Abgedreht von Michel Gondry

Kino Fast ist es schon so weit, dass man es der jüngeren Generation erklären muss: Videokassetten, das waren die Dinger, die man nach der Sichtung eines ...

Fast ist es schon so weit, dass man es der jüngeren Generation erklären muss: Videokassetten, das waren die Dinger, die man nach der Sichtung eines Films zurückspulen musste. Manche Videotheken verlangten eine Strafgebühr, wenn man gegen dieses Gebot verstieß, was hart war, denn man vergaß es allzu leicht. Vielleicht hätte man öfter daran gedacht, wenn die Aufforderung statt im schnöden Deutsch "Denken Sie bitte daran, zurückzuspulen" so elegant wie im Englischen geklungen hätte: "Be kind rewind" - das reimt sich doch sogar!

"Be kind rewind" steht denn auch auf dem kleinen selbstgemalten Pappschild in Mr. Fletchers Videoladen in Michel Gondrys gleichnamigen Film. Die altmodische Kasse daneben, das Nachrichtenbord dahinter, die verstaubten Regale und nicht zuletzt der von Danny Clover gespielte grauhaarige Besitzer selbst - das alles zeigt überdeutlich, dass die besseren Zeiten an diesem Laden nahezu spurlos vorüber gegangen sind. Was man im Übrigen vom ganzen Viertel sagen könnte: Gondrys Film spielt in der gesichtlosen Urbanität New Jerseys, irgendwo zwischen einer Highway-Unterführung und einem Kraftwerk. In dessen Nähe hat Jerry (Jack Black) seinen Trailer aufgestellt. Wenn er seinen Freund Mike (Mos Def) einlädt, dann lässt er ihn eine komische Kopfbedeckung tragen - Jerry, den Jack Black als leicht verwahrlosten und völlig verquatschten Verschwörungstheoretiker gibt, glaubt nämlich, dass das Kraftwerk die Umwelt verstrahlt. Eines Nachts schleicht er sich hinein, um irgendeinen Sabotageakt vorzubereiten, und bekommt tatsächlich eine tüchtige Ladung Strahlung ab. Ohne davon etwas zu ahnen, besucht er seinen Freund Mike, der gerade Mr. Fletcher im Videoladen vertritt. Nach einem Rundgang zwischen den Regalen sind sämtliche Videokassetten gelöscht. Mike, mit viel Zaudern und in ungewohnter Schweigsamkeit vom sonst so dreisten und stets im Schnellfeuertempo sprechenden Rapper Mos Def gespielt, bekommt Panik: Was sollen sie nur Mr. Fletcher erzählen? Aber Jerry, der alsbald eine reinigende Entkontaminierungsdusche verabreicht bekommt, hält dagegen: Sie könnten die Filme doch einfach nachdrehen!

Gesagt, getan. "Ghostbusters" ist ihr erstes Werk. Es schlägt beim Kunden an wie eine Erweckung und bald schon folgen weitere Videotheksklassiker wie "Boyz´n the Hood", "2001" oder "Driving Miss Daisy". Wobei Mike als Schwarzer gegen das rassistische Versöhnlertum des letztgenannten revoltiert und sich dementsprechend nur verächtlich und halbbeleidigt darauf einlässt. Jerry dagegen ist sich für nichts und schon gar keine Rolle vor der Kamera zu schade - spätere Filmprojekte zeigen, dass er zum Entsetzen seines Freundes mit Schuhwichse im Gesicht und Kräuselperücke auf dem Haupt auch schon mal gerne den "Neger" gibt.

Ihre Art des Amateurfilmens hat den Vorteil, dass es im bloßen Nachahmertum völlig ungetrübt bleibt von künstlerischen Fehlschlägen. Ganz im Gegenteil: Länger und länger wird die Schlange der Kunden vor dem Laden, die es nach ihren "geschwedeten" - so ihre eigene Ad-Hoc-Benennung - Filmen verlangt. Und immer raffinierter werden die selbstgebastelten Tricks, mit denen Mike und Jerry die Spezial-Effekte der Filme nachstellen. Fast ist es so, als ob das ganze Viertel von einer neuen kulturellen Blütephase ereilt wird. Aber dann kommt in Gestalt von Sigourney Weaver doch noch das reale Böse in den Film: Sie hält einen Gerichtsbeschluss in der Hand, der wegen Urheberrechtsverletzung die sofortige Vernichtung der "geschwedeten" Videokassetten anordnet. Mitten auf der Straße vollstreckt ein Bulldozer das Urteil, indem er stundenlang den kleinen Kassettenberg einebnet.

Mit dieser ins Groteske überzeichneten Szene könnte der Film eigentlich enden, doch Gondry wollte sich mit diesem etwas billigen Angriff auf die Großkonzerne nicht zufrieden geben und lässt noch einen melancholisch-optimistischen Schluss folgen. Darin beteiligt sich das ganze Viertel beim letzten großen Dreh eines Biopics über einen legendären Jazzmusiker, der angeblich einst in diesem Viertel musiziert und gelebt hat. Und obwohl auch dieses Gemeinschaftswerk Mr. Fletchers Videoladen nicht mehr retten kann, erlebt er mit der Aufführung dieses Werks seine vielleicht größte Stunde. Kein Zurückspulen allerdings wird sie je zurückbringen.

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