Aber Jeff Bezos ist im All

USA Wie steht es um den großen Aufbruch, den Alexandria Ocasio-Cortez’ Green New Deal vor zwei Jahren versprach?
Ausgabe 31/2021

Die Nachrichtenseite The Intercept – für die ich als Kolumnistin schreibe – veröffentlichte 2019 ein siebenminütiges Video mit dem Titel Eine Botschaft aus der Zukunft, mit Alexandria Ocasio-Cortez. Es handelte sich um einen Kurzfilm mit Illustrationen der Künstlerin Molly Crapabble und einer Erzählung von AOC, der bekanntesten Politikerin der Democratic Socialists, der eine utopische Zukunft in gerade einmal 20 Jahren beschrieb.

AOCs gezeichnetes Alter Ego sitzt im Jahr 2039 in einem Hochgeschwindigkeitszug von New York nach Washington D.C. (so ein Verkehrsmittel existiert bislang nicht). Sie schwärmt nostalgisch davon, was geschah, nachdem sie und ihre Kolleg*innen im Jahr 2019 den Green New Deal vorgestellt und die Demokraten im darauffolgenden Jahr das Weiße Haus und die Mehrheit im Senat zurückgewonnen hatten – was dann ja wirklich so kam: Eine mutige Gesetzgebung entwöhnte die USA rasch von den fossilen Brennstoffen und führte sie in eine Zukunft, in der Klimagerechtigkeit sowie soziale und ökonomische Gerechtigkeit herrschen und es keine rassistische Diskriminierung mehr gibt. In dieser fiktiven Zukunft rekapituliert AOC, wie beherzte staatliche Investitionen und ein elanvoller politischer Wille den Übergang in eine grüne Wirtschaft gewährleisteten, mit einer Krankenversicherung für alle, staatlichen Jobgarantien, Respekt gegenüber indigenen Wissenssystemen, Arbeitnehmerrechten; eine Welt, in der sich menschliches und nichtmenschliches Leben entfalten kann.

Heute? Brennt die Welt

Das Video sollte eher der Inspiration dienen als eine Vorhersage treffen. Mir kam der Optimismus damals realitätsfremd vor, gleichzeitig reichte mir die Utopie nicht weit genug. Dieser Widerspruch wohnt den meisten Green-New-Deal-Vorhaben inne, die außerordentliche sozio-ökonomische und politische Veränderungen voraussetzen, aber auf die aktuellen kapitalistischen und nationalstaatlichen Strukturen angewiesen sind, um sie umzusetzen.

AOCs Erzählung geht auf den Kapitalismus nicht weiter ein, und selbst in diesem Traumbild von 2039 geht alle Macht vom Kapitolshügel in Washington D.C. aus. Unerwähnt bleiben auch die Kosten für Mensch und Umwelt, die das Schürfen von Indium, Neodym und Lithium verursacht – den Mineralien, die benötigt werden, um die vermeintlich grüne Energie zu produzieren, die für die Abkehr von der Kohle notwendig ist. Kein Wort dazu, dass der kapitalistische Wachstumszwang mit dem Erhalt oder besser noch einer positiven Entwicklung des Klimas unvereinbar ist. Wie es der Theoretiker Jasper Bernes in seiner Kritik der Grenzen des Green New Deal formulierte, „wir können nicht alles beim Alten lassen und alles ändern“.

Und dennoch tut es weh, das Video zwei Jahre später wieder anzusehen. Nicht einmal die bescheidenste Version des Green New Deal – ein zaghafter klimaorientierter Keynesianismus – ist noch auf dem Tisch. Der Green New Deal von 2019, der kein Gesetzesvorhaben, sondern ein Bündel an nicht-verbindlichen Vorschlägen zur Reduktion von Treibhausgasen war, schaffte es nicht durch den Senat. Er besteht als konzeptionelles Gerüst fort, das sich aus vernünftigen Ideen für Investitionen in grüne Energien, nachhaltige Infrastruktur und die Care-Ökonomie zusammensetzt. Trotzdem besteht wenig Hoffnung, dass Joe Bidens historisches Infrastrukturpaket, über das aktuell verhandelt wird, auch nur annähernd ein Green New Deal ist. Zeitgleich steht die Welt in Flammen.

Die Klimakatastrophe erreicht die reichen Nationen, deren imperialistisches und ausbeuterisches Verhalten das zerstörerische Kapitalozän in Gang setzte. Im dürregeplagten Westen der USA wüten die Feuer so schnell und unkontrollierbar, dass sie die Wetterlage beeinflussen und in weiten Teilen des Kontinents den Himmel mit Rauch füllen. Süditalien, Teile Griechenlands und der Türkei stehen in Flammen, nie dagewesene Überschwemmungen zerstören ganze Landstriche in Deutschland, fordern Menschenleben. Wobei die Bewohner der ärmeren Nationen nach wie vor an vorderster Front stehen und die ersten Opfer des Klimawandels sind. „Aber der weiße Mann ist auf dem Mond“, wie Gil Scott-Heron es 1970 formulierte; oder um 2021 präziser zu werden: Jeff Bezos ist im All.

