Aber wirklich!

Im Kino "Sommer vorm Balkon" von Andreas Dresen ist ein Film für alle, die der Spezialeffekte im Kino müde sind

Auf den ersten Blick scheint es seltsam, dass ein Film mit "Sommer" im Titel kurz nach Weihnachten herauskommt. Auf den zweiten entpuppt sich das als bewusste "Gegenprogrammierung". Andreas Dresens Sommer vorm Balkon soll all diejenigen ins Kino locken, die mit Kampfszenen zwischen Großaffen und Dinosauriern nicht zu beeindrucken sind, denen aufopferungswillige Löwenkönige obskur erscheinen und für die Harry Potter der Beweis darstellt, dass es mit unserer Kultur bergab geht. Denn was Sommer vorm Balkon von King Kong, den Narnia-Chroniken und dem Feuerkelch ganz grundsätzlich unterscheidet: Der Film will realistisch sein. Und Realismus gilt in der Hierarchie der Kunst immer noch mehr als Fantasy, auch wenn er weniger Zuschauer zieht.

"So ist das Leben. Aber wirklich!" steht prompt auch auf dem Plakat zum Film, das zwei Frauen mit schönen Decoltées zeigt, die die Köpfe zusammenstecken. Daneben guckt ein Herr, der Schauspieler Andreas Schmidt, etwas bedröppelt drein, weil er offenbar auf dem Balkon übernachten musste. Das und die fröhlichen Farben zeigen an, dass es bei allem Realismus hier auch heiter zugeht - und dass der Film seinen eigenen Anspruch, Wirklichkeit abzubilden, sogar etwas bespöttelt.

Das Leben, wie es der Film zeigt, sieht so aus: Nike (Nadja Uhl) und Katrin (Inka Friedrich) sind Nachbarinnen in einem Berliner Altbau, den man im Prenzlauer Berg vermutet. Nike hat einen Job und einen Balkon, Katrin einen frühpubertierenden Sohn. Eher Schicksalsgenossinnen als Freundinnen ist ihre traute Gemeinschaft leicht zu irritieren - es braucht nur den Truckerfahrer Ronald (Andeas Schmidt) und die weibliche Solidarität stößt an ihre engen Grenzen. An diesem Frauenklischee könnte man sich stören, wenn Dresen und sein Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase weniger subtil inszenieren würden. Ihr Kunstgriff liegt darin, dass in der Dreierkonstellation der Trucker die lächerliche Figur ist, während die Frauen bei aller Zickigkeit immer Persönlichkeit zeigen dürfen.

Die Geschichte mit Ronald, der zuerst Katrin fast überfährt, sich dann willig von beiden umgarnen lässt bis er schließlich bei der hartnäckigeren Nike landet, bildet den roten Faden der Handlung und ist doch Gott sei Dank nur Nebensache. Denn die Spannung des Films speist sich nicht aus der Frage, ob das mit Ronald und Nike wohl gut geht, sondern daraus, wie die beiden Frauen in den Widrigkeiten ihrer Lebenslagen agieren.

Um das zu zeigen, gibt der Film streckenweise seinen unbedingten Willen zur Leichtigkeit auf: In der berührendsten Sequenz sehen wir Katrin auf Jobsuche. Und wie sich Wut, Verzweiflung und Unverständnis mit jedem Vorstellungsgespräch bei ihr steigern. Und wie das ihre geringen Chancen noch weiter senkt. Und wie sie sich mit Alkohol darüber hinwegtröstet - und damit in weitere Schwierigkeiten kommt. Und beim Anblick dieser lebenstüchtigen Frau, die auf dem Arbeitsmarkt mit Anfang 40 für überflüssig erklärt wird, verflüchtigt sich das humorige Gutgefühl des Dresen´schen "So ist das Leben aber wirklich" und macht - man mag es kaum aussprechen, weil es so langweilig klingt - echter Betroffenheit Platz.

Es ist gar nicht so einfach, sich davon wieder zu erholen. Inka Friedrich gelingt mit ihrer Darstellung der Katrin ein besonders eindringliches Porträt, weil sie eine "vollwertige" Figur anlegt: einerseits sind da die sozialen Gegebenheiten, die schlechte Wirtschaftslage, die Wende usw. und andererseits ist da Katrins keineswegs einfacher Charakter, ihre Ermüdung über das Mutterdasein und ihr Frust mit der Männerwelt. Nadja Uhl als zupackende Altenpflegerin Nike ist daneben zweifellos die Schönere, aber eben auch fast ein bisschen langweilig.

Die Gegensätzlichkeit der beiden Hauptfiguren macht ein Problem des Dresen´schen Realismus sichtbar. Er will dem Leben bei der Arbeit zuschauen, aber er will damit auch ein Publikum gewinnen und deshalb soll alles ganz unangestrengt und wie von leichter Hand wirken. Richtig tragisch werden dürfen die Dinge nicht. Was dazu führt, dass sie manchmal allzu klein wirkt, die Welt dieser filmischen Wirklichkeit. Man kommt sich darin irgendwie knapp gehalten vor, fast wie auf Diät. Das wahre Gegenprogramm zu Dresens Realismus wäre eben nicht Fantasy, sondern etwas noch Opulenteres, bei dem mit großen Gefühlen und tiefer Betroffenheit nicht gegeizt wird - vielleicht ein Melodram.


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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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