungsgewerbe reduzieren. Inhaltlich stehen sich hier also PDS und CSU sehr nahe. Trotzdem ist fraglich, dass dies in nächster Zeit zum Wohle der Bürger zu einer Allianz der laut Selbstaussage unideologischen Haushälter führen könnte.Doch auch die neue Koalition hat, so Luft, flugs die Grabenseite gewechselt. Die Befürworter der Ökosteuer lehnten den PDS-Antrag zur Beendigung der Steuerbefreiung für Flugbenzin (vermutete Einnahmen: eine halbe Million Mark) im Namen der Lufthansa ab. De facto müsste diese Steuer aber jede Fluggesellschaft zahlen, die hier auftankt, und nur wegen der Steuer würde Deutschland kaum zum luftverkehrsfreien Raum.Im Bundestag haben die Initiativen der Kleinen keine Aussicht auf Erfolg. Sie dort zu thematisieren lohnt nur, wenn die Medien das Thema aufgreifen. Wenig wahrscheinlich, zumal es eine Spezialität der großen Fraktionen ist, die Anträge der kleinen in der Tagesordnung auf mitternächtliche Stunden zu legen. Umso größer der Druck auf die Abgeordneten, Erfolge vorzuweisen - auch wenn das vielleicht künftig Erfolge kosten kann.
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