Wenn wir uns die Kluft ansehen, zwischen dem Punkt, an dem wir uns befinden, und dem, wo wir sein müssten, um die Auslöschung durch den Klimawandel noch abzuwenden, mag es nicht hilfreich erscheinen, die uneingelösten Versprechen des Green New Deal als unzureichend zu kritisieren. Sollten wir uns nicht hinter jeden Vorschlag stellen, der die Hegemonie des fossilen Kapitalismus einhegt und den CO₂-Ausstoß entscheidend reduziert? Aber genau diese Unzulänglichkeiten des Green New Deal sind in vielerlei Hinsicht die Gründe, aus denen das gesamte Rahmenwerk mehr Traum als Realität blieb. Er tut so, als könnten kapitalistisches Wachstum und ökologische Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen. Doch der Wachstumszwang des Kapitalismus ist die entscheidende Hürde für die Umsetzung dieses Konzepts.

Damit ein Green New Deal funktionieren kann – und da sind Politikerinnen wie AOC ganz offen –, reicht der Übergang vom Öl zu nachhaltigen Energien nicht aus. Erstens sind die Ressourcen der dafür notwendigen Mineralien zu begrenzt und zweitens führt ihr Abbau andere Formen der Umweltzerstörung herbei. „Grüne Jobs“ müssen jenseits des Energiesektors entstehen: Krankenschwestern, Pfleger, Lehrerinnen – in diese Bereiche müssen grüne „Investitionen“ fließen. Aber trotz der Fähigkeit des Kapitals, alle Aspekte des Lebens zu privatisieren und aus ihnen Profit zu schlagen, ist das Wachstum in der Care-Ökonomie begrenzt. Eine Realpolitik, die auf kapitalistische Absegnung angewiesen ist, wird nicht in der Lage sein, einen politischen Wandel herbeizuführen, der sich gegen unbegrenztes Wachstum richtet – genau das müsste ein erfolgreicher Green New Deal aber tun. Keine grüne Initiative der Welt wird es schaffen, den Kapitalismus einzudämmen.

In diesem Sinne behindert der historische Verweis auf Franklin D. Roosevelts New Deal in den 1930ern unsere heutigen Überlegungen zur ökologischen Transformation. Roosevelts New Deal war ein Transformationspaket, das aus keynesianischen Wirtschaftsreformen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bestand. Wie sein mutmaßlicher grüner Nachkomme stieß es auf erbitterten Widerstand der Konservativen. Der ursprüngliche New Deal zielte darauf ab, in Zeiten einer Wirtschaftskrise das Wachstum wiederzubeleben; er mag zwar staatliche Kontrolle ausgeübt haben, um die Arbeiterschaft mit mehr Macht gegen gewisse monopolistische Unternehmerinteressen auszurüsten, aber er richtete sich nicht gegen das grundsätzliche Wachstumsinteresse des Kapitals. Ein Green New Deal, wie Bernes feststellt, „verfolgt kompliziertere Ambitionen: Anstatt den Kapitalismus anzukurbeln, muss er ihn dazu bringen, einen Weg einzuschlagen, der für die Kapitalbesitzer langfristig sicherlich schlecht ist“.

Der Green New Deal mag einen neuen Standard gesetzt haben, an dem sich die Klimapolitik und Gesetzgebungen in den USA und darüber hinaus messen lassen müssen. Die politische Neuorientierung, die wir benötigen, kann uns hingegen nur ein Kampf gegen den Klimawandel liefern, der den ausbeuterischen, zerstörerischen Kapitalismus und das Privateigentum ablehnt. In den USA, Kanada und Südamerika wird dieser Kampf sehr konfrontativ und zuvorderst von Indigenen geführt. Ein Sinnbild dafür war das Protestcamp in Standing Rock, 2017. Es ist kein Widerspruch, einerseits an direktem Aktivismus wie der Blockade einer Ölpipeline teilzunehmen und andererseits eine allgemeine Krankenversicherung und gewerkschaftlich geschützte Arbeitnehmerrechte zu fordern. Beides ist notwendig. Die indigene Klimabewegung betont ein Verhältnis zu Grund und Boden, das keinen Grenzen unterworfen wird, und hält den Wert des Lebens statt dem des Kapitals hoch. In den Green New Deals steckt vieles, wofür wir dringend kämpfen müssen. Aber wir erreichen nichts, wenn wir weiter glauben, es ginge darum, einen Deal zu schließen. Es geht darum, einen Kampf zu gewinnen.

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Übersetzung: Christine Käppeler

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