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Linksbündig Name, Anschrift und Gesicht: Für Otto Schily

Pünktlich zu Weihnachten, wo es das Herz rührt und man sich ein gutes kritisches Gewissen machen kann, erschienen, zum Teil sogar auf der ersten Seite, in einigen Tageszeitungen Berichte über die Abschiebung von Asylbewerbern. Das passiert zwar ständig und hat längst keinen Nachrichtenwert mehr - nur eben zu Weihnachten. Die einschlägigen Ausländerbehörden, die das veranlassen, mögen sich gedacht haben, dass die Betroffenen in den Feiertagen mit der ihnen amtlich seit längerem angekündigten Ausweisung ("freiwillig oder Zwangsabschiebung") am wenigsten rechnen und sich die Hilfe von solidarischen Unterstützern sichern würden; dass Teile der Presse dann darauf aufmerksam wurden und daraus ein Weihnachtsthema machen, war nicht vorgesehen - aber letztlich ist es den Ämtern und ihren Bütteln auch egal: Sie tun ja nur, was Recht und Gesetz ist in diesem Lande.

Aber doch wohl mit einem letzten Funken an schlechtem Gewissen. Grausam und brutal lesen sich die Einzelfallbeschreibungen wie zum Beispiel die in der Süddeutschen Zeitung: Zwei Uhr nachts klingelten die Polizisten in einem kleinen Schwarzwaldstädtchen die vierköpfige vietnamesische Familie - seit 1992 dort ansässig, die älteste Tochter unmittelbar vor dem Abitur stehend, der 16-jährige Sohn in einer Kaufmännischen Schule, beide Eltern verdienend - aus dem Schlaf. Bei Nacht und Nebel und mit nur einer Stunde Zeit zum Packen, damit sich kein Protest der Nachbarn entwickeln kann. Dann wie gefährliche Häftlinge unter strenger Bewachung nach Freiburg transportiert und mit 50 weiteren Asylbewerbern ins Flugzeug ab nach Singapur. Wer diese und vergleichbare Geschichten liest, der schämt sich wie schon einmal seines, unseres Landes.

Bei Nacht und Nebel - so war man, so waren die deutschen Behörden einst auch mit den deutschen Juden verfahren. Es könnte ja sein, dass einige Menschen in dieser deutschen Gesellschaft aus den Lehren der Judenverfolgung etwas gelernt haben, dass es einigen Deutschen ernst ist mit dem öffentlichen Wort "Nie wieder!" und dass sie sich hier schützend vor ihre Mitbürger gestellt hätten, wenn diese Ausweisungen am hellichten Tage geschehen wären. Um das zu vermeiden, griff die Polizei in den berüchtigten frühen Morgenstunden zu, und nicht nur in diesem einen Falle, sondern als Regel. Bei der hilflosen Protestversammlung der Mitschüler und Eltern wird ein gewisser Siegfried Kauder, Bundestagsabgeordneter, mit der eiskalten Rechtfertigung zitiert: "Mit Einzelfallgerechtigkeit ist der Politik nicht gedient, wir brauchen eine Systemgerechtigkeit." Führende Leute des NS-Regimes hatten sich seinerzeit ganz genau so geäußert: Da kämen auf einmal viele Leute und behaupteten, sie kennten persönlich einen anständigen Juden, den solle man doch in Ruhe lassen - "aber wo kämen wir da hin, wenn man lauter Ausnahmen zuließe!" Der Unterschied: Jener Herr Keuder hatte sich wählen lassen als Mitglied einer Christlichen Partei. Natürlich denkt niemand auch nur im Traum daran, ihn wegen unchristlicher Anschauungen aus Partei und Fraktion auszuschließen ...

Aber mit der privaten Erbitterung und dem kurzlebigen Zorn über kaltschnäuziges Verwaltungshandeln sollte es nicht getan bleiben. Über den Landesinnenministern steht in letzter Instanz der Bundesinnenminister, Otto Schily. Er ist nicht nur für die ihres Sinnes als Menschenschutz entleerte Asylgesetzgebung, sondern auch persönlich verantwortlich für das jeder Humanität Hohn sprechende brutale Vorgehen der Ausländerbehörden, für die Politik der Unmenschlichkeit. Einen Egon Krenz hat man - zu Recht - verurteilt für seine Mitverantwortung am berüchtigten Schießbefehl. Die Abschiebepraxis der deutschen Behörden steht an Menschenverachtung jenen Dienstverbrechen kaum nach. Bert Brecht hat uns die wichtige Wahrheit hinterlassen, dass die Verantwortlichen keine "dunklen Mächte" sind: "Sie haben Name, Anschrift und Gesicht" - und dass wir, das ist wenig genug, uns diese Namen und Adressen merken müssen: Von Otto Schily bis hinunter zum letzten Polizisten, der die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde wissentlich um zwei Uhr nachts unter seinen Stiefeln zertritt.

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